LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2515 28.03.2013 Datum des Originals: 28.03.2013/Ausgegeben: 02.04.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 937 vom 19. Februar 2013 des Abgeordneten Günter Garbrecht SPD Drucksache 16/2214 Wie viel Steuern zahlt Amazon und um wie viel verkürzt Amazon seine Steuerzahlungen in NRW? Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage mit Schreiben vom 28. März 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Finanzminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Amazon ist nicht erst seit dem Fernsehbeitrag „Ausgeliefert. Leiharbeiter bei Amazon” im Fokus kritischer Beobachtung. Arbeitsbedingungen und Bezahlungen der Beschäftigten im Zusammenhang mit arbeitsmarktpolitischer Förderung von Job-Center und Arbeitsagentur haben mehrfach den nordrhein -westfälischen Landtag beschäftigt. Dies sowohl im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales als auch in Plenarsitzungen-Die Mehrheit des Parlamentes hat sich gegen den offensichtlich massenhaften Missbrauch des § 46 SGB III ausgesprochen. Dem hat sich ausdrücklich die Landesregierung, vertreten durch den Arbeitsminister Guntram Schneider, angeschlossen (siehe Vorlage 15/1008). Die vorhergegangenen sowie die aktuellen Diskussionen über Arbeitsbedingungen und Entlohnung , Weigerung tariflicher Bindungen, Hemmnissen bei der Bildung von Betriebsräten etc. bei Amazon lässt den Eindruck erhärten, dass sich das Unternehmen weigert sich der sozialpartnerschaftlichen Umgangsweise in Deutschland anzupassen. Die boomende Entwicklung des Internethandels wird zunehmend als ruinöse Konkurrenz zum innerstädtischen stationären Einzelhandel gesehen. Vor allem die aggressive Bewerbung der App „Amazon Flow“, die ermöglicht, Produktverpackungen und Barcodes des Einzelhandels zu erkennen und in Amazons Produktkatalog LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2515 2 nach Gegenangeboten zu suchen und dort gleich zu kaufen trägt zu dieser Wahrnehmung des Einzelhandels bei. Die Umsatzzahlen im Bereich des E-Commerce belegen eine Entwicklung gegenüber dem stationären Einzelhandel. Ausweislich des Instituts für Handelsforschung (IFH) an der Universität Köln „hat der deutsche E-Commerce-Markt 2012 31 Milliarden Euro mit Konsumgütern (Neuware) im Handel mit Endverbrauchern umgesetzt. Damit liegt das absolute Wachstum nur vergleichsweise leicht unter dem des Vorjahres. 2011 wurde mit 4,5 Milliarden Euro das bisher höchste Umsatzwachstum erreicht.“ Bezüglich des Gesamtumsatzes des Handels in Höhe von 427,9 Mrd. Euro erscheinen unter 10% Anteil des Online Handels noch nicht bedrohlich. Wer jedoch die Branchenentwicklung in den Blick nimmt, erkennt den rasanten Rückgang des Facheinzelhandels. Im letzten Dekade um rund 10%. Amazon erwirtschaftet zurzeit zwischen Flensburg und Garmisch 8,73 Milliarden Dollar Umsatz (6,45 Milliarden Euro), wie der Konzern der US-Börsenaufsicht SEC jüngst mitteilte. Dafür werden aber nur 3% Umsatzsteuer in Luxemburg angeführt. In Deutschland wären 19% Umsatzsteuer abzuführen. Eine Steuerverkürzungspraxis, der sich viele multinationale Konzerne bedienen. Die Praxis der multinationalen Konzerne war auch Thema auf dem G 20 Gipfel. Es kündigt sich an, so die Erwartung der OECD, dass sich in der Frage ein international gültiger Steuercode durchsetzen werde. De facto liegt bisher aber nur eine Willenserklärung der G 20 vor. Amazon selbst veröffentlicht keine Zahlen zu Sozialabgaben, Steuern und Gewinnen in Deutschland. Es ist von Steuerverkürzung in erheblichem Umfang auszugehen. Nach einer groben Schätzung und einer Zugrundelegung eines einheitlichen