LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1993 29.01.2013 Datum des Originals: 28.01.2013/Ausgegeben: 01.02.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 766 vom 13. Dezember 2012 der Abgeordneten Astrid Birkhahn CDU Drucksache 16/1720 Inklusion gestalten geht nur gemeinsam Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 766 mit Schreiben vom 28. Januar 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin , dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die aktuelle Diskussion im Bereich Inklusion beschränkt sich lediglich auf das Segment Schule. Dabei betrifft Inklusion weitere gesellschaftliche Bereiche, wie beispielsweise den Übergang von Schule in das Berufsleben bzw. die generellen beruflichen Anschlussmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung. Im Berufsleben angekommen, ist es für die Betroffenen wichtig, dass sie auf Menschen treffen, die im Umgang mit Menschen mit Einschränkungen geübt sind bzw. entsprechend ausgebildet sind. Inklusion ist somit ein komplexes Themenfeld , dass nicht nur auf den Schulbereich heruntergebrochen werden darf, sondern die gesamte Gesellschaft betrifft. Vorbemerkung der Landesregierung In der Tat ist Inklusion eine große Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit und die Möglichkeiten eines inklusiven gesellschaftlichen Konzepts kann in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft nicht vorausgesetzt werden. Mit dem Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ hat die Landesregierung ihre Ziele auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft aufgezeigt und Handlungsfelder in allen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1993 2 Lebens- und Gesellschaftsbereichen benannt. Die Entwicklung eines inklusiven Bewusstseins im Sinne der VN-Behindertenrechtskonvention auf allen Ebenen gesellschaftlichen Handelns ist ein Prozess, der einen längeren Zeitraum umfassen wird und nur schrittweise gestaltet werden kann. Am 20. Dezember 2012 hat das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales den Inklusionsbeirat zu seiner konstituierenden Sitzung einberufen. Der Inklusionsbeirat wird als Forum dienen, um gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache sowie den Organisationen und Verbänden der Zivilgesellschaft die Realisierung inklusiver Projekte und Strukturen zu begleiten. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat mit Schreiben vom 19. September 2012 den Verbänden und Organisationen des Schullebens (§ 77 Absatz 3 Schulgesetz NRW) und den Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften und Berufsverbände (§ 94 Absatz 1 Landesbeamtengesetz) den Referentenentwurf des Ersten Gesetzes zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) einschließlich einer Begründung und synoptischen Übersicht sowie den Entwurf einer Verordnung über die Schulgrößen der Förderschulen und der Schulen für Kranke einschließlich einer Begründung übermittelt. Die Verbände konnten sich dazu bis zum 2. November 2012 äußern. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung wertet die Stellungnahmen derzeit aus und prüft, ob und in welchen Punkten die Entwürfe zu ändern sind. Danach wird das Kabinett über die Einbringung eines Gesetzentwurfs der Landesregierung beim Landtag entscheiden. Die Verordnung wird gemäß § 82 Absatz 10 Schulgesetz NRW erlassen werden. Das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in Schulen hat in Nordrhein-Westfalen eine bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichende Tradition. Insbesondere in den vergangenen Jahren ist der Anteil des gemeinsamen Lernens kontinuierlich gestiegen. Zahlreiche Schulträger in allen fünf Regierungsbezirken haben sich außerdem am Schulversuch „Kompetenzzentren für sonderpädagogische Förderung“ beteiligt. Dabei haben sie Erfahrungen gewonnen, die für die Weiterentwicklung des inklusiven Schulangebots in der Region notwendig sind. 1. Mit welchen Schwierigkeiten rechnet die Landesregierung am Anfang des Weges zur inklusiven Gesellschaft in der nächsten Halbdekade? Die Landesregierung geht die mit der Umsetzung der Anforderungen der VNBehindertenrechtskonvention verbundenen Herausforderungen mit dem von ihr verabschiedeten Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ zielgerichtet an. Die dahinter stehende Grundüberzeugung der Notwendigkeit einer „neuen Kultur inklusiven Denkens und Handelns“, die kontinuierliche Prüfung der landesrechtlichen Regelungen auf die Vereinbarkeit mit der VN-Behindertenrechtskonvention, die Sicherstellung der Beteiligung der Organisationen und Verbände der Zivilgesellschaft auf Landesebene an der Umsetzung, Überprüfung und Weiterentwicklung des Aktionsplanes sowie ein Maßnahmenpaket mit mehr als 100 Projekten in 21 Handlungsfeldern sind die Basis für das weitere Handeln der Landesregierung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1993 3 Der Aktionsplan ist kein statisches Programm. Er ist vielmehr als ein flexibles und dynamisches Konzept entwickelt worden, das offen ist für fachliche Anpassungen und Weiterentwicklungen gemeinsam mit den Organisationen und Verbänden der Menschen mit Behinderungen und weiteren Akteuren in der Politik und Gesellschaft. Generell gilt der Grundsatz „Sorgfalt geht vor Geschwindigkeit“. 2. Inwieweit werden die Beteiligten Akteure, also Lehrkräfte, Eltern und Kinder, in den Prozess hin zu einer inklusiven Schullandschaft und Gesellschaft einbezogen ? Der Aktionsplan „NRW inklusiv“ des Landes NRW beschreibt die Einbindung der beteiligten Akteure im Rahmen der Ausführungen zur Einrichtung eines Inklusionsbeirates. Der Inklusionsbeirat hat mit seiner konstituierenden Sitzung seine Arbeit aufgenommen; diese wird durch verschiedene Fachbeiräte begleitet. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hatte bereits im Jahr 2010 den sog. „Gesprächskreis Inklusion“ eingerichtet, in dem die beteiligten Akteure, unter anderem Elternund Lehrerverbände, kommunale Spitzenverbände, Kirchen, Landschaftsverbände, Fachverbände und Wissenschaft, Selbsthilfeorganisationen von Menschen mit Behinderungen und Abgeordnete der Landtagsfraktionen, einbezogen werden. Darüber hinaus fanden und finden eine Vielzahl von bilateralen Gesprächen mit den verschiedenen Beteiligten statt. Auch wurde der Referentenentwurf zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz allen vorgenannten Verbänden und Organisationen mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt und darüber hinaus der gesamten Öffentlichkeit durch Veröffentlichung auf der Homepage des Ministeriums für Schule und Weiterbildung zugänglich gemacht. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung beabsichtigt, den bisherigen „Gesprächskreis Inklusion“ als Fachbeirat „Schulische Bildung von Menschen mit Behinderungen“ weiterzuführen . 3. Wie konkret sieht das Zusammenwirken von Land, Kommunen und Kreisen so- wie dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe beim Ausbau der inklusiven Schullandschaft und Gesellschaft aus? (Aufgelistet nach Projekten in den Münsterlandkreisen ) Die Landesregierung verfolgt nicht das Ziel, das Zusammenwirken von Land, Kommunen und Kreisen und einem einzelnen Landschaftsverband in Form von einzelnen Projekten zu organisieren. Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Selbstverwaltung. Ergänzend zu den bisherigen Vorgaben in § 80 Schulgesetz NRW (Schulentwicklungsplanung ) sieht der Referentenentwurf zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz vor, dass die Schulentwicklungsplanung auch unter inklusiven Aspekten vorgenommen wird. 4. Welche Pläne hat die Landesregierung für Inklusion bei der Gestaltung des Übergangs von der Schule zum Berufsleben außerhalb der Modellregionen konkret am Beispiel des Kreises Warendorf? Die Landesregierung setzt auf systematische, kommunale Koordinierung durch das „Neue Übergangssystem Schule-Beruf NRW“ („Kein Abschluss ohne Anschluss“). Ziel und Aufgabe LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1993 4 der kommunalen Koordinierung ist es, alle Maßnahmen kommunal zu bündeln und zu koordinieren . Dabei sind alle Akteure, beispielsweise allgemeinbildende Schulen und Berufskollegs , Bildungsträger, Betriebe, Wirtschaftsorganisationen und die Agentur für Arbeit Teil der Vernetzung einer Bildungsregion. Dieses Übergangssystem gilt für alle Jugendlichen, also auch für Jugendliche mit Behinderungen bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf. Im Kreis Warendorf gab es bereits im Rahmen der Teilnahme am Landesprojekt „Selbstständige Schule“ ein regionales Bildungsbüro, das auch nach 2008 weiter entwickelt worden ist. Zwischenzeitlich wurde die kommunale Koordinierung in Warendorf eingerichtet. 