LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2164 21.02.2013 Datum des Originals: 15.02.2013/Ausgegeben: 28.02.2013 (26.02.2013) Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Neudruck Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 843 vom 20. Januar 2013 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/1954 Ergebnisse steuerlicher Betriebsprüfungen in Nordrhein-Westfalen – In welchem Verhältnis stehen Aufwand, Nutzen und Auswirkungen auf Unternehmen? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 843 mit Schreiben vom 15. Februar 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Außenprüfung ist ein wichtiges Instrument der Finanzverwaltung zur Sicherstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Durchsetzung des Besteuerungsanspruchs des Staates. Sie ist gemeinhin besser unter der Begrifflichkeit Betriebsprüfung bekannt. Die Länder erfassen jährlich die Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung und melden ihre Daten an das Bundesfinanzministerium weiter. Diese Statistik umfasst die von den Ländern verwalteten Besitz- und Verkehrsteuern sowie die Gewerbesteuer. Geprüft werden dabei gewerbliche Unternehmen, land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Freiberufler oder sonstige Steuerpflichtige . Differenziert wird in den Statistiken in der Regel zwischen Großbetrieben, Mittelbetrieben, Kleinbetrieben und Kleinstbetrieben. Prüfungsturnus und Prüfungsintensität differieren für die einzelnen Betriebsgrößen stark. Der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen hat beispielsweise im Sommer 2009 veröffentlicht, dass ein Großbetrieb rechnerisch alle 4,26 Veranlagungsjahre geprüft wird, während 90,78 Jahre vergehen, bis ein Kleinstbetrieb wieder mit einer Betriebsprüfung rechnen muss. Im Durchschnitt der Größenklassen lagen seinerzeit 39,84 Jahre zwischen den Prüfungen. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Veranlagungsjahr geprüft wird, ist unterschiedlich. Während bei Großbetrieben rund 82 Prozent der Veranlagungsjahre geprüft werden, sind es bei Kleinstbetrieben nach Angaben des Städte - und Gemeindebundes lediglich etwa 3 Prozent. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2164 2 Konkret verfolgt die steuerliche Betriebsprüfung die Überprüfung der erklärten Einkünfte eines Unternehmers. Aufgabe der Betriebsprüfer ist es, steuerlich bedeutsame Sachverhalte zu ermitteln und zu beurteilen. Der Unternehmer hat den prüfenden Vertretern der Finanzverwaltung dazu sämtliche steuerlich relevanten aufbewahrungspflichtigen Unterlagen und Daten vorzulegen. Eine Prüfung ist insbesondere für kleinere Betriebe mit einem hohen personellen , zeitlichen und organisatorischen Aufwand verbunden. Die Unternehmen selbst haben in der Regel ein Interesse an zeitnahen Betriebsprüfungen und kürzeren Prüfungsperioden , da es Konzerne wie Mittelständler belastet, wenn steuerliche Sachverhalte erst mit einigen Jahren Verzögerung bearbeitet und dann möglicherweise von der Finanzverwaltung anders bewertet werden. Unternehmen brauchen daher Klarheit und Rechtssicherheit bei steuerlichen Sachverhalten. Aus Betriebsprüfungen eventuell resultierende Steuernachforderungen sind oftmals für mittelständische Unternehmen nur schwer in kurzer Zeit aufzubringen. Ihnen wird durch die jahrelange Verzögerung die Möglichkeit genommen, sich in ihrer betrieblichen Praxis auf die Beurteilung der Finanzverwaltung einzustellen. Insofern wäre es richtig, auch auf betriebliche Erfordernisse und Belange von Seiten der Finanzverwaltung zu reagieren. Die rot/grüne Landesregierung hat bereits kurz nach ihrer Regierungsübernahme damit begonnen , ab Januar 2011 mehrere hundert zusätzliche Betriebsprüfer einzustellen, um die Steuerprüfungen in Nordrhein-Westfalen zu intensivieren. Damit werde das Ziel verfolgt, die Einnahmen des Landes zu erhöhen sowie für „eine gerechtere Lastenverteilung der Firmen“ zu sorgen, wie Finanzminister Dr. Norbert Walther-Borjans den Medien gegenüber erklärt hat. Die Annahme der Landesregierung, die sich auf Untersuchungen von Finanzökonom Dr. Frank Hechtner stützt, dass mit Zunahme der Betriebsprüfungen auch die Steuereinnahmen wachsen, bedarf einer differenzierteren Betrachtung. Entscheidender als die Einstellung weiterer Betriebsprüfer für zusätzliche Prüfungen dürften daher beispielsweise die genauen Parameter sein, auf deren Grundlage entschieden wird, wer konkret geprüft wird. Aufgrund der Auswirkungen auf den Landeshaushalt im Hinblick auf die von der Regierung prognostizierten Mehreinnahmen, aber auch vor dem Hintergrund der Konsequenzen von Betriebsprüfungen für die Unternehmen in unserem Land, ist es für das Parlament von hohem Interesse, differenziertere Informationen und Statistiken über Betriebsprüfungen im Land sowie deren Praxis und Ergiebigkeit in Abhängigkeit von Kontextfaktoren zu erhalten. 