Umsatzsteuersatzes in Höhe von 19 Prozent ergibt sich allein für die beiden in NRW beheimateten Standorte ein Betrag von rund 350 Millionen Euro. Das entspricht in etwa dem Doppelten von dem, was der Onlinehändler an Umsatzsteuer insgesamt bezahlt hat, legt man nach ähnlichem Muster den in Luxemburg gültigen Steuersatz in Höhe von 3 Prozent zu Grunde. Die Ansiedlung von Logistikzentren wird in Erwartung auf Arbeitsplätze sowie Gewerbesteuern von den Standortgemeinden begrüßt. Die Realität hält in vielen Fällen der Erwartungshaltung jedoch nicht stand. 1. Wie beurteilt die Landesregierung unter der selbst gestellten politischen Leitidee „Gute Arbeit“ den Arbeitgeber Amazon in NRW? Amazon hat allein im Zeitraum zwischen Januar 2012 und Januar 2013 in NRW rund 1.800 unbefristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Auf der Basis der vorliegenden Informationen und von Gesprächen, die mit Vertretern des Unternehmens geführt worden sind, kommt die Landesregierung zu dem Ergebnis, dass sich Amazon als Arbeitgeber darum bemüht, die üblichen Standards einzuhalten. Legt man von Amazon zur Verfügung gestellte Informationen zu Grunde (siehe Antwort auf Frage 3) erfolgt der Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern seit 2012, wie von der Landesregierung gefordert, lediglich zur Bewältigung von Auftragsspitzen z.B. im Weihnachtsgeschäft. Am Standort Rheinberg ist am 13. März 2013 ein Betriebsrat gewählt worden. Am Standort Werne erfolgt die Betriebsratswahl voraussichtlich Mitte April. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2515 3 Entwicklungsbedarf wird noch im Bereich der befristeten Arbeitsverträge gesehen, deren Anteil bei Amazon vergleichsweise hoch ist (siehe Antwort auf Frage 3). Weitere Aspekte, wie zum Beispiel die Entlohnung von Stammbeschäftigten sowie von Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmern, können durch die Landesregierung nicht beurteilt werden. 2. Welche Chancen und Risiken sieht die Landesregierung im zunehmenden Onli- ne-Handel gegenüber dem stationären, insbesondere dem Facheinzelhandel? Die Konsumgewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Die Menschen sind mobiler geworden und Zeit- und Kostenersparnisse spielen heute eine große Rolle. Die Konsumenten haben das Internet längst als Vertriebskanal akzeptiert und nutzen es immer intensiver. Der Handel reagiert auf diese Veränderungen. Daneben führen neue Technologien zu einer zunehmenden Digitalisierung im Bereich Handel. Der Online-Handel wächst in stetem Tempo und ergänzt oder ersetzt zunehmend stationäre Geschäftsmodelle. Immer mehr Handelsunternehmen gehen dazu über, das stationäre Geschäft mit dem Ausbau von Online-Shops zu verbinden. Aktuelle technologische Entwicklungen wie Mobile Commerce oder Social Commerce wirken zusätzlich als Wachstumstreiber. Tatsächlich setzt der Trend zum Online-Handel den stationären Handel zunehmend unter Druck. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss auch der Facheinzelhandel die Möglichkeiten des Internet sinnvoll nutzen und miteinander verzahnen. Multi-Channel-Konzepte werden derzeit als zentraler Faktor für einen langfristigen Erfolg gesehen. Damit bietet sich dem stationären Handel auch die Chance, den eigenen Bekanntheitsgrad und Kundenstamm zu erweitern . Der Facheinzelhandel ist derzeit aber auch durch andere Entwicklungen stark gefordert. Die Situation im Einzelhandel ist seit geraumer Zeit geprägt von einer Konzentration der Betreiber , einer Vergrößerung der Betriebsflächen und der Intensivierung des Wettbewerbs bei einer stagnierenden Kaufkraft. Ein intensiver Wettbewerb besteht mittlerweile nicht nur zwischen einzelnen Unternehmen, sondern auch zwischen spezifischen Betriebsformen (Discounter vs. Facheinzelhandel), Standorten (Innenstadt vs. „grüne Wiese“ oder Stadtteilzentren) sowie Handelssystemen (filialisierte Unternehmen, Franchiseorganisationen, Verbundgruppen, selbstständige Unternehmen ). 