LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/189 10.07.2012 Datum des Originals: 06.07.2012/Ausgegeben: 13.07.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4 vom 31. Mai 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/23 Unfairer Verdrängungswettbewerb zu Lasten bestehender Schulangebote – Wie wirkt sich die Genehmigung einer Sekundarschulgründung in Gelsenkirchen im Einzelnen auf die örtliche Schullandschaft aus? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 4 mit Schreiben vom 6. Juli 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 2. Februar 2012 hat das Schulministerium bekanntgegeben, dass von den 51 Bewerbungen zur Errichtung einer Sekundarschule zum kommenden Schuljahr, die bis zum Ende des Jahres 2011 bei den Bezirksregierungen eingegangen waren, 50 Anträgen stattgegeben worden ist. Lediglich ein Antrag aus der Kommune Altenbeken konnte demnach nicht abschließend bearbeitet werden, da dort „bestimmte Bedingungen“ noch nicht erfüllt seien. Wenn somit im Anmeldeverfahren mindestens jeweils 75 Schüler von den Eltern angemeldet werden, sollen diese neuen Sekundarschulen nach dem Willen der Landesregierung zum kommenden Schuljahr den Unterricht aufnehmen. Mit der Gründung von Sekundarschulen geht zumeist die Entscheidung des Schulträgers über das Auslaufen und damit letztlich die Schließung anderer Schulen des gegliederten Schulsystems einher. Die Schulkonferenzen sind hierbei in Gelsenkirchen nach dem von CDU, SPD und Grünen verabschiedeten 6. Schulrechtsänderungsgesetz lediglich formal eingebunden. Somit kann die Errichtung einer Sekundarschule auch ausdrücklich gegen den einhelligen Widerstand zahlreicher betroffener Schüler, Eltern und Lehrer in Gelsenkirchen erfolgen. Während in kleineren Gemeinden mit rückläufigen Schülerzahlen mitunter ein äußerer Anlass geboten ist, über schulstrukturelle Veränderungen nachzudenken, um zumindest ein Grundangebot an weiterführenden Schulstandorten vor Ort zu erhalten, verdeutlichen gerade LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/189 2 die vom Schulministerium angeführten Kommunen, dass die Gründung einer Sekundarschule oftmals gar nicht durch einen Handlungsdruck rückläufiger Schülerzahlen zu begründen ist. So ist bereits bekannt, dass bedingt durch die massive Ressourcenprivilegierung der Sekundarschulen demographisch stabile und beliebte Realschulen auslaufen sollen und damit letztlich geschlossen werden. Zu diesen Privilegien zählen zum Beispiel ein automatischer Ganztag, eine niedrigere Unterrichtsverpflichtung für Lehrer als an Real- oder Hauptschulen, eine Errichtungsgröße von nur 25 Schülern pro Klasse oder auch ein niedrigerer Klassenfrequenzrichtwert und somit kleinere Klassengrößen. Ergänzend sieht der Haushaltsentwurf 2012 auch noch einen Differenzierungszuschlag in Höhe von 0,5 Stunden je Klasse und Woche für Sekundarschulen vor. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit die unfaire Ressourcenprivilegierung der Sekundarschulen zur rein politisch gewollten Schließung demographisch stabiler und von Eltern prinzipiell gewünschter Schulen in Gelsenkirchen führt. Ob eine Schule tatsächlich in ihrem Bestand bedroht oder aufgrund der Elternnachfrage demographisch stabil ist, zeigt sich insbesondere in der 5. Jahrgangsstufe der nun auslaufenden Schulen. Da darüber hinaus von der Landesregierung gerne öffentlich betont wird, dass sie Schulpolitik angeblich gemeinsam mit den Betroffenen und nicht gegen die Menschen gestalten wolle, ist es wichtig zu erfahren, wie die betroffenen Schüler, Eltern und Lehrer bezüglich eines Auslaufens an bestehenden Schulen und über die Errichtung einer Sekundarschule in den Schulkonferenzen votiert haben . Für die pädagogische Arbeit an der neu zu gründenden Sekundarschule in Gelsenkirchen ist besonders die pädagogisch-organisatorische Ausgestaltung der Schule relevant. In den 5. und 6. Klassen besteht an Sekundarschulen der