LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/224 13.07.2012 Datum des Originals: 12.07.2012/Ausgegeben: 18.07.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 47 vom 14. Juni 2012 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/86 Schafft die Landesregierung Rahmenbedingungen für Gebührenstabilität beim kommunalen Abwasser? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 47 mit Schreiben vom 12. Juli 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Klima- schutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit Jahren entwickeln sich die Wohnnebenkosten für öffentliche Dienstleistungen zu einer massiven Belastung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wesentlichen Anteil hieran haben die vielerorts stetig ansteigenden Abwassergebühren. Nach Erhebungen des Bundes der Steuerzahler NRW musste ein Durchschnittshaushalt mit 200 Kubikmetern Frischwasserverbrauch und 130 Quadratmetern vollversiegelter Fläche im Jahr 2011 bis zu 1.238,50 Euro im Jahr an Abwassergebühren zahlen. Mit Faktoren wie der Anschlussdichte oder mit schwierigen topographischen Verhältnissen in einigen Teilregionen Nordrhein-Westfalens lassen sich die hohen Abwasserkosten nur teilweise erklären. Als wesentlichste Ursache für die hohen Abwassergebühren ist die vielerorts praktizierte Ausnutzung von Ermessensspielräumen bei der Gebührenberechnung zu nennen. So legen viele Abwasserbetriebe den sogenannten „Wiederbeschaffungszeitwert“ als Abschreibungsgrundlage an, obwohl der Analgenbetrieb hierdurch künstlich verteuert wird. Für die Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler wäre es viel günstiger, den ebenfalls zulässigen und praktizierten „Anschaffungswert“ zugrunde zu legen. Ein weiterer Kostentreiber ist die kalkulatorische Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Viele Kommunen setzen hier offensichtlich völlig überhöhte und marktferne Zinssätze von bis zu sieben Prozent an. Zwar kann aus einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW vom 13.04.2005 (Az. 9 A 3120/03) eine zulässige Zinsobergrenze von sieben Prozent abge- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/224 2 leitet werden. Gleichwohl ist die in § 6 Abs. 2 KAG NRW normierte „angemessene Verzinsung des aufgewandten Kapitals“ in regelmäßigen Abständen an realistische Verhältnisse anzupassen. Es ist äußerst zweifelhaft, ob der im Jahr 2005 als gerechtfertigt ermittelte Höchstzinssatz die seither grundlegend veränderte Situation auf dem Kapitalmarkt noch gerichtsfest abbildet. So schwankt der EZB-Leitzins seit nunmehr 3 Jahren zwischen ein und zwei Prozent. Analog hierzu liegen die auf dem Kapitalmarkt zu erzielenden Zinssätze seit Jahren auf historisch niedrigem Niveau. Dass viele Kommunen dennoch an überhöhten Zinssätzen und gebührenzahlerunfreundlichen Abschreibungsmethoden festhalten, ist offenbar keine rein lokale Entscheidung. Insbesondere aus dem Kreise der Haushaltssicherungs- und Nothaushaltskommunen häufen sich die Berichte, seitens der Kommunalaufsichtsbehörden und der Gemeindeprüfungsanstalt zur Erhebung überhöhter Gebühren für die Abwasserentsorgung angehalten zu werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Landesregierung kommunale Gebietskörperschaften in finanziellen Problemlagen dazu nötigt, den Bürgerinnen und Bürgern mittels überhöhter Gebühren indirekt einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung abzuverlangen. Ein solches Vorgehen wäre absolut intransparent und nicht mit der Maßgabe von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zu vereinbaren. Gebühren müssen kostendeckend sein und dürfen nicht der (versteckten) Erzielung von Überschüssen dienen. Das unzweifelhaft richtige Anliegen der Haushaltskonsolidierung darf nicht in Gestalt überzogener Gebühren auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger verfolgt werden. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben ein Recht auf stabile, transparente und unter realitätsnahen Annahmen berechnete Abwassergebühren. 