LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2077 14.02.2013 Datum des Originals: 13.02.2013/Ausgegeben: 19.02.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 820 vom 14. Januar 2013 des Abgeordneten Dirk Schatz PIRATEN Drucksache 16/1888 Rechtsextreme Musikveranstaltungen in NRW Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 820 mit Schreiben vom 13. Februar 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie , Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Skinheadszene ist die Musik rechtsextremistischer Bands und Liedermacher nach wie vor ein bedeutsames Medium zur Verbreitung rassistischer und nationalsozialistischer Ideologien . Mit Hilfe von Rechtsrock wird insbesondere versucht, Jugendlichen rechtsextreme Inhalte zu vermitteln und Kontakte zur Szene herzustellen. Auch die rechtsextremistische Blood & Honour Bewegung bekennt, dass Musik das ideale Mittel sei, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als das in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann. Als Austragungsorte dienen Diskotheken, Gaststätten oder Vereinsheime, wobei derartige Veranstaltungen oft auch unter Vortäuschung einer privaten Veranstaltung stattfinden. Im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2011 wurde dazu festgestellt, dass im Jahre 2010 sieben rechtsextreme Musikveranstaltungen stattgefunden hätten und sich diese Zahl im Jahr 2011 mit 16 Veranstaltungen sogar verdoppelt habe. Auch laut einem aktuellen Bericht häufen sich die Auftritte in der rechtsextremen Musikszene . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2077 2 1. Von welchen Musikveranstaltungen der extremen Rechten in NRW im Jahr 2012 hat die Landesregierung Kenntnis (Ort, Datum, Zahl der Teilnehmer, Bands)? In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2012 insgesamt 8 rechtsextremistische Musikveranstaltungen festgestellt. Hierbei handelte es sich um zwei Liederabende, drei Konzerte sowie drei sonstige Veranstaltungen, bei denen rechtsextremistische Musik gespielt wurde. Darüber hinaus wurde eine Musikveranstaltung im Vorfeld verboten. Die überwiegende Anzahl der Veranstaltungen wurde im Ruhrgebiet bzw. im erweiterten Ruhrgebiet durchgeführt. Bei der größten Veranstaltung wurden ca. 200 Personen festgestellt. Im Übrigen beliefen sich die Besucherzahlen auf ca. 50 bis 100 Personen pro Veranstaltung. Im Rahmen der Konzerte wurden u.a. Auftritte der Skinhead-Bands "Angry Bootboys", "Oidoxie", "Sleipnir" und "Non Plus Ultra" festgestellt. 2. Was hat nach Meinung der Landesregierung dazu geführt, dass die Anzahl rechtsextremistischer Musikveranstaltungen in den letzten Jahren gestiegen ist? Die Zahlen der festgestellten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen schwanken stark (2010: 7; 2011: 16; 2012: 8). Nach den Erkenntnissen der Landesregierung kann ein kontinuierlicher Anstieg rechtsextremistischer Musikveranstaltungen für Nordrhein-Westfalen zum derzeitigen Zeitpunkt jedoch nicht festgestellt werden. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen werden üblicherweise äußerst konspirativ vorbereitet und verabredet. In der Regel werden bei der Vorbereitung einer Musikveranstaltung mehrere Ausweichlokalitäten eingeplant, um möglichen kurzfristigen Verboten entgegenwirken zu können. Darüber hinaus müssen bei der Anreise zum Veranstaltungsort oftmals mehrere Orte angefahren werden. Nach jeder Station erhält der Interessierte dann neue Anweisungen . An der letzten Station vor dem eigentlichen Konzertort erfolgt in der Regel eine "Gesichtskontrolle" des Interessenten. Die Adresse der Lokalität bzw. des Veranstaltungsortes wird nur nach erfolgreich bestandener "Gesichtskontrolle", d.h. wenn die Kontaktperson sicher ist, dass der Interessent der "rechten Szene" angehört, weitergegeben. Sofern Zweifel an dem Interessenten bestehen, wird der Veranstaltungsort nicht genannt. Diese konspirative Vorgehensweise erschwert die Erkenntnisgewinnung. 