Zwang, integriert zu unterrichten. Ab der 7. Klasse kann – letztlich entschieden durch die Schulträger und nicht durch die Schulen – bis einschließlich der 10. Klasse integriert, aber auch teilintegriert oder nach kooperativen Bildungsgängen unterrichtet werden. Somit spielt für die zukünftige Förderung der Kinder und Jugendlichen, die die neue Sekundarschule in Gelsenkirchen besuchen werden, diese pädagogische Ausgestaltung eine zentrale Rolle. Auch die rein organisatorische Gestaltung einer Sekundarschule unterscheidet sich von den anderen Schulformen. Hierbei sind unterschiedliche Varianten der Standortbildung möglich, die zum Beispiel eine Verteilung einiger Jahrgänge auf einen Standort, anderer Jahrgänge auf einen anderen Standort zulassen. Da eine solche Gestaltungsmöglichkeit für viele Kommunen über hohe Relevanz verfügt, ist die diesbezügliche Entscheidungsfindung vor Ort und damit die in diesem Zusammenhang vom Schulministerium genehmigte organisatorische Ausgestaltung von hohem Interesse. Im Zusammenhang mit der beabsichtigten Sekundarschulgründung in der Stadt Gelsenkirchen stellen sich nachfolgende Fragen, auf die die Landesregierung dem Parlament eine möglichst präzise und ausführliche Antwort unter Bereitstellung aller ihr vorliegenden Erkenntnisse zu erteilen hat. Vorbemerkung der Landesregierung Die vorliegende Kleine Anfrage ist Teil einer Serie von inhaltsgleichen Kleinen Anfragen zu Auswirkungen von Sekundarschulgründungen auf die örtliche Schullandschaft in verschiedenen Kommunen des Landes Nordrhein-Westfalen, die von dem Abgeordneten Ralf Witzel, FDP, gestellt wurden. Die Beantwortung erfolgt jeweils nach einem gleichlautenden Schema. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/189 3 CDU, SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben mit dem Schulkonsens in NordrheinWestfalen verantwortungsbewusst auf das veränderte Elternwahlverhalten und den demographischen Wandel reagiert und mit der Einführung der Sekundarschule für Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit geschaffen, alle Abschlüsse der Sekundarstufe I mit oder ohne Zuordnung zu unterschiedlichen Schulformen erreichen und ihren Bildungsweg in der gymnasialen Oberstufe, an einem Berufskolleg oder in der Berufsausbildung fortsetzen zu können . Die Sekundarschule bietet die Chance eines umfassenden wohnortnahen Schulangebotes, insbesondere für Kommunen, deren weiterführende Schulen ansonsten aufgrund rückläufiger Schülerzahlen geschlossen werden müssten. Rückläufige Schülerzahlen sind allerdings, entgegen der Aussage des Fragestellers, keine Voraussetzung zur Gründung einer Sekundarschule. Für die Errichtung von Sekundarschulen gelten die schulgesetzlichen Vorgaben für die Errichtung von Schulen. Ausschlaggebend für die neue Sekundarschule ist gemäß § 78 Absatz 4 Schulgesetz, dass in den Gemeinden ein Bedürfnis dafür besteht und die Mindestgröße gewährleistet ist. Die Entwicklung des Schüleraufkommens und der Wille der Eltern sind bei der Feststellung des Bedürfnisses zu berücksichtigen (§ 78 Absatz 5 Schulgesetz). Die alleinige Berücksichtigung von Schülerzahlen in Eingangsklassen der auslaufenden Schulen ist kein hinreichendes Kriterium . In einigen Fällen besteht aufgrund der Bedürfnisprüfung und der Zahlen der Schulentwicklungsplanung die begründete Annahme, dass nach der Durchführung des Anmeldeverfahrens ein Fortführungsbedürfnis für eine Schule des gegliederten Schulsystems bestehen könnte. Das kann etwa der Fall sein, wenn neben den Anmeldungen für eine Sekundarschule noch so viele Interessenten übrig bleiben, die eine Realschule wünschen, dass die Fortführungsgröße einer Realschule erreicht würde. Dann wäre die Errichtungsgemeinde zur Fortführung der Realschule verpflichtet. Das gleiche gilt für die Fortführung einer Hauptschule . Die Ausstattung der Sekundarschulen entspricht weitgehend der Ausstattung bereits existierender Schulformen. Die wöchentlichen