LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1806 08.01.2013 Datum des Originals: 04.01.2013/Ausgegeben: 11.01.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 715 vom 20. November 2012 der Abgeordneten Ursula Doppmeier und André Kuper CDU Drucksache 16/1569 Pflegenotstand im Kreis Gütersloh Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 715 mit Schreiben vom 4. Januar 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Einer nun veröffentlichen Studie der Bertelsmann-Stiftung ist zu entnehmen, dass der Mangel an Pflegekräften in Deutschland, Nordrhein-Westfalen und vor allem in Ostwestfalen stark ansteigen wird. Die Zahl der Hilfsbedürftigen wird nach den veröffentlichten Angaben proportional stärker ansteigen als die der benötigten Pflegekräfte. Demnach entsteht eine große Lücke zwischen Pflegebedarf und –angebot. Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung werden in 18 Jahren NRW-weit ca. 90.000 Pflegekräfte fehlen. Für den Kreis Gütersloh prognostiziert die Studie für die nächsten 18 Jahre einen Anstieg der Pflegebedürftigen um 58 Prozent. Parallel dazu würden dann 2.205 Pflegekräfte fehlen. Vorbemerkung der Landeregierung Der Themenreport "Pflege 2030" der Bertelsmannstiftung bestätigt die Feststellung eines bereits vorliegenden und noch stärker drohenden Fachkräftemangels in den Pflegeberufen, wie ihn schon verschiedene Studien nachgewiesen haben, die die Landesregierung u.a. zur Begründung der Notwendigkeit einer Ausbildungsumlage in der Altenpflege herangezogen hat. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1806 2 Grundlage des Themenreports "Pflege 2030" sind die Zusammenführung von Daten anderer älterer Erhebungen, Gutachten und darauf aufbauende Prognoserechnungen in drei Entwicklungsszenarien . Dabei unterstellt der Themenreport bei der Prognoserechnung für den gesamten Betrachtungszeitraum, dass die alters- und geschlechtsspezifischen Pflegehäufigkeiten konstant bleiben und errechnet daher die zukünftigen Zahlen an Pflegebedürftigen anhand einer einfachen Hochrechnung heutiger Pflegeprävalenzen auf die sich ändernden Altersstrukturen der Gesellschaft. Die errechneten Werte blenden damit mögliche Auswirkungen medizinischer Entwicklungen und Erfolge bei der Vermeidung oder Verringerung von Pflegebedürftigkeit durch verstärkte Präventions- und Rehabilitationsbemühungen aus. Auch wenn derartige positive Einflussfaktoren auf die künftige Pflegebedarfsentwicklung nicht sicher sind, hält die Landesregierung doch einen deutlichen Ausbau präventiver und rehabilitativer Angebote für dringend geboten. Die Ergebnisse des "Themenreports Pflege 2030" sind deshalb in jedem Fall hinsichtlich der Dimension der prognostizierten Herausforderung mit einem gewissen Vorbehalt zu betrachten und auch als Aufforderung zu verstehen, Maßnahmen zur Verringerung der Pflegeprävalenz zu ergreifen. 1. Bestätigt die Landesregierung die Zahlen an fehlenden Pflegekräften der Ber- telsmann-Stiftung für den Kreis Gütersloh? In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits heute einen für die Pflegeeinrichtungen und ambulanten Dienste deutlich spürbaren Fachkräftemangel in der Pflege. Nach der Landesberichterstattung Gesundheitsberufe 2010/2011 fehlten bereits Ende des Jahres 2010 rund 3.000 Absolventinnen und Absolventen der Pflegefachkraftausbildungen. Der Schwerpunkt lag im Bereich der Altenpflege mit rund 2.500 fehlenden Absolventinnen und Absolventen. Eigene Berechnungen zum Ausbildungs- und Personalbedarf auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte liegen der Landesregierung jedoch nicht vor. In Nordrhein-Westfalen sind Pflegeplanung und insbesondere die Weiterentwicklung der Pflegeinfrastruktur Aufgabe der Kreise und kreisfreien Städte. Eine verpflichtende Weitergabe und landesweite Aufbereitung der Ergebnisse kommunaler Pflegeplanung sind derzeit im Landespflegegesetz NordrheinWestfalen (PfG NW) nicht verbindlich verankert. Gerade Bestands- und Prognosezahlen werden zudem uneinheitlich von den Kreisen und kreisfreien Städten erstellt und sind dadurch nicht immer vergleichbar. Die konkreten Zahlen aus dem Themenreport "Pflege 2030" können daher seitens der Landesregierung weder bestätigt noch widerlegt werden. Die Ergebnisse des Themenreports decken sich aber insoweit mit den Einschätzungen der Landesregierung, als sie für drei verschiedene Szenarien deutlich unterschiedliche Bedarfszahlen ermitteln und als entscheidenden Faktor die Entwicklung der informellen oder häuslichen Pflege ausweisen. Gelingt es, wie im „Szenario 3“ des Themenreports beschrieben, die häusliche Pflege soweit zu stärken, dass auf einen Ausbau der stationären Pflege völlig verzichtet werden kann, so halbiert sich die von den Verfassern des Reports ermittelte "Versorgungslücke " bundesweit nahezu gegenüber den Szenarien, die von einer status-quoVerteilung zwischen stationärer, ambulanter und informeller Versorgung oder gar von einer Schwächung der informeller Versorgung ausgehen. Das verdeutlicht - neben dem auf eine häusliche Pflege gerichteten überwiegenden Wunsch pflegebedürftiger Menschen -, von welch enormer Bedeutung es ist, die Ressource der informellen Pflege aufrecht zu halten und weiter auszubauen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1806 3 2. Wie viele Pflegeplätze in Einrichtungen gibt es im Kreis Gütersloh? Die Pflegekassen melden für den Kreis Gütersloh 30 Einrichtungen mit insgesamt 2626 Pflegeplätzen (Stand 30.06.2012). 3. Wie viele stationäre Pflegeplätze werden nach Informationen der Landesregie- rung im Kreis Gütersloh in den nächsten Jahren benötigt? 4. Wie viele ambulante Pflegeplätze werden nach Informationen der Landesregie- rung im Kreis Gütersloh in den kommenden Jahren benötigt? Die Beantwortung der Fragen nach dem konkreten zukünftigen Anteil der verschiedenen Versorgungsformen (stationär, ambulant, informelle Pflege) an der Versorgung der prognostizierten Zahl älterer Menschen hängt entscheidend davon ab, inwieweit es den Akteurinnen und Akteuren vor Ort gelingt, durch präventive und aktivierende Angebote Pflegebedarfe zu vermeiden oder zu verzögern und bei eintretender Pflegebedürftigkeit Versorgungsstrukturen unter bestmöglicher Nutzung informeller und familialer Pflegeressourcen zu aktivieren. Dies muss das vordinglichste Ziel der zukünftigen Pflegepolitik sein. Welche versorgungsformbezogenen Ausbaubedarfe zur Umsetzung dieses Ziels erforderlich sind, kann nur im Rahmen der kommunalen Pflegeplanung nach § 6 PfG NW entschieden werden. Die Kommunen sind auch insoweit bisher nicht verpflichtet, die Ergebnisse dieser Planungen dem Land zur Kenntnis zu geben, so dass auf Landesebene keine entsprechenden Daten vorhanden sind. Eigene kommunalscharfe Vorausberechnungen seitens des Landes sind daher nicht möglich . Gerade der von den Fragestellern in Bezug genommene Themenreport "Pflege 2030" der Bertelsmannstiftung verdeutlicht, wie sehr Prognosen zur Bedarfsentwicklung der verschiedenen Versorgungsformen