1. Wie viele Betriebe sind jeweils jährlich in den letzten zehn Jahren in Nordrhein- Westfalen im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung, jeweils differenziert nach Branchen und Betriebsgrößenklassen, von den Steuerbehörden aufgesucht worden? (bitte möglichst genaue statistische Darlegung des Sachverhalts) In der bundeseinheitlichen Betriebsprüfungsstatistik wird die Zahl der geprüften Betriebe nur nach Größenklassen differenziert; eine weitere Unterteilung nach Branchen erfolgt nicht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2164 3 Geprüfte Betriebe Großbetriebe Mittelbetriebe Kleinbetriebe Kleinstbetriebe 2003 8.091 10.324 9.813 13.701 2004 8.758 10.260 9.895 15.097 2005 8.714 10.424 10.177 14.818 2006 8.772 10.404 10.571 14.736 2007 8.526 10.387 10.721 15.794 2008 8.317 10.157 10.261 15.441 2009 8.725 9.499 10.412 14.799 2010 9.051 9.773 10.136 14.735 2011 8.981 9.757 9.940 14.054 2012 9.067 10.794 10.052 14.546 Sollte sich die Frage („…von der Steuerbehörden aufgesucht worden...“) auch auf den Prüfungsort beziehen, liegen hierzu keine statistischen Daten vor. Grundsätzlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass bei Großbetrieben nahezu alle Prüfungen im Betrieb oder beim steuerlichen Berater durchgeführt werden, während bei kleineren Betrieben auch Prüfungen im Finanzamt stattfinden. 2. Welche einzelnen Erkenntnisse zu Unterschieden in der steuerlichen Ergiebig- keit dieser Außenprüfungen liegen dem Finanzminister vor, wenn branchenspezifische Aspekte, Betriebsgrößenklassifizierungen oder Betrachtungen der unterschiedlichen Rechtsform bzw. Unternehmereigenschaft des Geprüften vorgenommen werden? (Beurteilung der Ergiebigkeit bitte sowohl in absoluten Beträgen wie in Prozent vom Prüfungsumfang vornehmen) Zu branchenspezifischen Auswertungen verweise ich auf die Antwort zu Frage 1; Entsprechendes gilt für Analysemöglichkeiten im Hinblick auf Rechtsform bzw. Unternehmereigenschaft des Geprüften. Die in der Frage angesprochene „steuerliche Ergiebigkeit dieser Außenprüfungen“ ist keine statistische Kennzahl. Die Außenprüfung dient gem. § 194 Abgabenordnung (AO) der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Im Rahmen der Prüfung sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (Besteuerungsgrundlagen), zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen (§ 199 AO). In der bundeseinheitlichen Betriebsprüfungsstatistik werden die festgestellten Mehr-(Minder- )Steuern („Mehrergebnis“) als Differenz zwischen den Steuern vor Betriebsprüfung und den Steuern nach dem Ergebnis einer durchgeführten Prüfung erfasst. Nach dieser Methode ergeben sich für Nordrhein-Westfalen folgende Zahlen: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2164 4 Mehrergebnis in Euro Großbetriebe Mittelbetriebe Kleinbetriebe Kleinstbetriebe 2003 3.462.243.625 369.717.094 197.099.548 274.174.022 2004 3.893.109.271 279.047.246 194.897.029 248.628.676 2005 4.320.845.150 312.715.300 172.280.506 262.007.365 2006 3.762.163.998 322.472.583 204.047.339 304.920.784 2007 2.994.270.799 306.639.496 199.778.751 261.305.790 2008 4.135.838.453 331.664.898 201.792.332 269.353.901 2009 4.936.128.650 268.199.656 232.155.556 266.866.795 2010 3.376.796.676 322.914.306 209.887.723 257.556.513 2011 4.447.161.801 288.560.747 210.515.409 264.466.926 2012 3.421.175.110 331.452.539 233.599.662 432.524.864 Die von 2010 bis 2012 durch die Initiative der Landesregierung um 236 gestiegene Zahl der vorhandenen Betriebsprüfer hat dazu geführt, dass wieder mehr Betriebsprüfungen durchgeführt werden konnten. Eine Steigerung des Mehrergebnisses war hiermit noch nicht verbunden , weil das Gesamtmehrergebnis immer von der Frage abhängig ist, wie viele Größtfälle im jeweiligen Jahr statistisch abgeschlossen werden. Perspektivisch ist aber mit einer Steigerung zu rechnen. Der Bundesvergleich zeigt, dass es sich auszahlt, die Betriebsprüfung personell vernünftig