LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2058 12.02.2013 Datum des Originals: 12.02.2013/Ausgegeben: 15.02.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 827 vom 11. Januar 2013 des Abgeordneten Ernst-Ulrich Alda FDP Drucksache 16/1918 Warum verzichtet die Landesregierung auf die Nutzung bestehender Gesetze zur Festlegung von branchenbezogenen Mindestlöhnen? Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 12. Februar 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bekanntlich wurden auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) sowie des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) bisher Mindestlöhne für elf Branchen mit über vier Millionen Beschäftigten unter der Regie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) festgelegt. Diese Mindestlöhne gelten somit auch für tarifungebundene Unternehmen. Es handelt es sich um folgende Branchen: • Das Gebäudereiniger-Handwerk • Das Dachdecker-Handwerk • Die Pflegebranche (Alten- und ambulante Krankenpflege) • Das Bauhauptgewerbe • Das Wach- und Sicherheitsgewerbe • Die Abfallwirtschaft • Das Elektrohandwerk • Das Maler- und Lackiererhandwerk • Wäschereien im Objektkundengeschäft • Bergbau-Spezialgesellschaften • Zeitarbeit. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2058 2 Allerdings gilt für die Aufnahme einer Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetzes die Voraussetzung, dass für mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmer eine Tarifbindung bestehen muss. Mit dem novellierten Mindestarbeitsbedingungengesetz ist es möglich, dass der Staat in Branchen, in denen die Tarifbindung geringer ist als 50 Prozent, Mindestlöhne festsetzen kann. Das zentrale Instrument ist der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales einzurichtende ständige Hauptausschuss. Dieser besteht aus einem Vorsitzenden sowie sechs weiteren ständigen Mitgliedern. Diese werden von der Bundesregierung für drei Jahre berufen. Das Vorschlagsrecht für den Vorsitzenden und zwei weitere Mitglieder sowie deren Stellvertreter liegt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales und für je zwei Mitglieder und deren Stellvertreter bei den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer (§ 2 MiArbG). Die Aufgabe des Hauptausschusses ist es, festzustellen, „ob in einem Wirtschaftszweig soziale Verwerfungen vorliegen und Mindestarbeitsentgelte festgesetzt, geändert oder aufgehoben werden sollen.“ (§ 3 MiArbG Abs. 1) Weiter heißt es in § 3 Abs. 2: „Die Bundesregierung, die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie die Landesregierungen können dem Hauptausschuss unter Angabe von Gründen Vorschläge für die Festsetzung, Änderung oder Aufhebung von Mindestarbeitsentgelten unterbreiten .“ Der jetzige Erste Bürgermeister von Hamburg und frühere Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, hat in seiner Rede im Deutschen Bundestag zum ArbeitnehmerEntsendegesetz und Mindestarbeitsbedingungengesetz am 16. Oktober 2008 folgendes festgestellt: „Das Mindestarbeitsbedingungengesetz stammt aus dem Jahre 1952. Es gab damals einen Antrag der SPD-Fraktion, und mit der Mehrheit der CDU/CSU-Stimmen im Deutschen Bundestag wurde es dann beschlossen. Insofern steht es in einer guten Tradition, dass wir es jetzt mit Leben erfüllen und dafür sorgen, dass es endlich auch zur Anwendung kommt.“ Der Hauptausschuss wurde jedoch erst in einem Fall angerufen. Der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 17/7132) ist folgendes zu entnehmen: „Der Hauptausschuss nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz hat sich in seiner Sitzung am 4. Juli 2011 mit einem Vorschlag der dbb tarifunion für die Festsetzung eines Mindestlohns für externe Call Center befasst und sodann eine ablehnende Entscheidung getroffen. Diese hat der Vorsitzende des Hauptausschusses, Dr. Klaus von Dohnanyi, am 7. Juli 2011 bekannt gemacht. Die Bundesregierung hat die Entscheidung zur Kenntnis genommen.