von Annahmen abhängig sind. Der Themenreport nutzt für die Vorausberechnung des künftigen Personalbedarfs in der Pflege drei Szenarien ("Status Quo-Szenario", "Formelle Pflege nimmt zu" und "Häusliche Pflege nimmt zu"), die z.B. für den Kreis Gütersloh zu vollständig unterschiedlichen Ergebnissen etwa bzgl. des zusätzlichen Bedarfs an stationären Pflegeplätzen (von 75,7% in Szenario 1 bis 10,3% in Szenario 3) führen (Quelle: http://wegweiser-kommune.de). Ziel einer an den Wünschen der Menschen orientierten Pflegepolitik muss aus Sicht der Landesregierung eindeutig eine Entwicklung sein, wie sie dem Szenario 3 zugrunde liegt: Ein "Null-Wachstum" an stationären Einrichtungen. Denn nur eine nachhaltige und massive Stärkung präventiver Angebote sowie niedrigschwelliger und ambulanter Versorgungsdienstleistungen wird es älter werdenden Menschen ermöglichen, den Traum vom Verbleib in der eigenen Häuslichkeit oder zumindest im vertrauten sozialen Umfeld tatsächlich zu verwirklichen . Dass eine solche pflegepolitische Zielsetzung gesellschaftlich und aber auch gesamtökonomisch ohne Alternative ist, zeigt neben vielen anderen wissenschaftlichen Studien nicht zuletzt auch der Themenreport "Pflege 2030". Während die Szenarien 1 und 2, die einen Zuwachs stationärer Versorgungsformen beinhalten, in der Vorausberechnung bis 2030 zu einer Versorgungslücke von rd. 434.000 bzw. sogar 492.000 Pflegekräften bundesweit und damit korrespondierenden Finanzierungsmehrbedarfen zulasten der sozialen Sicherungssysteme führen, ergibt das Szenario 3 ("Häusliche Pflege wird gestärkt") nur einen Personalmehrbedarf von rd. 263.000 Pflegekräften. Schon die Deckung dieses letztgenannten Mehr- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1806 4 bedarfs an Pflegekräften wird eine enorme Herausforderung für alle Akteurinnen und Akteure darstellen. Die Landesregierung wird daher ihre pflegepolitischen Aktivitäten auf die Stärkung einer quartiersnahen und gut vernetzten Versorgungsstruktur ausrichten, um die gewünschte und erforderliche Stärkung der häuslichen Pflege zu unterstützen. Stationäre Angebote werden wir auf dem Weg der Qualifizierung und Modernisierung begleiten. Die vorhandenen stationären Angebote können und müssen - auch durch eine Öffnung "ins Quartier" - einen wichtigen Beitrag zu einer bedarfsgerechten Versorgungsstruktur im Sozialraum und zur Absicherung eines Wahlrechts zwischen verschiedenen Versorgungsformen leisten. Ein quantitativer Ausbau stationärer Einrichtungen ist hierzu nicht erforderlich und wird von der Landesregierung nicht unterstützt. 5. Mit welchen Instrumenten will die Landesregierung dem Pflegekräftemangel konkret im Kreis Gütersloh entgegenwirken? Bereits mit der Einführung des Ausgleichsverfahrens in der Altenpflegeausbildung in Nordrhein -Westfalen zum 1. Juli 2012 wurde ein erfolgreicher Schritt zur Bekämpfung des Fachkräftemangels getan, den Nordrhein-Westfalen mit breiter politischer Unterstützung und großem Engagement aller beteiligten Behörden und Verbände gegangen ist. Durch die mit dem Umlageverfahren verbundene Entlastung der ausbildenden Einrichtungen wurde ein deutlicher Anreiz zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze gesetzt. Die Umlage zeigt bereits im Einführungsjahr deutliche Erfolge und hat im Ausbildungsbereich eine hohe Dynamik ausgelöst. Die Zahl der Auszubildenden in der Altenpflege steigt kräftig an. Im Dezember 2012 werden voraussichtlich 12.200 Altenpflegeschülerinnen und -schüler an den