LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2526 02.04.2013 Datum des Originals: 02.04.2013/Ausgegeben: 05.04.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 950 vom 28. Februar 2013 des Abgeordneten Klaus Voussem CDU Drucksache 16/2231 Räumung des „Waldbesetzer-Camp“ im Hambacher Forst Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 950 mit Schreiben vom 2. April 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, dem Justizminister, dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft , Natur- und Verbraucherschutz und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Zusammenhang mit dem „Waldbesetzer-Camp“ im Hambacher Forst kam es in den Tagen vom 13. bis 17. November 2012 zu einem umfangreichen Einsatz von Polizei und Rettungskräften zur Räumung des besetzten Geländes. Im Rahmen der Durchsuchung des Camps entdeckten die Einsatzkräfte in einem unterirdischen Hohlraum einen Umweltaktivisten, der sich dort in ca. 6 Meter Tiefe verschanzt hatte und sich nach eigenen Angaben selbst nicht befreien konnte. Aufgrund der nicht fachgerechten Bauweise des Tunnels und der Bodenbeschaffenheit des lockeren Waldbodens bestand nach Einschätzung der vor Ort befindlichen Experten eine dauerhafte Einsturzgefahr. Diese Lageeinschätzung machte zeitaufwändige und umfangreiche Bergungsarbeiten durch Feuerwehr und Technisches Hilfswerk erforderlich, um das Leben der Person nicht zu gefährden . Am 16.11.2012 konnte der Aktivist dann von den Rettungskräften befreit und der Polizei übergeben werden. Zwischenzeitlich hat sich der Umweltaktivist zu seiner Aktion im Rahmen eines Interviews mit der Aachener Zeitung (AZ) vom 23.01.2013 geäußert. Seiner Ansicht nach seien „Tunnel [sind] eine effektive Methode, um einen Ort möglichst lange zu blockieren und eine Räumung zu erschweren.“ Des Weiteren erklärte er gegenüber der AZ: „Als Sichtkontakt bestand, habe ich mich in den Gang zurückgezogen, um eine Räumung herauszuzögern und zu zeigen, dass ich nicht gerettet werden will. Es wurde ja immer gesagt, dass ich gerettet werden müsse . Aber ich hätte jederzeit herauskommen können, wenn ich es gewollt hätte.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2526 2 1. Wie beurteilt die Landesregierung die oben zitierten Aussagen des Umweltaktivisten vor dem Hintergrund des äußerst aufwendigen und vermutlich sehr kostenintensiven Einsatzes von Polizei und Rettungskräften? Zu der durch den Fragesteller dargestellten Situation im Rahmen des "Einsatzes der Polizei aus Anlass des 'Waldbesetzer-Camps Hambacher Forst' im Zeitraum 13.11.2012 bis 17.11.2012" hat der Abteilungsleiter Polizei im Ministerium für Inneres und Kommunales, Herr Ministerialdirigent Wolfgang Düren, in der Aktuellen Viertelstunde der Sitzung des Innenausschusses am 22.11.2012 Folgendes ausgeführt: -Auszug aus dem Ausschussprotokoll (APr 16/96)- … "Es wurde ein komplexes Tunnelsystem mit einer Länge von mindestens zehn Metern und einer Tiefe von ca. sechs Metern festgestellt. Da der Tunnel zum Teil nur einen Durchmesser von ca. 40 cm hatte und die Stabilität nicht sicher beurteilt werden konnte, schied eine Nachschau durch Polizeikräfte aus. Im Verlauf des 14.11.2012 konnte im Rahmen weiterer Aufklärungsmaßnahmen erstmals und sicher eine männliche Person in einem unterirdischen Hohlraum