5. Inwieweit werden Handwerks- und Wirtschaftsbetriebe über die Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkskammern in den Münsterlandkreisen konkret in den Prozess hin zu einer inklusiven Arbeitswelt miteinbezogen? Als Partner im Ausbildungskonsens NRW sind Handwerks- und Wirtschaftsbetriebe über IHK und WHKT in allen Entscheidungen zur Ausbildung und zum neuen Übergangssystem mit einbezogen. Die wesentlichen Themen im Zusammenhang mit Inklusion werden in der Industrie- und Handelskammer-Zeitschrift bedarfsorientiert kommuniziert. Die ehrenamtlichen Gremien, insbesondere der Berufsbildungsausschuss, befassen sich regelmäßig mit diesen Themen. Der Berufsbildungsausschuss ist z. B. auch für den Erlass entsprechender Rechtsvorschriften zuständig. Auch anlässlich der zahlreichen Firmenkontakte wird das Thema Inklusion von Seiten der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen mit den Gesprächspartnern diskutiert und über entsprechende Aktivitäten informiert. Nach Kenntnis der Landesregierung hat die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen keinen "Inklusionsbeauftragten" und führt auch kein "Inklusionsprojekt" durch. Die Handwerkskammer Münster hat in Kooperation mit dem Landschaftsverband WestfalenLippe bereits 1996 die Stelle eines Integrationsberaters (Fachberaters) zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen im Handwerk eingerichtet. Inzwischen fördert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe diese Stelle bei allen westfälischen Handwerkskammern, außer der Handwerkskammer Ostwestfalen zu Bielefeld, und der Landschaftsverband Rheinland bei den drei rheinländischen Handwerkskammern. Die Aufgaben der Integrationsberater umfassen insbesondere: - die Information und Beratung der Handwerksbetriebe über die Möglichkeiten und die Rahmenbedingungen der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen im Handwerk, vor allem hinsichtlich der technisch-organisatorischen Gestaltung der Arbeitsplätze, - die Vermittlung schwerbehinderter Menschen auf Ausbildungs- und Arbeitsplätze, - die Unterstützung der Handwerksbetriebe bei der Beantragung von Förderleistungen zur Eingliederung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen bei den zuständigen Leistungsträgern. Die Fachberatung der Handwerkskammer Münster hat pro Jahr etwa 100 bis 120 konkrete Betriebsberatungen, bei denen es zu 30 bis 35 Maßnahmen kommt. Dabei geht es in etwa 12 bis 15 Fällen um die Neueinstellung schwerbehinderter Menschen und in etwa 20 Fällen um Maßnahmen zur behinderungsbedingten Arbeitsplatzanpassung. Seit Oktober 2002 ist an der Handwerkskammer Münster die betriebswirtschaftliche Beratungsstelle für Integrationsprojekte im Landschaftsverband Westfalen-Lippe angesiedelt. Die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1993 5 Aufgaben umfassen neben der betriebswirtschaftlichen Gründungsberatung und weiteren Begleitung auch die Vernetzung dieser Unternehmen insbesondere durch das Angebot von Schulungen und Branchenworkshops. Im Bereich des Landschaftsverbandes WestfalenLippe gibt es aktuell 128 in Betrieb befindliche Integrationsprojekte, davon 29 in Betrieben mit einer Integrationsabteilung mit insgesamt 1.322 Beschäftigten aus der Zielgruppe gem. § 132 SGB IX. Um das Thema Inklusion im Arbeitsleben sowie die Unterstützungsmöglichkeiten noch präsenter zu machen, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen: - Veröffentlichung der „Sieben guten Gründe für eine Integrationsabteilung“ in den „Tipps zur Unternehmensführung“ im Deutschen Handwerksblatt. - Vorstellung von Integrationsabteilungen im Arbeitskreis für Tischler und im Wirtschaftsförderungsausschuss der Handwerkskammern. - Unterstützung der Pressearbeit des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe im Vorfeld der Integrationsmesse „Unternehmen tun Gutes – inklusiv arbeiten“. Ein weiterer Aufgabenbereich im Auftrag des Integrationsamtes des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ist die betriebswirtschaftliche Beratung von schwerbehinderten Existenzgründern .