Fachseminaren eine Landesförderung erhalten. Das sind rund 2.200 mehr als im Vorjahr . Aufgrund dieser Gesamtdynamik befinden sich im Kreis Gütersloh aktuell (Dez. 2012) 284 Schüler/-innen in der Altenpflegeausbildung. Der Landtag hat mit dem verabschiedeten Haushalt 2012 eine Ansatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr um 4,5 Mio. € für die Förderung der Altenpflegefachkraftausbildung beschlossen und die Landesregierung wird mit dem Haushaltsentwurf 2013 trotz der schwierigen Haushaltslage eine weitere, nochmals deutliche Mittelaufstockung um rd. 13,4 Mio. € vorsehen , damit auch im kommenden Jahr für alle erforderlichen Schulplätze Fördermittel in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen. Damit kann das Umlageverfahren in der Altenpflege weiterhin seine Wirkung voll entfalten. Darüber hinaus ist Nordrhein-Westfalen mit der Durchführung von aktuell fünf Modellstudiengängen bundesweit Vorreiter bei der Weiterentwicklung der Pflegeberufe. Diese Weiterentwicklung ist notwendig, um durch attraktive Ausbildungsangebote auch zukünftig eine ausreichend große Zahl an jungen Menschen für dieses wichtige Berufsfeld interessieren zu können. Mit dem gleichen Ziel unterstützt Nordrhein-Westfalen auch aktiv den laufenden Reformprozess zur Zusammenführung der unterschiedlichen pflegerischen Ausbildungen in ein gemeinsames Pflegeberufsgesetz. Zur Verbesserung der Rahmen- und Arbeitsbedingungen unterstützt die Landesregierung zudem aktiv die Umsetzung der "Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege". Diese zwischen dem Bund, der Bundesagentur für Arbeit, den Ländern und Verbänden abgestimmte Vereinbarung wurde am 13. Dezember 2012 unterzeichnet und umfasst für die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1806 5 vorgesehene Laufzeit vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2015 ein Maßnahmenbündel zu Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Altenpflege. Hier war mein Haus über die Gesundheitsministerkonferenz bereits an der Erstellung des Vereinbarungstextes beteiligt. Während der Laufzeit sollen u. a. die Ausbildungszahlen in allen Bundesländern um jährlich 10 Prozent (ausgehend von den Eintritten in 2010/2011) gesteigert werden. Alleine mit den in 2012 geschaffenen 2.200 zusätzlichen Ausbildungsplätzen hat Nordrhein-Westfalen dieses Ziel bereits erreicht. Zur Ausweitung der Ausbildungskapazitäten hat die Bundesagentur für Arbeit zudem zugesagt , für die Laufzeit der Initiative wieder in die dreijährige Finanzierung von Umschulungsmaßnahmen einzusteigen. Auch die Einführung eines Umlageverfahrens oder die Schulgeldfreiheit sind Maßnahmen innerhalb der vorstehenden gemeinsamen Initiative, die in Nordrhein -Westfalen bereits umgesetzt sind. Neben vor allem auf der Ausbildungsseite ansetzenden Maßnahmen wird die Landesregierung auch verschiedene Maßnahmen fortführen bzw. neu initiieren, die einen längeren Verbleib der Beschäftigten in den Pflegeberufen und damit eine bessere Aktivierung des vorhandenen Fachkräftepotentials fördern. Hierzu zählen Maßnahmen des Arbeitsschutzes ebenso wie die Förderung der Umsetzung besserer Personalmanagementansätze zur Verringerung der Teilzeitquoten und gesundheitsorientierten Einsatzplanung z. b. älterer Beschäftigter . All diese Maßnahmen werden auch das Fachkräftepotential im Kreis Gütersloh positiv beeinflussen , zumal die Betrachtung hier aufgrund der nicht nur wohnortbezogenen Arbeitsplatzwahl der Pflegekräfte eher regional erfolgen muss.