LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2518 02.04.2013 Datum des Originals: 28.03.2013/Ausgegeben: 03.04.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 910 vom 19. Februar 2013 des Abgeordneten Rainer Deppe CDU Drucksache 16/2154 Behindern Beteiligungs- und Verbandsklagerecht den Ausbau der Windenergie in Nordrhein-Westfalen? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 910 mit Schreiben vom 28. März 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aktuell berichten Medien, dass Windparkbetreiber im benachbarten Bundesland Hessen zur Vermeidung von Klagen bzw. zur Beförderung der Rücknahme von Klagen und Einsprüchen gegen die Errichtung von Windkraftanlagen zu Zahlungen von mehreren hunderttausend Euro an Naturschutzverbände, Naturschutzfonds oder Stiftungen „veranlasst“ worden seien. Der Geschäftsführer der Windparkbetriebsführungsgesellschaft Hessen-Energie habe der Geldzahlung schweren Herzens zugestimmt. „Wir konnten es uns einfach nicht leisten, dem Vorschlag des NABU nicht zu entsprechen.“ Schon der wenige Monate dauernde Stillstand der Anlagen habe insgesamt Verluste von rund einer Mio. EUR verursacht. „Da haben wir das kleinere Übel gewählt und uns mit dem NABU geeinigt.“ Es sei „Wegezoll für Windräder“ verlangt worden. Über die geschilderten Einzelfälle hinaus ist die Windkraftbranche erheblich verunsichert, weil die realistische Gefahr gesehen wird, dass Umweltverbände auf diesem Weg eine „Sonderabgabe auf die Energiewende“ erheben. Der stv. Vorsitzende des Landesverbandes Erneuerbare Energien, Johannes Lackmann, bezeichnet dieses Vorgehen als „Einstieg in die Schutzgeldbranche“. Ermöglicht wird dieses Vorgehen durch die Beteiligung der anerkannten Naturschutzverbände an Genehmigungsverfahren der Landschaftsbehörden und durch das sog. Verbandsklagerecht . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2518 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung weist darauf hin, dass Windenergieanlagen nicht durch die Landschaftsbehörden genehmigt werden, wie es der Wortlaut der Kleinen Anfrage vermuten lässt. Windenergieanlagen werden entweder immissionsschutzrechtlich (über 50 m Gesamthöhe) oder baurechtlich (10 bis 50 m Gesamthöhe) genehmigt. Für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung und Überwachung der Windenergieanlagen sind die Kreise bzw. kreisfreien Städte - als untere Immissionsschutzbehörde - zuständig . Die in den Antworten zu den Fragen 1.) und 2.) dargelegten Daten wurden einer landesweiten Abfrage bei den unteren Immissionsschutzbehörden, unter Einbindung der fachaufsichtsführenden Bezirksregierungen, entnommen. Die Beantwortung der Anfrage erfolgt nur hinsichtlich der für den Erfolg der Energiewende in besonderem Maße erforderlichen Windenergieanlagen größer 50 m Gesamthöhe. 1. Wie viele Verbandsklagen/Einwendungen sind seit 2010 gegen Maßnahmen zur Realisierung der Energiewende erhoben worden? (Bitte nach Jahren getrennt auflisten ) Landesweit gab es folgende Anzahl an Verbandsklagen/Einwendungen: Jahr Anzahl Verbandsklagen/Einwendungen 2010 10 2011 5 2012 2 Darüber hinaus ist bekannt, dass der NABU NRW e.V. auf seiner Website über zwei Verbandsklagen gegen Maßnahmen zum Ausbau der Windenergie in Nordrhein-Westfalen informiert . 2. In wie vielen Fällen seit 2010 haben die Beteiligungsrechte und das Verbandskla- gerecht Einfluss auf Genehmigungsverfahren und auf Entscheidungen der Genehmigungsbehörden gehabt? (Bitte getrennt nach Verfahrensverlängerung, ablehnende Entscheidung, Zurückziehen von Genehmigungsanträgen auflisten) Das Beteiligungs-/Verbandsklagerecht hat mit folgender Fallzahl Einfluss auf Genehmigungsverfahren oder Entscheidungen der Genehmigungsbehörden genommen: Einflüsse Anzahl Verlängerung 5 Ablehnung - Zurückziehung - LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2518 3 3. Wie viele der Einwendungen und Verbandsklagen wurden vom Landesbüro der Naturschutzverbände vorbereitet oder eingelegt? Das Landesbüro der Naturschutzverbände Nordrhein-Westfalen ist eine gemeinsame Einrichtung der anerkannten Naturschutzverbände Bund für Umwelt und Naturschutz NRW e.V, (BUND), Landesgemeinschaft Natur und Umwelt NRW e.V. (LNU) und Naturschutzbund Deutschland NRW e.V. (NABU). Das Landesbüro koordiniert seit dem Jahr 1982 