auszustatten: NRW trägt jährlich rund 1/3 bis ¼ zum bundesweiten Gesamtmehrergebnis der Betriebsprüfungen bei. 3. Wie haben sich jeweils jährlich in den letzten zehn Jahren die durch Betriebsprü- fungen einerseits festgestellten und andererseits rechtskräftigen Mehrergebnisse entwickelt? (falls verfügbar, bitte auch hier Darstellung differenziert nach Betriebsgrößenklassen so-wie branchenspezifischen Ergebnissen oder regionalen Unterschieden) Statistisch werden die Mehrergebnisse bereits in dem Zeitpunkt berücksichtigt, in dem der Betriebsprüfungsbericht von dem zuständigen Sachgebietsleiter gezeichnet wird. Es handelt sich somit nicht um bestandskräftige Mehrergebnisse, da sich die von der Betriebsprüfung festgestellten Mehrsteuern - beispielsweise aufgrund von Einwendungen des Steuerbürgers in einem etwaigen Einspruchs- oder Klageverfahren - noch ändern können. Bis zum Jahr 2005 wurden Abweichungen von den festgestellten Mehr- (Minder-)Steuern aus Vorjahren – zusammengefasst - in der Bundesstatistik in einer gesonderten Rubrik ausgewiesen . In den Jahren 2003 bis 2005 stellten sich die Abweichungen bundesweit wie folgt dar: Im Berichtszeitraum festgestellte Mehr- (Minder-) Steuern Abweichungen von den festgestellten Mehr- (Minder-) Steuern aus Vorjahren Anteil der Abweichungen 2003 14.260.768.476 € -132.704.516 € -0,93 % 2004 13.303.364.066 € -198.828.320 € -1,49 % 2005 13.534.418.774 € -84.339.013 € -0,62 % LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2164 5 Die Tatsache, dass einerseits die Korrektur von Mehrergebnissen aus Vorjahren in der Betriebsprüfungspraxis von untergeordneter Bedeutung ist und andererseits die Erhebung dieser Daten einen ganz erheblichen Aufwand in den Finanzämtern erforderte, hat dazu geführt, dass ab dem Jahr 2006 diese Kenngröße in der Bundesstatistik ersatzlos gestrichen wurde und daher seitdem in Nordrhein-Westfalen nicht mehr erfasst wird. 4. Auf Grundlage welcher genauen Entscheidungskriterien erfolgt die Auswahl der Betriebe, die Untersuchungsgegenstand einer Außenprüfung werden? Hinsichtlich der Auswahl der zu prüfenden Betriebe ist zwischen Großbetrieben und Betrieben der anderen Größenklassen wie folgt zu unterscheiden: Nach § 4 Abs. 2 der Betriebsprüfungsordnung soll bei Großbetrieben (und Konzernen) der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen. Nach diesem Gebot der Anschlussprüfung werden Großbetriebe regelmäßig zur Prüfung vorgesehen und nur unter der Voraussetzung, dass im Rahmen der Prüfungsvorbereitung festgestellt wird, dass die Prüfung zu keinen wesentlichen Berichtigungen führen wird oder etwa nachzuerhebende Steuern nicht beitreibbar sein würden, vom Prüfungsgeschäftsplan abgesetzt. Bei der Auswahl prüfungsbedürftiger Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe verfolgt die nordrheinwestfälische Betriebsprüfung einen risikoorientierten Ansatz. Die Prüfung hat daher in erster Linie in Fällen zu erfolgen, die zu endgültigen Steuerausfällen oder zu nicht unbedeutenden Gewinnverlagerungen führen könnten. Steuerausfallrisiken sind nicht landeseinheitlich festgelegt. Vielmehr entscheiden die Finanzämter in eigener Verantwortung unter Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten über die Prüfungsbedürftigkeit im Einzelfall. Ein allgemein gültiger Katalog von „genauen Entscheidungskriterien“ kann daher nicht benannt werden. Die folgende Aufzählung gibt daher nur beispielhaft wieder, welche Umstände (einzeln oder kumuliert) zur Anordnung einer Betriebsprüfung führen können:  Prüfungsersuchen des Innendienstes aufgrund von im Rahmen der Veranlagung festgestellten Auffälligkeiten  Kontrollmaterial aus anderen Prüfungen  Abweichungen von den bundeseinheitlichen Richtsätzen  Zeitraum, in dem ein Betrieb nicht mehr geprüft wurde  Zufallsauswahl 5. Wie hat sich der Personalbestand an Betriebsprüfern in der nordrhein- westfälischen Finanzverwaltung in den zehn Jahren landesweit sowie regional entwickelt? Die Istbesetzung in den vergangenen 10 Jahren ergibt sich aus der folgenden Tabelle: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2164 6 Jahr Personal in der Betriebsprüfung 2003 3223 2004 3260 2005 3318 2006 3428 2007 3555 2008 3341 2009 3300 2010 3345 2011 3362 2012 3582 Die Verteilung der Beschäftigten in der Betriebsprüfung ist abhängig von den tatsächlich vorhandenen Betrieben, die dem jeweiligen Finanzamt zugeordnet sind.