3. Kann die Landesregierung Auskunft über die Beschäftigtenzahlen differenziert nach unbefristeten Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten, Saisonbeschäftigten sowie an Leiharbeitnehmern an den beiden NRW Standorten von Amazon im Zeitverlauf geben? Nach Auskunft von Amazon hat sich die Beschäftigung an den beiden Standorten in Rheinberg und Werne wie folgt entwickelt: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2515 4 Standort Rheinberg Jan 2012 Juni 2012 Dez 2012 Jan 2013 Unbefristet 377 376 741 1.081 Befristet 695 600 3.317 1.544 Zeitarbeit 68 1 414 25 Gesamt 1.140 977 4.472 2.650 Standort Werne Jan 2012 Juni 2012 Dez 2012 Jan 2013 Unbefristet 128 549 578 602 Befristet 1.869 906 2.080 914 Zeitarbeit 158 0 260 0 Gesamt 2.155 1.455 2.918 1.516 4. Welchen Erfolg hatten die Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung im Jahr 2012 (bitte aufgeschlüsselt nach Anzahl der Maßnahmen und nach gesetzlicher Grundlage)? Hierzu liegen der Landesregierung keine Daten vor. 5. Der Bürgermeister der Stadt Hersfeld hat in einem Interview mit dem Focus er- klärt, dass es Jahre bedürfe, die Investition von neun Millionen Euro eins zu eins wieder an Steuern herein zu bekommen. Trifft diese Aussage im Grundsatz auch auf Nordrhein-Westfalen zu? Die Landesregierung begrüßt Investitionen in Nordrhein-Westfalen. Damit verbunden ist auch aus Landessicht die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze und zusätzliche Steuereinnahmen . Diese können nicht nur durch das Unternehmen selbst generiert werden, sondern auch durch die dort beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Konsumverhalten sowie durch umliegende Unternehmen, die von der Ansiedlung profitieren könnten. Unsicher ist dabei regelmäßig, inwieweit es tatsächlich zu zusätzlicher Wirtschaftsleistung kommt. Wegen der erhofften positiven Wirkungen sind viele Kommunen bereit, Investitionen in Infrastruktur vorzunehmen. Dies wird von der Landesregierung ausdrücklich begrüßt. Im Wirtschaftsleben ist es allgemein üblich, dass sich Investitionen erst mittel- oder langfristig amortisieren . Dies ist bei öffentlichen Investitionen nicht anders. Insoweit sind die in der Frage 5 angeführten Äußerungen eines Bürgermeisters zutreffend, aber unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Ansiedlung um Amazon oder ein anderes Unternehmen handelt. Dies wird auch in dem Original-Zitat deutlich: „Wenn Sie es eins zu eins rechnen wollen zwischen dem, was die Stadt für die Ansiedlung gezahlt hat und dem, was da an Steuereinnahmen ist, brauche ich ein paar Jahre, bis sich das amortisiert“. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2515 5 Zu den konkreten Steuerzahlungen der Firma Amazon an einzelnen Standorten in NRW kann die Landesregierung aufgrund des Steuergeheimnisses keine Angaben machen. Zu den Aussagen in der Kleinen Anfrage zum Themenbereich Umsatzsteuer weise ich jedoch allgemein auf Folgendes hin: Lieferungen – auch im Online-Handel – werden grundsätzlich dort umsatzbesteuert, wo die Beförderung der Ware beginnt. Bei grenzüberschreitenden Lieferungen durch große Versender an Privatkunden erfolgt aufgrund einer Sonderregelung die Umsatzbesteuerung dort, wo die Lieferung endet (sog. Versandhandelsregelung ). Daher werden Umsätze im Online-Handel an deutsche Privatkunden regelmäßig in Deutschland umsatzbesteuert.