LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2293 12.03.2013 Datum des Originals: 12.03.2013/Ausgegeben: 15.03.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 893 vom 12. Februar 2013 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/2067 Werden Eltern an Sekundarschulen Wahlmöglichkeiten beim Ganztag gezielt verwehrt ? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 893 mit Schreiben vom 12. März 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Ganztagsangebot an Schulen stellt zweifellos einen wichtige pädagogische Unterstützungsmaßnahme für Kinder und Jugendliche, aber auch für deren Eltern dar. Allerdings müssen bei dem notwendigen Ganztagsausbau alle Schulformen gleichberechtigt behandelt und für Eltern Wahlmöglichkeiten gesichert werden. Einen Zwang zum Ganztag darf es nicht geben. Im Zuge der Schuljahresauftaktpressekonferenz 2012 übermittelte die Ministerin für Schule und Weiterbildung, Sylvia Löhrmann, auch Informationen zu den 42 zum laufenden Schuljahr neu startenden Sekundarschulen. Hierbei wurde mitgeteilt, dass von den 42 Sekundarschulen lediglich eine, demnach die Sekundarschule in Nottuln in privater Trägerschaft, nicht als Ganztagsschule arbeiten werde. In den gemeinsamen Leitlinien von CDU, SPD und Grünen zu ihrem Schulkonsens wird zum Ganztag an der neuen Schulform Sekundarschule ausgeführt: „Die Sekundarschule wird in der Regel als Ganztagsschule geführt, und zwar mit einem Zuschlag von 20 Prozent.“ Im Begründungstext des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Schulstruktur in NordrheinWestfalen (6. Schulrechtsänderungsgesetz) findet sich ebenfalls die Formulierung: „Die Sekundarschule wird in der Regel als Ganztagsschule geführt.“ In der Debatte um die Ungleichbehandlung der unterschiedlichen Schulformen, die von CDU, SPD und Grünen mit dieser Schulgesetznovelle herbeigeführt wurde, ist ein grundsätzlicher Automatismus bei der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2293 2 Genehmigung eines Ganztagsangebots an Sekundarschulen und eine damit vorhandene Ungleichbehandlung anderer Schulformen von der rot-grünen Landesregierung bestritten worden. Vor dem Hintergrund dieser Aussagen überraschen nunmehr allerdings schriftliche Ausführungen , die Schulministerin Löhrmann bzw. das Ministerium für Schule und Weiterbildung an Kommunen übermitteln. Betrachtet man Entwicklungen der Schulpolitik in unterschiedlichen Kommunen, stechen hierbei z.B. Schreiben des Internetauftritts der Kommune Augustdorf ins Auge, die von der Schulministerin bzw. durch das Ministerium dorthin übersandt wurden. Offenkundig wünschen viele Eltern vor Ort kein verpflichtendes Ganztagsangebot. Daraufhin hat sich der Bürgermeister an die Landesregierung gewandt und die entsprechenden organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten erfragt. In dem auf der Internetseite eingestellten Antwortschreiben vom 31. Oktober 2012 erklärt die Ministerin zum Ganztag an Sekundarschulen , dass sich die Rechtslage wie folgt darstelle: „Der Auftrag der Sekundarschule als einer Schule des längeren gemeinsamen Lernens, alle Kinder, die an ihr lernen, mit unterschiedlichen Möglichkeiten und Voraussetzungen zu fördern, lässt sich freilich zufrieden stellend nur umsetzen, wenn die Sekundarschule im Ganztagsbetrieb geführt wird. Daher werden Sekundarschulen regelmäßig als Ganztagsschule geführt.“ Ähnlich aufschlussreich sind die Ausführungen eines vorherigen Schreibens des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 6. Mai 2011, das sich ebenfalls auf der Internetseite der Kommune Augustdorf findet. Dort wird zum damaligen Leitfaden der Gemeinschaftsschule ausgeführt, dass die Gemeinschaftsschule – somit mit der Formulierung zur Sekundarschule übereinstimmend – als eine Schule mit „in der Regel gebundenem Ganztag“ geführt werde und dies nicht bedeute, dass dauerhaft oder teilweise auf den gebundenen Ganztag verzichtet werden könne. Dies wird auf die in Gesamtschulen entsprechenden Förder- und Wahlpflichtangebote zurückgeführt, die für alle Schülerinnen und Schüler einen geregelten Ganztagsbetrieb voraussetzen würden (überraschenderweise scheint das Ministerium demnach offenbar zu vermuten, das an anderen Schulformen keine Förder- und Wahlpflichtangebote bestünden). Laut dieser Ausführungen könne der Ganztagsbetrieb lediglich schrittweise eingeführt werden, wenn z.B. die räumlichen Voraussetzungen noch nicht im vollen Umfang zur Verfügung stünden. Sowohl das Schreiben der Ministerin als auch des Ministerialvertreters verdeutlichen, dass das Schulministerium die Position vertritt, dass die Formulierung „in der Regel als Ganztagsschule “ aufgrund der Rechtslage so auszulegen sei, dass an Sekundarschulen eine Pflicht zum Ganztagsbetrieb bestehe. Interessant sind diese Ausführungen insofern, als dass diese Aussage zu einem verbindlichen Ganztag an Sekundarschulen den ursprünglichen Erklärungen der rot-grünen Landesregierung widersprechen, wonach die Formulierungen keinen grundsätzlichen Automatismus eines Ganztags an Sekundarschulen bedeuten würden und sich daher aus der hieraus folgenden – sozusagen automatisch vollziehenden – Genehmigung keine Ungleichbehandlung zu anderen Schulformen ergäben. Auch stellt sich die Frage , ob die Landesregierung tatsächlich auch gegen den Elternwillen eine Ganztagspflicht an einer Schulform erzwingt. Darüber hinaus überrascht eine weitere schriftliche Ausführung der Ministerin in dem oben genannten Brief, die sich unverkennbar auf den Aspekt eines verpflichtenden Ganztags an Sekundarschulen bezieht. Die Ministerin schreibt: „Ich halte die jetzt gemeinsam von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gefundene Lösung für richtig und überzeugend. Ich bitte Sie um Ihr Verständnis, dass ich den gefundenen Konsens aufgrund Ihres Schreibens nicht aufkündigen kann und an den jetzt getroffenen Regelungen für die Schulstruktur festhalte.