LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2065 13.02.2013 Datum des Originals: 13.02.2013/Ausgegeben: 18.02.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 821 vom 14. Januar 2013 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/1889 Millionenschaden durch Überlastung der nordrhein-westfälischen Justiz? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 821 mit Schreiben vom 13. Februar 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Jüngste Medienberichte skizzieren unter der Überschrift „Justiz in OWL überfordert – Staat verliert Millionen“ ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung vor dem Landgericht Bielefeld. Wie die Neue Westfälische am 13. Dezember 2012 berichtet, habe die Staatsanwalt Bielefeld in dem Fall etliche Monate ermittelt und schließlich bereits Anfang 2011 Anklage wegen Steuerhinterziehung vor einer Wirtschaftsstrafkammer des Bielefelder Landgerichts erhoben, bis heute habe das Landgericht jedoch noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Der Sprecher des Landgerichts, Guiskard Eisenberg, begründete dies laut dem Bericht damit, dass die zuständige Strafkammer überlastet sei und sich immer wieder den eiligeren Haftsachen widmen müsse. Die Staatsanwaltschaft in Bielefeld balle nun die Faust in der Tasche. Bei einer Verurteilung in Deutschland wäre vermutlich eine hohe Summe an den deutschen Fiskus nachzuzahlen und auch eine Geldbuße zu entrichten gewesen. Dazu werde es nun aber aller Voraussicht nach nicht mehr kommen. Denn die Staatsanwaltschaft Innsbruck, die sich aufgrund des Wohnsitzes des Angeklagten ebenfalls zuständig fühlte, klagte ihn zwischenzeitlich ebenfalls an, wobei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck Mitte Januar 2013 zu erwarten sei. Dies ist besonders pikant, da Finanzminister Dr. Walter-Borjans immer wieder mit dem fragwürdigen Ankauf von Steuer-CD´s gegen Steuersünder aufwartet und Justizminister Kutschaty landauf landab für ein Unternehmensstrafrecht eintritt, jeweils verbunden mit der Botschaft, nach geltendem Recht könne man Täter nicht ausreichend belangen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2065 2 In Drs. 16/454 hatte die Landesregierung noch im Juli 2012 ausgeführt, im strafrichterlichen Bereich des Landgerichts Bielefeld liege ein personeller Engpass nicht vor und habe auch nicht vorgelegen. 1. Inwieweit treffen die geschilderten Tatsachen zu, nach denen trotz Vorliegen der Anklageschrift seit zwei Jahren das Hauptverfahren nicht eröffnet wurde und das Strafverfahren durch die zuständige Strafkammer des Landgerichts Bielefeld nunmehr nicht mehr durchgeführt werden kann, weshalb eine mögliche Verurteilung und Steuernachzahlungen und eine Geldbuße ausscheiden? Dem in der Kleinen Anfrage angesprochenen Verfahrenskomplex des Landgerichts Bielefeld liegen zwei Anklageschriften der Staatsanwaltschaft Bielefeld zugrunde. Die erste Anklage ist bei der zuständigen Wirtschaftstrafkammer am 08.02.2011, die zweite am 18.07.2012 eingegangen. Eine in richterlicher Unabhängigkeit zu treffende Entscheidung über die Verbindung der beiden Verfahren und die Eröffnung des Hauptverfahrens ist noch nicht ergangen . Es steht mithin bislang nicht fest, dass das Strafverfahren nicht mehr durchgeführt werden kann. Von den deutschen Steuerbehörden festgesetzte Steuern sind grundsätzlich - ggf. nach Maßgabe einer Klärung durch das Finanzgericht - ungeachtet steuerstrafrechtlicher Aburteilungen zu begleichen. 2. Welchen Personalaufwand bei der damit befassten Polizei und Staatsanwalt- schaft haben die Ermittlungen bis zur Anklage in dem genannten Fall erfordert? Die Bezifferung des Personalaufwandes in einem einzelnen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren bei Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung oder Polizei ist grundsätzlich nicht möglich, da Ermittlungsbeamte und -beamtinnen in der Regel zeitgleich in verschiedene Ermittlungsverfahren eingebunden sind. Über den dafür jeweils investierten Arbeits- bzw. Zeitaufwand werden keine Aufzeichnungen geführt. 