3. Welche Rolle spielt das Medium Internet im Zusammenhang mit rechtsextremis- tischen Musikveranstaltungen? Das Internet ermöglicht eine schnelle und größtenteils anonyme Kommunikation. Auf diesem Weg können Musikveranstaltungen geplant und organisiert werden. In sozialen Netzwerken (z. B. Facebook) oder in zugangsbeschränkten Foren können Meinungen und Informationen ausgetauscht werden. Durch die Verlagerung der Kommunikation auf ausländische Server, z. B. russische oder amerikanische Server, ist man vor Löschungen bzw. Sperrungen weitestgehend geschützt. Darüber hinaus sind zwischenzeitlich "Smartphones", die einen nahezu dauerhaften Zugang zum Internet gewährleisten, weit verbreitet. Aufgrund der ständigen Erreichbarkeit des Internets kann eine große Personenzahl kurzfristig über bestimmte Aspekte, wie beispielsweise ein Wechsel des Veranstaltungsortes, informiert werden. Dies wiederum erschwert die Aufklärung bzw. die Verhinderung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2077 3 4. Wie beurteilt die Landesregierung ihre bisher getroffenen Maßnahmen und Projekte , wie z. B. die Broschüre Musik-Mode-Markenzeichen, im Hinblick auf die gestiegenen Zahlen? Die Broschüre „Musik – Mode – Markenzeichen. Rechtsextremismus bei Jugendlichen“ richtet sich an Eltern und pädagogische Fachkräfte. Sie findet bei diesen Zielgruppen ein starkes Interesse und wurde im Juni 2012 in der 6. Auflage und inzwischen in einer Gesamtauflage von 60.000 Exemplaren veröffentlicht. Die Broschüre erläutert Merkmale, die für eine Annäherung junger Menschen an den Rechtsextremismus sprechen können. Dies gilt für Symbole , Codes und bestimmte Kleidungsmarken, insbesondere für das Musikspektrum dieser Szene. Insofern ist die Broschüre, die kostenlos beim Verfassungsschutz NRW bestellt werden kann und zum Download im Internet zur Verfügung steht, ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung und Prävention. Weitere stark nachgefragte Publikationen, die über rechtsextremistische Musik aufklären, sind das erste Heft des Bildungscomics "Andi" in Verbindung mit einer Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer sowie die Publikation "Erlebniswelt Rechtsextremismus . Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Hintergründe – Methoden – Praxis der Prävention", die der Verfassungsschutz NRW gemeinsam mit jugendschutz.net und der Landeszentrale für politische Bildung im November 2012 in einer völlig überarbeiteten Neuauflage veröffentlicht hat. Die Publikation umfasst einen Sammelband und eine CD-ROM mit Materialien für die Jugendbildungsarbeit. Diese vom Verfassungsschutz NRW teilweise zusammen mit Kooperationspartnern erstellten Veröffentlichungen sind wichtige Beiträge zur Aufklärung über Erscheinungsformen und Strategien des Rechtsextremismus. 5. Welche konkreten Maßnahmen hat die Landesregierung geplant, um Jugendli- che, Eltern, Lehrpersonal und Polizei verstärkt über die Inhalte rechtsextremistischer Musik aufzuklären? Aufklärung zum Thema Rechtsextremismus für alle relevanten Zielgruppen – über Inhalte, Strategien und Werbemethoden dieser Szene – besitzt seit langem einen besonderen Stellenwert für die Landesregierung. Schwerpunkte der Arbeit des Ministeriums für Inneres und Kommunales liegen auf der Information von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie der nordrhein-westfälischen Kommunen. Zum Themenfeld Rechtsextremismus führt der Verfassungsschutz Aufklärungsveranstaltungen in allen Landesteilen durch – im Jahr 2011 rund 80 Veranstaltungen mit etwa 3.300 Teilnehmenden. Eine ähnlich hohe Zahl an Veranstaltungen hat 2012 stattgefunden, die statistische Auswertung für 2012 liegt zurzeit noch nicht vor. Gut zwei Drittel der Veranstaltungen im Jahr 2011 richteten sich an ein Fachpublikum, überwiegend an pädagogische Fachkräfte als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Schule und der außerschulischen Jugendarbeit. Seine Informationsarbeit wird der Verfassungsschutz NRW künftig intensiv fortsetzen. Die Veranstaltungen sensibilisieren für jugendaffine Methoden, mit denen Rechtsextremisten werben. Dies gilt insbesondere für rechtsextremistische Musik und Präsenzen im World Wide Web und in sozialen Netzwerken. Auf Einladung der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung werden regelmäßig halb- oder ganztägige Workshops durchgeführt, in denen sich Lehramtsanwärterinnen und -anwärter mit Inhalten und Werbestrategien rechtsextremistischer Jugendmedien auseinandersetzen: insbesondere mit Musik und Videos aus dem Internet . Aufklärungsveranstaltungen, die diese Aspekte in den Fokus nehmen, finden auch im Rahmen von Elternabenden an Schulen oder der polizeilichen Weiterbildung statt. Weitere Informationen können dem Bericht über Maßnahmen zur Extremismusprävention in Nordrhein-Westfalen, den die Landesregierung dem Landtag im Oktober 2012 vorgelegt hat (www.mik.nrw.de/uplods/mdia/Praeventionsbericht_2012_01.pdf), entnommen werden.