LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2319 13.03.2013 Datum des Originals: 13.03.2013/Ausgegeben: 18.03.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 868 vom 30. Januar 2013 der Abgeordneten Dirk Wedel und Dr. Robert Orth FDP Drucksache 16/2018 Wie steht die Landesregierung zum Ersatz der Blutalkoholanalyse durch die Atemalkoholanalyse bei Verkehrsdelikten? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 868 mit Schreiben vom 13. März 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Presseberichten zufolge äußerte Innenminister Jäger im Frühjahr 2011, er setze sich auf Bundesebene dafür ein, in Zukunft bei Alkoholkontrollen im Straßenverkehr nur noch Atemanalysegeräte einzusetzen und auf Blutentnahmen zu verzichten. Die „Neue Westfälische“ titelte am 21.04.2011 sogar: „NRW will Blutprobe abschaffen“. Als Begründung gab der Minister an, die Messung des Alkoholgehaltes durch die Analyse des Atems sei auch bei höheren Werten als 1,1 Promille genauso präzise, wie bei einer Blutuntersuchung. Dies diene auch der Entlastung von Polizei und Justiz. Der Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen trat dem Vorstoß des Innenministers entgegen. Die Messung der Atemalkoholkonzentration weiche in bis zu 5% der Fälle deutlich von der tatsächlichen Alkoholisierung ab und sei damit keineswegs so aussagekräftig und zuverlässig wie die Blutalkoholkonzentration. Eine solche Fehlerquote sei „bei einem Straftatbestand, der den Entzug der Fahrerlaubnis und auch Freiheitsstrafe zur Folge haben kann, rechtstaatlich nicht vertretbar“. Das Argument einer Entlastung von Staatsanwälten und Richtern greife ebenfalls nicht, da nur Blutproben erzwungen werden könnten, während die Atemalkoholanalyse nur auf freiwilliger Basis erfolgen dürfe. Die Würdigung des Beweisgehalts sei zudem ureigenste Aufgabe der Rechtsprechung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2319 2 Auch das Justizministerium lehnt eine Abschaffung der Blutproben ab. Erst kürzlich begründete dies nach einem Bericht des WDR ein Sprecher von Justizminister Kutschaty damit, die Atemmessgeräte ergäben leider nur zu 95% sichere Messergebnisse, Bluttests seien zu 100% sicher. Gerade wenn es bei hohen Promille-Zahlen zu Gerichtsverfahren komme, müssten die Messergebnisse beweissicher sein. 1. Inwieweit teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Bewertung des Be- weisgehalts der Atemalkoholanalyse der richterlichen Unabhängigkeit unterliegt ? Der durch die Atemalkoholanalyse zu ermittelnde gesetzliche Grenzwert des § 24a StVG ist Tatbestandsmerkmal ohne Rücksicht auf eine individuelle Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit . Er spiegelt -anders als die von der Rechtsprechung bestimmten Grenzwerte absoluter Fahruntüchtigkeit im Sinne des § 316 StGB - nicht medizinisch-naturwissenschaftliche Erfahrungssätze wider, die im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung Beachtung finden, sondern erfüllt -unter der Voraussetzung des verfahrensbezogenen ordnungsgemäßen Zustandekommens - bei Vorliegen entsprechender Messwerte für sich selbst die tatbestandlichen Voraussetzungen. Vor diesem Hintergrund ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Bewertung des Beweisgehalts der Atemalkoholanalyse unter Berücksichtigung der durch den Bundesgerichtshof entwickelten Kriterien für das standardisierte Messverfahren der richterlichen Unabhängigkeit unterliegt. 2. Wie hoch ist bei modernen Geräten für Atemalkoholanalyse der Anteil der Mes- sungen, in denen das Ergebnis deutlich von der tatsächlichen Alkoholisierung der Person abweicht. Alle anerkannten Verfahren zur Bestimmung der Alkoholisierung einer Person weisen Streubreiten auf. Während diese bei Blutalkoholmessungen durch Sicherheitsabschläge berücksichtigt werden, müssen die durch ein bauartzugelassenes und geeichtes Atemalkoholmessgerät gewonnenen Einzelwerte innerhalb einer auch durch die Rechtsprechung anerkannten zulässigen Variationsbreite (Hentschel/König/Dauer, § 24a StVG, Nr. 16a) liegen, damit das Messergebnis berücksichtigt werden kann. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die mit bauartzugelassenen und geeichten Atemalkoholmessgeräten im vorgeschriebenen Verfahren ermittelten Messergebnisse deutlich von der tatsächlichen Alkoholisierung der Person abweichen. 3. Inwieweit ist die Landesregierung der Auffassung, dass bei Verkehrsdelikten die Blutalkoholanalyse komplett durch die Atemalkoholanalyse ersetzt werden soll? Die Atemalkoholanalyse setzt die freiwillige Teilnahme der zu untersuchenden Person voraus . Zudem muss diese in der Lage sein, die Atemprobe mit einem Mindestvolumen und über eine bestimmte Dauer geben zu können. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, muss die Feststellung der Alkoholisierung durch eine Messung des Blutalkohols erfolgen. Unabhängig davon haben sich auch die zuständigen Fachministerkonferenzen mit der Atemalkoholanalyse im Bereich der Verkehrsstraftaten beschäftigt. Beide Gremien sind sich einig, dass unter Alkoholeinfluss begangene Verkehrsstraftaten einer effektiven und konsequenten Ahndung bedürfen. Die Innenministerkonferenz sieht in der Atemalkoholanalyse eine Möglichkeit zur effektiven Ausgestaltung des Verfahrens bei Verkehrsdelikten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2319 3 Die Justizministerkonferenz weist in diesem Zusammenhang allerdings auf die noch andauernde Diskussion über den Einsatz der Atemalkoholmessung als alleiniges Beweismittel zur sicheren Feststellung der Fahruntüchtigkeit hin. Sie vermochte deshalb die Einführung der Atemalkoholanalyse bei Verkehrsstraftaten nicht zu unterstützen. Ob eine effektive und konsequente Ahndung der unter Alkoholeinfluss begangenen Straßenverkehrsstraftaten bei teilweiser Ersetzung der Blutalkoholanalyse durch die Atemalkoholanalyse gewährleistet ist, steht nach ihrer Auffassung nicht mit hinreichender Sicherheit fest, zumal auch in der Wissenschaft weiter umstritten ist, ob eine Atemalkoholanalyse als alleiniges Beweismittel zur sicheren Feststellung der Fahruntüchtigkeit im Sinne der einschlägigen Strafvorschriften ausreicht . Sie hat deshalb im Jahre 2008 beschlossen, die weitere Entwicklung des wissenschaftlichen Forschungsstands aufmerksam zu beobachten. Insoweit ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen. 4. Welcher Minister ist für Frage 3 federführend zuständig: Der Justizminister oder der Minister für Inneres und Kommunales? Die Antwort auf Frage 3 stellt die gemeinsame Auffassung des Justizministers und des Ministers für Inneres und Kommunales dar. 5. In welcher Weise hat die Landesregierung mit welchem Ergebnis versucht, den Verzicht auf Blutproben bei Verkehrsdelikten auf Bundesebene durchzusetzen (womit sie nach Informationen des WDR gescheitert sein soll)? Siehe Antwort zu Frage 3.