3. Wie stellt sich die Belastung der zuständigen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld (Wirtschaftsstrafkammer) jeweils in den Jahren 2011 und 2012 im Vergleich zur Belastung der anderen Wirtschaftsstrafkammern der nordrheinwestfälischen Gerichte dar (bitte unter Angabe, wie viele Strafsachen bei der zuständigen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld in den Jahren 2011 und 2012 verhandelt wurden und unter Angabe der stellenbasierten Belastungsquote sowie zusätzliche Angaben zur Personalverwendung und der daraus resultierenden personalverwendungsbasierten Belastungsquote entsprechend Vorlage 16/231)? Im Geschäftsjahr 2011 sind bei der 9. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bielefeld 6 Verfahren neu eingegangen, bis zum 3. Quartal 2012 weitere 6 Verfahren. Eine Belastungsquote (Eingänge/Richterarbeitskraft) für die 9. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bielefeld wird nicht gesondert erhoben. Vielmehr erfolgt nur eine gemeinsame Erhebung für beide Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts Bielefeld zusammen. Danach lag die Belastung der beiden Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts Bielefeld im Jahr 2011 und in den ersten 3 Quartalen des Jahres 2012 rechnerisch unter der Belastung der Wirtschaftsstrafkammern anderer Landgerichte im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm. Im Geschäftsjahr 2011 sind bei den Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts Bielefeld 3,38 Verfahren je Richterarbeitskraft eingegangen; im Durchschnitt des Oberlandesgerichtsbezirks Hamm wa- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2065 3 ren es 8,4 Verfahren je Richterarbeitskraft. Während der ersten 3 Quartale des Jahres 2012 wurde mit bisher 2,5 Eingängen je Richterarbeitskraft bei den Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts Bielefeld der Bezirksdurchschnitt von 6,51 Verfahren gleichfalls unterschritten. Die in den Jahren 2011 und 2012 gleichwohl zu verzeichnende besondere Belastung der 9. Großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld beruht auf einem Umfangsverfahren mit einer erheblichen Anzahl an Sitzungstagen. Eine stellen- oder personalverwendungsbasierte Belastungsquote für die 9. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bielefeld wird statistisch nicht ausgewiesen. Das Personalbedarfsberechnungssystem PEBB§Y ist nicht dafür konzipiert, für einen einzelnen Spruchkörper , wie z. B. eine bestimmte Strafkammer, eine stellen- oder personalverwendungsbasierte Belastungsquote zu generieren. Hierfür stehen die erforderlichen Parameter wie Anzahl der Planstellen/Stellen und Personalverwendung auf dieser Aggregationsebene nicht zur Verfügung . Dies dient nicht zuletzt der Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit. 4. In wie vielen Verfahren steht die Eröffnung des Hauptverfahrens durch die zu- ständige Strafkammer des Landgerichts Bielefeld (Wirtschaftsstrafkammer) derzeit noch aus (bitte unter Angabe des Datums des Eingangs der jeweiligen Anklageschrift )? Am 22.01.2013 stand die Eröffnung des Hauptverfahrens durch die zuständige Strafkammer des Landgerichts Bielefeld in 12 Verfahren aus. Art der Sache Eingang der Anklage Steuerstrafsache 08.02.2011 Wirtschaftsstrafsache 16.03.2011 Wirtschaftsstrafsache 16.07.2012 Steuerstrafsache 18.07.2012 Allgemeine Strafsache 27.07.2012 Wirtschaftsstrafsache 26.09.2012 Wirtschaftsstrafsache 09.10.2012 Allgemeine Strafsache 12.11.2012 Allgemeine Strafsache 21.11.2012 Allgemeine Strafsache 05.12.2012 Allgemeine Strafsache (Haft) 14.01.2013 Allgemeine Strafsache 16.01.2013 5. In wie vielen Verfahren wegen Steuerhinterziehung oder Wirtschaftsstrafverfah- ren steht die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das zuständige Strafgericht derzeit in NRW noch aus, obwohl die Anklageschrift dort mehr als ein Jahr vorliegt ? Statistisches Material über die Zahl sämtlicher Steuerstraf- oder Wirtschaftsstrafsachen, in denen die Eröffnung durch das zuständige Strafgericht noch aussteht, obwohl die Anklageschrift mehr als 1 Jahr vorliegt, liegt der Landesregierung nicht vor. Eine gesonderte Abfrage bei allen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit wäre sehr zeitaufwändig und ist in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.