“ 1. Welche Erklärung hat die Landesregierung dafür, dass bislang von der Möglich- keit zur Festsetzung von Mindestlöhnen auf der Grundlage des Mindestarbeitsbedingungengesetzes kein Gebrauch gemacht wurde? Das im Jahre 2008 novellierte Mindestarbeitsbedingungengesetz hat bisher in keiner Branche mit geringer oder gar keiner Tarifbindung dazu geführt, dass verbindliche Lohnuntergrenzen eingezogen worden sind. Es gab nur einen, letztlich erfolglosen Anlauf seitens des Deutschen Beamtenbundes, in der Call-Center-Branche einen Mindestlohn auf der Grundlage des Mindestarbeitsbedingungengesetzes einzuführen. Der Vorsitzende des Hauptausschusses beim Bundesarbeitsministerium, Klaus von Dohnanyi äußerte sich nach dem Verfahren in der Süddeutschen Zeitung (vom 11. Juli 2011) dahingehend, dass es in diesem Verfahren nicht möglich gewesen sei, die Tatbestandsvoraussetzung der „sozialen Verwerfungen“ festzustellen. Dieser Rechtsbegriff sei weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung definiert; dies müsse daher in jedem Verfahren geschehen . Dazu seien verschiedene Kriterien heranzuziehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2058 3 In der Anhörung zu dem Gesetzentwurf hatte bereits das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung (Ausschussdrucksache 16(11)1117, S. 34, 35) darauf hingewiesen, dass das Gesetz in seiner Anwendung unpraktikabel, hoch bürokratisch und wenig erfolgversprechend sei. Der Landesregierung Nordrhein-Westfalen liegen aber keine abschließenden Erkenntnisse darüber vor, ob dies die Beweggründe sind, dass es bisher lediglich einen Vorschlag für die Festsetzung eines Mindestlohns auf der Grundlage des Mindestarbeitsbedingungengesetzes gab. Zur Haltung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wird auf die Beantwortung zur Frage 3 verwiesen. 2. Gibt es aus Sicht der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen Branchen, die in den Geltungsbereich des Mindestarbeitsbedingungengesetzes fallen? Ja. Laut IAB-Betriebspanel 2011 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung unterlagen 54 % der westdeutschen Beschäftigten der Tarifbindung durch einen Branchentarifvertrag . Es gibt Wirtschaftszweige mit einer Tarifbindung bis zu 100 % wie die Öffentliche Verwaltung /Sozialversicherung und Wirtschaftszweige mit einer Tarifbindung von (deutlich) unter 50 % wie der Bereich Information und Kommunikation (16 %). Auch der Handel (43 %) und das Verkehrs- und Lagergewerbe (44 %) weisen Quoten von unter 50 % auf. Differenzierte bzw. vollständige Zahlen über die Tarifbindung sämtlicher 189 Branchen mit einem Flächentarifvertrag in Nordrhein-Westfalen liegen allerdings nicht vor. Bei Branchen ohne Flächentarifvertrag gibt es naturgemäß keinen fachlichen Geltungsbereich , da dieser erst durch den Tarifvertrag festgeschrieben wird, so dass die Abgrenzung einer möglicherweise für das Mindestarbeitsbedingungengesetz in Frage kommenden Branche schwierig bzw. unlösbar ist, wenn ein solcher Tarifvertrag fehlt. 3. Falls ja, aus welchem Grund hat die Landesregierung bislang darauf verzichtet, das Instrument des Mindestarbeitsbedingungengesetzes zu nutzen? Die Landesregierung hält das Verfahren zur Festsetzung eines Mindestlohns nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz aufgrund der geschilderten Abgrenzungsschwierigkeiten (s. Antwort zu Frage 2) und der unbestimmten Rechtsbegriffe wie z.B. der sozialen Verwerfungen (s. Antwort zu Frage 1) für unpraktikabel. Daher setzt sich die Landesregierung für die Schaffung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns und für die Stärkung des Instrumentes der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen durch eine Erleichterung der Zugangsvoraussetzungen ein.