Pflichtstunden der Lehrerinnen und Lehrer an Sekundarschulen entsprechen denen des Gymnasiums und der Gesamtschule. Gesicherte Aussagen zu Klassenfrequenzrichtwerten sind derzeit noch nicht möglich, da der entsprechende Entwurf der Ausführungsverordnung zu § 93 Abs. 2 SchulG erst nach Verabschiedung des Haushalts 2012 dem zuständigen Ausschuss des Landtags zur Zustimmung vorgelegt werden kann. Sekundarschulen sind beim Ganztag nicht bessergestellt. Genauso wie die Sekundarschulen erhalten alle anderen Schulen, deren öffentliche Schulträger den gebundenen Ganztag beantragt haben, zum kommenden Schuljahr einen Ganztagszuschlag von 20 Prozent der Grundstellenzahl. Hauptschulen mit erweitertem Ganztagsbetrieb erhalten einen Ganztagszuschlag von 30 Prozent. Jede Sekundarschule erhält einen Stellenzuschlag für Differenzierungsbedarf in Höhe von 0,5 Stunden je Klasse je Woche. Dabei handelt es sich nicht – wie vom Fragesteller behauptet - um eine privilegierte Ressourcenzuteilung. Vielmehr werden mit diesem Stellenzuschlag Maßnahmen unterstützt, die einen effizienten und qualitativ hochwertigen Umgang mit den jeweils differenzierten Organisationsformen zur spezifischen Förderung der Schülerinnen und Schüler vor Ort durch die Kollegien sichern sollen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/189 4 1. Aus namentlich welchen einzelnen heute noch bestehenden und zukünftig voraussichtlich auslaufenden Schulen soll die neue Sekundarschule in Gelsenkirchen gemäß den dortigen Planungen entstehen? Mit der Errichtung der neuen Sekundarschule in Gelsenkirchen zum 1. August 2012 laufen die Städtische Gemeinschaftshauptschule, Eppmannsweg 34, 45896 Gelsenkirchen, und die Realschule an der St.-Michael-Straße, St.-Michael-Straße 1, 45896 Gelsenkirchen mit Ablauf des Schuljahres 2011/2012 jahrgangsweise aus. 2. Wie gestalten sich jeweils differenziert betrachtet für jede dieser auslaufenden Schulen die gegenwärtigen Schülerzahlen in den fünften Klassen im laufenden Schuljahr in Gelsenkirchen? (falls vorhanden heutige Schülerzahl bitte nach unterschiedlichen Standorten und Zügen aufschlüsseln) Schülerzahl im 5. Jg. Klassen im 5. Jg. Gemeinschaftshauptschule Eppmannnsweg 36 2 Realschule an der St. Michaelstraße 46 2 3. Wie haben exakt die jeweiligen einzelnen Schulkonferenzen aller durch die Se- kundarschulgründung potentiell auslaufenden Schulen in Gelsenkirchen über die Umwandlung bzw. Schließungsgefahr abgestimmt? Die Errichtung der Sekundarschule und die damit einhergehende Auflösung der Haupt- und der Realschule erfolgt auf Wunsch der Schulen. Die Schulkonferenz der Hauptschule fasste ihren Beschluss mit elf Ja-Stimmen, bei einer Enthaltung; die der Realschule einstimmig. 4. Nach welchem genauen organisatorisch-pädagogischen Konzept ist es derzeit beabsichtigt, an der neuen Sekundarschule in Gelsenkirchen ab der 7. Klasse zu unterrichten? (bitte exakte Angaben zur angedachten Unterrichtsform einer integrierten , teilintegrierten oder in kooperativen Bildungsgängen mit drei Bildungsgängen oder mit zwei Anforderungsebenen strukturierten Unterrichtung) Die Schule wurde als integrierte Sekundarschule genehmigt. 5. Welche organisatorische Standortgestaltung im Einzelnen liegt der neuen Se- kundarschule in Gelsenkirchen zugrunde? (Antwort bitte mindestens unter Angabe der Anzahl der Standorte sowie nach horizontaler, vertikaler oder einer anderen schulgesetzlich nicht vorgesehenen und damit einer Sondergenehmigung unterliegenden Gliederung und nach der jeweiligen Verteilung der Jahrgangsstufen /Klassen bei unterschiedlichen Standorten) Die Sekundarschule soll in horizontaler Gliederung mit zwei Standorten geführt werden: Klassen 5 bis 7 am Standort Eppmannsweg und Klassen 8 bis 10 am Standort St. MichaelStraße . Allerdings muss die siebte Klasse im Schuljahr 2014/2015 einmalig am Standort St.- Michael-Str. erfolgen, weil die Kapazitäten am Standort Eppmannsweg dann noch nicht ausreichen .