festgestellt werden. Diese Person befand sich in ca. sechs Meter Tiefe, und zwar in einem Raum, der zwei Meter lang, einen Meter breit und einen Meter hoch war. Bei Kommunikationsversuchen durch die Grubenwehr und seine Verlobte über einen im Erdreich des Hauses befestigten Kunststoffschlauch äußerte sich die Person dahin gehend, dass sie sich angekettet habe und nicht selbst befreien könne. Die Verlobte des Mannes händigte am Morgen des 15.11.2012 den vor Ort befindlichen Einsatzkräften einen Schlüssel für das angeblich genutzte „Lock-on“ aus. … Aufgrund der nicht fachgerechten Bauweise des Tunnels und der Bodenbeschaffenheit des lockeren Waldbodens bestand nach Einschätzung der vor Ort befindlichen Experten eine dauerhafte Einsturzgefahr. Messungen der Grubenwehr ergaben darüber hinaus, dass die CO2-Konzentration in der Atemluft des Tunnelsystems zu einer dauerhaften Gefährdung des Menschen führt, der sich darin aufhält. Die Atemluft war zu schlecht. Es war also erforderlich, den Besetzer im Tunnelsystem dauerhaft mit Atemluft zu versorgen, was auch geschehen ist. Die Person hat im Übrigen alle Kommunikationsversuche der Polizei abgeblockt und eine Gesprächsführung verweigert. … Am Mittag des 16.11.2012 konnte gegen 13.30 Uhr durch einen horizontalen Vortrieb aus dem Rettungsschacht ein weiterer Rettungsschacht hergestellt werden. Die Grubenwehr hat dann einen Zugang zum Aufenthaltsraum der Kammer hergestellt. Die Person flüchtete allerdings aus dem Aufenthaltsraum heraus in einen hinteren ungesicherten Tunnelbereich und entfernte dabei einige selbst eingebrachte Stützbretter. … Der Tunnel wurde nachfolgend durch die Grubenwehr bergfachmännisch verbreitert nachgebaut, und die Person konnte dann abends gegen 23 Uhr ergriffen und aus dem Tunnel herausgebracht werden. Eine Lock-on-Vorrichtung war nicht festzustellen . Der Mann war also ungefesselt. … Der Einsatz der Polizei endete am 17.11.2012 um 19.00 Uhr. … Nach Wahrnehmung der Polizei sei die Durchführung der polizeilichen Maßnahmen zwar beidseitig friedlich verlaufen, jedoch spreche er den Aktivisten, vor allem der „Verlobten“ und dem „Maulwurf“, Kooperationsbereitschaft ab. Diese Einschätzung lasse sich den Berichten der Kreispolizeibehörde Rhein-Erft-Kreis insofern entnehmen , als es danach offenbar Ziel der Waldbesetzer gewesen sei, die Existenz des Tunnelsystems möglichst lange zu verbergen und darüber hinaus behauptet worden sei, der Tunnelbewohner könnte sich nicht selber befreien. Die Besetzer hätten die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2526 3 Polizei also bewusst fehlinformiert. Dies deute er, Düren, als die Absicht, den polizeilichen Einsatz zu verlängern, um ein noch größeres Medieninteresse zu erzeugen. " Darüber hinaus nimmt die Landesregierung zu den in den Medien dargestellte Äußerungen des Adressaten polizeilicher Maßnahmen, deren Authentizität nicht feststeht, keine Stellung. 