“ Aus dem Gesamtkontext geht hervor, dass die Ministerin hiermit offensichtlich erklärt, dass der verpflichtende gebundene Ganztag an Sekundarschulen einen verbindlichen Bestandteil des Schulkonsenses von CDU, SPD und Grünen darstelle. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2293 3 1. Wie viele Schulträger haben bezüglich einer Gründung einer Sekundarschule bei der Verwaltung angefragt, ob eine Ausnahme von den „Soll-Vorschriften“ eines Ganztagsangebots an Sekundarschulen genehmigt würde? Die Anzahl der Anfragen von Schulträgern an die Schulaufsichtsbehörden zu einzelnen Themenbereichen wird nicht erhoben. 2. Welche jeweiligen inhaltlichen Ausnahmen wie z.B. den Elternwillen, die über die oben genannten räumlichen Vorrausetzungen hinausgehen, würde das Schulministerium als oberste Schulaufsichtsbehörde zulassen, damit Sekundarschulen nicht als Ganztagsschule gegründet werden müssten? Eine verlässliche Aussage über die Genehmigungsfähigkeit von Sekundarschulen ohne Ganztagsbetrieb kann ohne konkrete Bezugspunkte nicht erfolgen. Dies bedarf einer Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung aller für den jeweiligen Schulbetrieb relevanten Faktoren . Sofern ein Schulträger eine Sekundarschule nicht im Ganztagsbetrieb führen möchte, ist der von den Eltern eindeutig getragene Wille dazu nachzuweisen und darzulegen, wie das pädagogische Konzept der Sekundarschule ohne gebundenen Ganztag realisiert werden soll. Es bedarf der Vorlage eines begründeten Antrages mit einem nachvollziehbaren Gesamtkonzept für die Schule. 3. Welche Unterschiede bezüglich des Ganztags sieht die Landesregierung zu an- deren weiterführenden Schulformen, wenn nach ihrer Rechtsauslegung die Formulierung „in der Regel als Ganztagschule“ ein verbindliches Ganztagsangebot an Sekundarschulen bedeutet (bitte nach rechtlicher Auslegung, nach exekutivem Handeln sowie nach finanziellen Folgen aufschlüsseln)? Die Sekundarschule ist als Schule des längeren gemeinsamen Lernens ein Lern- und Lebensort , an dem die Schülerinnen und Schüler ihre Potenziale entfalten können. Hier lernen Schülerinnen und Schüler mit günstigen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen und auch besonderen Begabungen gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern, deren Kompetenzen und Fähigkeiten noch nicht so weit entwickelt sind. Alle Schülerinnen und Schüler sollen individuell und gezielt gefördert werden, so dass die Stärken der Kinder und Jugendlichen durch zunehmend differenzierende Angebote ausgebaut und ihre Schwächen abgebaut werden . Dies kann besonders gut gelingen, wenn über den Unterricht hinaus mehr Zeit zur Verfügung steht. Als Schule mit in der Regel gebundenem Ganztag bietet sie mehr Zeit und Raum für individuelle Förderung und trägt somit zu einer Verbesserung der Bildungschancen bei, auch im Zusammenspiel mit unterschiedlichen Professionen und außerschulischen Partnern. 4. Bedeutet die Erklärung der Schulministerin, wie sie es in ihrem Schreiben an die Kommune Augustdorf ausgeführt hat, dass die Regelung eines verpflichtenden Ganztags an Sekundarschulen einen unverrückbaren Bestandteil des Schulkonsenses von CDU, SPD und Grünen darstellt? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2293 4 5. Ist die Aussage der Schulministerin, wonach sie bezüglich des Ganztags an Sekundarschulen den „gefundenen Konsens nicht aufkündigen kann“, so zu verstehen , dass eine Wahlmöglichkeit zwischen Halbtags- und Ganztagsbetrieb an Sekundarschulen aus ihrer Sicht einen Bruch des Schulkonsenses bedeuten würde? Die Fragen 4 und 5 werden zusammen beantwortet. Gemäß Ziffer 5, letzter Aufzählungspunkt, des schulpolitischen Konsenses für NordrheinWestfalen - Gemeinsame Leitlinien von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen für die Gestaltung des Schulsystems in Nordrhein-Westfalen - wird die Sekundarschule in der Regel als Ganztagsschule geführt. Auf diesen Eckpunkt der Schulform Sekundarschule haben sich die vorgenannten Parteien ausdrücklich verständigt. Damit ist er Bestandteil des schulpolitischen Konsenses. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Sekundarschule nur im Ausnahmefall als Halbtagsschule geführt werden kann. Eine Genehmigungspraxis, die dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis außer Acht ließe und eine freie Wahl zwischen Ganz- und Halbtagsbetrieb ermöglichte, würde eine Verletzung des schulpolitischen Konsenses darstellen.