die Mitwirkung der anerkannten Naturschutzverbände in Nordrhein-Westfalen und bietet den Mitgliedern der Naturschutzverbände fachliche Beratung und Unterstützung in allen Fragen rund um die Verbandsbeteiligung. Soweit die gesetzlichen Vorgaben zur Verbandsbeteiligung es vorsehen, übersenden die Behörden zur Beteiligung der anerkannten Naturschutzverbände die Verfahrensunterlagen an das Landesbüro der Naturschutzverbände. Hier werden in einem ersten Schritt die Unterlagen erfasst und auf Vollständigkeit überprüft. Vor der Weiterleitung an die ehrenamtlichen Vertreterinnen und Vertreter von BUND, LNU und NABU erfolgt eine fachliche und rechtliche Einschätzung der jeweiligen Planung oder des Vorhabens. Im Rahmen der Verbandsbeteiligung erhalten die ehrenamtlichen Akteure vor Ort die vom Landesbüro gesichteten und aufbereiteten Unterlagen mit Tipps und Hinweisen für die Erarbeitung einer Stellungnahme. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zur Abgabe einer Stellungnahme durch ihre Landesverbände bevollmächtigt und reichen in zahlreichen Verfahren ihre Anregungen und Bedenken direkt bei den Behörden ein. In diesen Fällen registriert das Landesbüro die eingereichten Stellungnahmen und Einwendungen. In den Jahren 2010 bis 2012 koordinierte das Landesbüro die Verbandsbeteiligung in insgesamt 61 Fällen für die Planung oder Zulassung von Maßnahmen zum Ausbau der Windenergie (inklusive Beteiligungsfälle in der Bauleitplanung). Im Übrigen bereitet das Landesbüro weder Verbandsklagen vor noch legt es sie ein. Klagemöglichkeiten bestehen für die nach Umweltrechtsbehelfsgesetz anerkannten Vereinigungen , das sind diverse Umweltverbände und auch die anerkannten Naturschutzverbände. Zu den Aufgaben des Landesbüros zählt es lediglich, die Grundlagen der Verbandsbeteiligung und das Instrument der Verbandsklage den Mitgliedern der in Nordrhein-Westfalen anerkannten Naturschutzverbände BUND, LNU und NABU zu erläutern. 4. In wie vielen Fällen haben Windkraftbetreiber oder Projektierter im Zusammen- hang mit der Genehmigung von Windkraftanlagen in den Jahren 2010, 2011 und 2012 über die gesetzlichen Ausgleichsverpflichtungen hinaus finanzielle Leistungen an Naturschutzverbände, Naturschutzfonds, -stiftungen für Natur- und Artenschutzzwecke erbracht? Der Landesregierung sind solche Fälle nicht bekannt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2518 4 5. Hält die Landesregierung die Praxis der Ausübung des Verbandsklagerechts für richtig? Ja. Die Verbandsklage leistet einen entscheidenden Beitrag zur Behebung von Vollzugsdefiziten im Umwelt- und Naturschutzrecht. Befürchtungen, es könne durch Verbandsklagen zu einer Überlastung der Gerichte sowie zu gravierenden Verzögerungen wichtiger Infrastruktur - und Wirtschaftsprojekte kommen, werden durch eine empirische Studie zur Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht entkräftet (Studie „Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht von 2007 bis 2010“, im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz durch das unabhängige Institut für Umweltfragen e.V., Berlin). Im Zeitraum 2007 bis 2010 sind für Nordrhein-Westfalen 12 Verbandsklagen und 20 Verfahren ermittelt worden, in denen die Verwaltungsgerichte eine Entscheidung getroffen haben. Der Anteil von Verbandsklagen an den insgesamt von den Verwaltungsgerichten in Deutschland (ohne Asylverfahren) geführten Verfahren ist danach sehr gering, nämlich 0,03 %. Die Umwelt - und Naturschutzverbände sind in dem o. g. Zeitraum deutschlandweit mit ihren Klagen in 42,5 % der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich gewesen. Die Verbandsklagen sind demnach wesentlich erfolgreicher, als die insgesamt von den Verwaltungsgerichten in Deutschland entschiedenen Hauptsacheverfahren, bei denen die Erfolgsquote 2009 und 2010 nur bei etwa 10 bis 12 % gelegen hat. Dies zeigt, dass die Verbände die Fälle, in denen geklagt wird. nach wie vor sehr sorgfältig im Hinblick auf gute Erfolgsaussichten auswählen. Somit setzen sie ihre Klagerechte gezielt und wirksam zu dem vom Gesetzgeber angestrebten Zweck ein, die bestehenden Vollzugsdefizite abzubauen. Sofern sich die Realisierung von Vorhaben verzögert, ist dies eine Folge der vorliegenden Vollzugsdefizite, die nicht den Verbänden angelastet werden können.