2. Wie hoch waren die Gesamtkosten der Bergung des Umweltaktivisten?" Kosten im Zusammenhang mit dem Einsatz der Kreispolizeibehörde Rhein-Erft-Kreis Durch die nordrhein-westfälischen Polizeibehörden werden Kosten, die im Zusammenhang mit Einsätzen eigener Einsatzkräfte in Nordrhein-Westfalen entstehen, grundsätzlich nicht erhoben. Im Rahmen des Einsatzes der Polizei aus Anlass des "Waldbesetzer-Camps Hambacher Forst" wurde die Kreispolizeibehörde Rhein-Erft-Kreis jedoch durch Einsatzkräfte des Landes Niedersachsen bzw. des Bundes im Zeitraum 13.11. bis 15.11.2012 unterstützt. Im Zusammenhang mit Unterstützungseinsätzen der Polizeien der Länder und des Bundes entstandene „einsatzbedingte Mehrkosten“ (z. B. Mehrarbeit, Dienst zu ungünstigen Zeiten, Reisekosten , Verpflegungs- und Unterbringungskosten) werden erhoben und den unterstützenden Ländern bzw. dem Bund erstattet. Grundlage für die Abrechnung derartiger Unterstützungseinsätze ist die „Verwaltungsvereinbarung über vereinfachte Regelungen und einheitliche Pauschalen für die Abrechnung von Unterstützungseinsätzen“ vom 18.10.2005, der alle Länder und der Bund beigetreten sind. Auf dieser Grundlage wurden dem Land Niedersachsen 7.325,15 Euro und dem Bund 15.500,46 Euro erstattet. Darüber hinaus wurden der Kreispolizeibehörde (KPB) Rhein-Erft-Kreis durch beauftragte Unternehmen insgesamt 179.475,36 Euro in Rechnung gestellt. Darin enthalten sind u. a. die Kosten für die Bergungsmaßnahmen der Grubenwehr Herne, für die Anmietung von Baufahrzeugen sowie die Verpflegungs- und Unterbringungskosten für die Einsatzkräfte der Polizei . Das Technische Hilfswerk hat außerdem der KPB Rhein-Erft-Kreis eine Rechnungsstellung in Höhe von 27.404,21 Euro angekündigt, die bislang aber noch nicht erfolgt ist. Kosten im Zusammenhang mit dem Rettungseinsatz Für den Einsatz des Rettungsdienstes und der notärztlichen Versorgung sind nach derzeitigem Sachstand der Stadt Kerpen Kosten in Höhe von ca. 10.000 Euro entstanden. Für den Einsatz der Feuerwehr der Stadt Kerpen werden Kosten in Höhe von 38.500 Euro veranschlagt . Die erfassten Gesamtkosten im Zusammenhang mit dem Einsatz der KPB Rhein-Erft-Kreis und dem Rettungseinsatz belaufen sich daher nach derzeitigem Stand auf ca. 278.000 Euro. 3. Beabsichtigen die an dem Einsatz zur Bergung des Umweltaktivisten beteiligten Behörden, den Kostenverursacher haftbar zu machen? Die KPB Rhein-Erft-Kreis hat eine Rechtsanwaltskanzlei um gutachterliche Prüfung gebeten, inwieweit Schadenersatzsprüche geltend gemacht werden können. Das Rechtsgutachten liegt der KPB Rhein-Erft-Kreis noch nicht vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2526 4 Die Stadt Kerpen prüft fortlaufend, inwieweit sich aufgrund polizeilicher /staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen oder sonstiger Erkenntnisse (etwa aus dem von der KPB Rhein-Erft-Kreis in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten) Tatsachen ergeben, die die Durchsetzung von Ansprüchen Erfolg versprechend erscheinen lassen. 4. Wie viele Ermittlungsverfahren laufen zurzeit noch im Zusammenhang mit den Geschehnissen im Hambacher Forst? Im Zusammenhang mit "den Geschehnissen im Hambacher Forst" sind bei den Staatsanwaltschaften Köln und Aachen zurzeit noch 106 Ermittlungsverfahren anhängig, davon 27 bei der Staatsanwaltschaft Köln im Zusammenhang mit dem in der Kleinen Anfrage angesprochenen Einsatz der Polizei aus Anlass des "Waldbesetzer-Camps" im Zeitraum 13.11.2012 bis 17.11.2012. 5. Ist bzw. war der Umweltaktivist Empfänger staatlicher Transferleistungen? Diese Informationen liegen der Landesregierung nicht vor und unterliegen darüber hinaus datenschutzrechtlichen Bestimmungen.