1. Inwieweit trifft es zu, dass Kommunalaufsichtsbehörden und die Gemeindeprü- fungsanstalt kommunale Gebietskörperschaften in finanziellen Problemlagen dazu anhalten, Ermessensspielräume bei der Kalkulation von Abwassergebühren maximal ausnutzen? § 77 Abs. 2 GO NRW verpflichtet die Kommunen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel, soweit vertretbar und geboten aus speziellen Entgelten für die von ihnen erbrachten Leistungen, und erst nachrangig aus Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen Finanzmittel nicht ausreichen. Die Norm konstituiert also einen Vorrang der Gebühren- vor der Steuererhebung. Für die Kalkulation von Abwassergebühren ist § 6 KAG maßgebend, der den Kommunen flexible Gestaltungsmöglichkeiten bei der Zinsberechnung für das eingesetzte Eigen- und Fremdkapital und der Festlegung der Abschreibungsmethode lässt. Dabei sind die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zu beachten. Eine kommunalaufsichtliche Weisung des Ministeriums für Inneres und Kommunales mit dem in der Fragestellung beschriebenen Inhalt existiert nicht. 2. Wie bewertet die Landesregierung den vorzufindenden Unterschied zwischen einer realistischen Eigenkapitalverzinsung von rund vier Prozent und der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung kommunaler Abwasserbetriebe von bis zu sieben Prozent? § 6 KAG verpflichtet die Kommunen, Abwassergebühren kostendeckend zu erheben. Zu den nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten gehört auch eine angemessene Verzinsung des aufgewandten Kapitals. Das OVG NRW legt in seiner hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung für die Ermittlung des zulässigen kalkulatorischen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/224 3 Zinssatzes eine langfristige Betrachtung über die Zinsentwicklung der letzten 50 Jahre zugrunde . Hierzu wird auf die Urteile vom 05.08.1994 - 9 A 1248/92 - und 13.04.2005 - 9 A 3120/03 - beide in Juris abrufbar - verwiesen. Danach können, da es sich um einen kalkulatorischen Zins handelt, der sich auf den gesamten Restbuchwert , mithin auf Anlagegüter unterschiedlichsten Alters bezieht, für die Bestimmung des Zinssatzes nicht die in der jeweiligen Gebührenperiode am Kapitalmarkt herrschenden Verhältnisse , sondern nur langfristige Durchschnittsverhältnisse maßgebend sein. In dem Urteil vom 13.04.2005 hat das OVG NRW angedeutet, dass künftige Kalkulationen, etwa für 2006, der Zinsentwicklung Rechnung tragen müssen und darauf hingewiesen, dass der maßgebliche langfristige Durchschnittssatz bereits im Jahre 2002 noch bei ca. 7 % lag. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung erstellte Gebührenkalkulationen entsprechen geltendem Recht und geben keinen Anlass zu Beanstandungen. 3. Wie hoch lagen bzw. liegen die durchschnittlichen Abwassergebühren in Euro pro Einwohner und Jahr in den einzelnen Kommunen Nordrhein-Westfalens? (bitte tabellarische Auflistung für die Jahre 2005 bis 2012 mit Erläuterung der Berechnungsmethode) 4. Welche kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung wurde bzw. wird in den einzel- nen Kommunen Nordrhein-Westfalens bei der Berechnung der Abwassergebühren zugrunde gelegt? (bitte tabellarische Auflistung für die Jahre 2005 bis 2012 nach Art der Verzinsung und Höhe des Zinssatzes in Prozent) 5. Welche Abschreibungsarten (Wiederbeschaffungszeit- wert/Anschaffungszeitwert) wurden bzw. werden in den einzelnen Kommunen Nordrhein-Westfalens bei der Kalkulation von Abwassergebühren zugrunde gelegt ? (bitte tabellarische Auflistung für die Jahre 2005 - 2012) Weder das Ministerium für Inneres und Kommunales noch das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz erheben zu den mit den Fragen 3, 4 und 5 erbetenen Angaben Daten bei den 396 NRW-Kommunen. Eine Erhebung dieser Daten ist im Rahmen der der Landesregierung für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Es wird daher auf die Statistiken des Landesbetriebes IT NRW verwiesen, die einmal für die Jahre 2005 bis 2007, zum anderen für die Jahre 2008 bis 2010 die durchschnittliche Abwassergebühr in Euro pro Kubikmeter für alle NRW-Kommunen enthalten. Diese Statistiken beruhen auf § 11 Abs. 2 Umweltstatistikgesetz. Mit Blick auf den Umfang dieser Statistiken wird von einer Beifügung abgesehen; die Statistiken sind auf der Internetseite des Landesbetriebes IT NRW abrufbar unter http://www.it.nrw.de/presse/pressemitteilungen/2010/pres_201_10.html bzw. http://www.it.nrw.de/presse/pressemitteilungen/2007/pres_222_07.html. Es ist darauf hinzuweisen, dass in den Statistiken eine ggf. erhobene Grundgebühr und die Niederschlagswassergebühr, die aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2007 - 9 A 3648/04 - Juris - gesondert zu erheben ist, nicht erfasst sind. Inzwischen dürften alle NRW-Kommunen die getrennte Niederschlagswassergebühr eingeführt haben.