LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2791 26.04.2013 Datum des Originals: 26.04.2013/Ausgegeben: 30.04.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 956 vom 5. März 2013 der Abgeordneten Henning Höne, Dietmar Brockes, Dirk Wedel und Dr. Robert Orth FDP Drucksache 16/2257 Thermographie-Landkarten als Impulsgeber für Energieberatungen? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 956 mit Schreiben vom 26. April 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr und dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Arnsberg werden im Auftrag der Stadt und des Energieversorgers RWE nach Medienberichten in der Westfälischen Rundschau (WR) vom 28. Februar 2013 dieser Tage Flugzeuge der Spezialfirma Eurosense in 1400 Metern Höhe in 57 Flugschleifen über die Stadt fliegen, um dabei alle bebauten Grundstücke der Stadt mit Wärmebildkameras zu erfassen. Arnsberg ist die erste Stadt in Westfalen, in der ein derartiges Vorhaben realisiert wird. RWE steht bereits mit weiteren Kommunen in Westfalen und dem Ruhrgebiet in Kontakt, um in weiteren Städten vergleichbare Flugaufnahmen zu initiieren. Ziel ist es, die Bürger zu einer Energieberatung zu motivieren. Datenschutzrechtliche Bedenken sehen die Stadt und der Energieversorger nicht. In Rheinbach wurde das Projekt ebenso schon durchgeführt. Von den 7500 Grundstückseigentümern haben nur drei Hauseigentümer Widerspruch gegen die Aufnahmen ihrer Häuser eingelegt. „Widerspruch ist an jeder Stelle im Prozess möglich“ (WR, 28. Februar 2013), versichert Sebastian Witte. Energieberatungen sind wichtig, um Sanierungsbedarf zu erörtern und entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Trotzdem müssen die Bürgerinnen und Bürger über ihre Rechte vollumfänglich im Vorfeld der Aufnahmen informiert werden. Dies ist zur Akzeptanzsteigerung der Maßnahmen und zum Abbau von Bedenken hinsichtlich einer möglichen Überwachung von Privateigentum dringend erforderlich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2791 2 Überdies schrauben die Stadt und auch der Energieversorger RWE die Erwartungen an die Aufnahmen herunter und beide stellen klar, dass diese Aufnahmen nur dazu dienen würden, eine umfassende Energieberatung anzuregen. Vorbemerkung der Landesregierung Die Thermographie ist ein bildgebendes Verfahren zur Anzeige der Oberflächentemperatur von Objekten. In der Bauthermographie wird das Verfahren u. a. zur Prüfung der Wärmedämmung von Häusern eingesetzt. Um falsche Investitionsentscheidungen zu vermeiden, ist der Hinweis wichtig, dass die im Rahmen einer Überfliegung erstellten Wärmebilder den energetischen Zustand von Gebäuden nur bedingt aussagekräftig abbilden können. Ohne anschließende fachgerechte Beratung sind die Thermographien wenig aussagekräftig. Das Ergebnis dieser Aufnahmen hilft aber dabei, die betreffenden Hauseigentümer für die Wärmedämmung am eigenen Objekt zu sensibilisieren und sie zu motivieren, ergänzende Überprüfungen hinsichtlich des Wärmeverlusts am eigenen Haus vorzunehmen. 1. Wie bewertet die Landesregierung die in Rheinbach durchgeführten und in Arnsberg aktuell durchzuführenden Thermographieaufnahmen (u. a. vor dem Hintergrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung) aus der Luft? In Rheinbach hat die Gemeinde nach der Überfliegung den Eigentümern der etwa 8.000 Gebäude die Möglichkeit gegeben, Widerspruch gegen die Auswertung einzulegen. Dies haben nur wenige Bürger wahrgenommen. Danach hat die Stadt jedem Gebäudeeigentümer die Auswertung seines Gebäudes zukommen lassen. Die Auswertung erfolgte automatisch nach unserer Kenntnis durch die Stadt, eine Auswahl oder Eingrenzung besonders auffälliger Gebäude fand nicht statt. Allen Eigentümern (mit Ausnahme derjenigen mit Widerspruch) erhielten die Auswertung, die ausschließlich das eigene Gebäude zeigt. In Arnsberg wird der Datenschutz im Rahmen der Überfliegungsaktion ebenfalls berücksichtigt . Der Energieversorger RWE hat hier auf Erfahrungen der Aktion mit der Stadt Rheinbach im Frühjahr 2012 zurückgegriffen. Die Stadt Arnsberg als Auftraggeber hat folgendes Verfahren vorgesehen: Die Aufnahmen der Überfliegung werden vom Auftragnehmer als Daten einer externen Auswertungsstelle (hier TÜV Rheinland) übergeben. Die Stadt stellt dem Auswerter (TÜV) anonymisierte Grundstücksdaten zur Verfügung, so dass jedes Gebäude beim Auswerter nur als ID identifizierbar ist. Eine automatische Verknüpfung von Gebäudedaten und Überfliegungsdaten findet nicht statt. Die individuellen Daten eines Gebäudes werden nur als Verknüpfung von Grundstücksdaten und Befliegungsdaten bearbeitet, wenn dies ein Gebäudebesitzer explizit wünscht. Hierzu informiert die Stadt Arnsberg alle Gebäudebesitzer, dass diese Möglichkeit der individuellen Auswertung besteht. Wünscht dies der Eigentümer, erhält er einen Zugangsschlüssel, mit dem er die Auswertung seines Gebäudes durchführen lassen kann. Ihm wird eine Auswertung zugestellt, die nur sein Gebäude zeigt und bewertet (also keine Informationen etwa zu Nachbargebäuden). Die Stadt Arnsberg erhält im gesamten Verfahren keine Kenntnis über individuelle Daten, sondern im Zuge der Auswertung Mittelwerte über das gesamte Überfliegungsgebiet sowie LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2791 3 über die Zahl angeforderter Auswertungen. Der behördliche Datenschutzbeauftragte der Stadt war in die Entwicklung des Programmes eingebunden. 2. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung um darauf hinzuwirken, dass die Hauseigentümer in den entsprechenden Kommunen vollumfänglich über ihre Rechte des Widerspruchs etc. im Vorfeld aufgeklärt und informiert werden? Die hier bekannte und in der Beantwortung der Frage 1 beschriebene Praxis bietet keine Grundlage anzunehmen, dass die betroffenen Bürgerinnen und Bürger nicht oder nur unzureichend über ihre Rechte informiert wurden und werden. 3. Welche Möglichkeiten bieten energetische Sanierungen zur erfolgreichen Um- setzung der Energiewende? Die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden ist und bleibt ein Schlüsselthema für den Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen, weil wir von insgesamt rd. 8,5 Mio. Wohnungen über 6 Mio. Wohnungen haben, die in der Zeit vor der 1. Wärmeschutzverordnung von 1977 gebaut wurden. Hier liegt ein sehr großes Einsparpotenzial. Viele Häuser sind nicht mit Wärmedämmung versehen und die Heizungsanlagen haben ihre übliche Nutzungsdauer (18 bis 20 Jahre) oft schon überschritten. Das gilt für die Ein- und Zweifamilienhäuser ebenso wie für den Mietwohnungsbau aus den 1950er bis 1980er Jahren. Bestandsbauten verbrauchen durchschnittlich dreimal so viel Energie für die Wärmeversorgung wie Neubauten. Mit einer umfassenden energetischen Sanierung unter Einbeziehung moderner Heiztechnik kann in Bestandsbauten der Primärenergiebedarf bis zu 80 Prozent gesenkt werden. Energieeinsparung und Energieeffizienz im Gebäudesektor sind ganz wesentliche Bestandteile der Energiewende und Voraussetzung dafür, dass Deutschland seine anspruchsvollen Klimaschutzziele und seine Ausbauziele für erneuerbare Energien erreicht. 4. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für sinnvoll und angebracht, um die energetische Sanierungsquote auf 2 % anzuheben? Die Landesregierung nimmt die internationalen und nationalen Klimaschutzziele ernst und will die Sanierungsquote in den Wohnungsbeständen deutlich erhöhen. Aus diesem Grund hat das Land gezielt 150 Millionen Euro aus dem Wohnungsbauvermögen (Wohnraumförderungsprogramm 2013) für die Förderangebote im Rahmen von Bestandsinvestitionen mit dem Schwerpunkt auf der energetischen Sanierung des Wohnungsbestandes einschließlich des Erwerbs vorhandenen Wohnraums mit guten energetischen Standards zur Verfügung gestellt. Dieses Programm stellt mit seinen Zielen darauf ab, eine sozialverträgliche Umsetzung von energetischen Modernisierungsmaßnahmen mit pragmatischen technischen Anforderungen bei attraktiven Darlehenskonditionen in Gang zu setzen. Das hilft energetische Sanierung anzustoßen, ohne dass die Zahlungsfähigkeit der Sozialmieter überfordert wird. Die Landesregierung wird auch zukünftig dafür sorgen, dass der Wohnungsbestand mit technischem und sozialem Augenmaß weiter entwickelt wird und dies mit Fördermitteln der investiven Bestandsförderung unterstützen. Allerdings ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Aufstockung der KfW-Mittel für energetische Gebäudesanierung auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro viel zu wenig ist und fordert von der Bundesregierung mehr Geld für die Gebäudesanierung. Um das im Energiekon- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2791 4 zept der Bundesregierung festgehaltene Ziel einer Verdoppelung der Sanierungsrate auf zwei Prozent zu erreichen, wird mindestens 1 Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich benötigt. Mit der Arbeit der EnergieAgentur.NRW wurden und werden auch zukünftig zahlreiche Projekte und Veranstaltungen durchgeführt, die auf den Dreiklang Information, Motivation und Vernetzung setzen. Mit dem Gebäude-Check Energie und der Start-Beratung Energie hat das Land seit über 10 Jahren niedrigschwellige Initialberatungs-Tools. Handwerker (Gebäude-Check) und Architekten und Ingenieure (Start-Beratung) bieten die vom Land geförderten und von der EnergieAgentur .NRW koordinierten Checks für Gebäude an, die vor dem 01.01.1980 fertig gestellt wurden. Beide Checks dienen Hausbesitzern dazu, erste grundlegende Anhaltspunkte für Schwachstellen am Gebäude zu erkennen und daraus folgend Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung zu ergreifen. Das Land fördert beide Checks mit jeweils 52 Euro. Der Gebäude-Check Energie kostet den Hausbesitzer 25 Euro, die Start-Beratung Energie 48 Euro. Die Verbraucherzentrale NRW engagiert sich seit mehr als dreißig Jahren im Themenfeld Energie. Mit Informations- und Beratungsangeboten zur energetischen Gebäudesanierung und zum Einsatz erneuerbarer Energien unterstützt sie Privathaushalte dabei, ihren persönlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende zu leisten und Kostenvorteile zu nutzen . Gebäudeeigentümer/-innen erhalten im Rahmen der anbieterunabhängigen Vor-OrtEnergieberatungen innerhalb des EU-kofinanzierten Projektes „Klimaschutz und Energiewende konkret“ einen Überblick über den energetischen Zustand ihres Objekts und eine daraus abgeleitete Sanierungsstrategie. Diese Initialberatungsangebote richten sich insbesondere an die heterogene Gruppe der rund 2,7 Millionen privaten Gebäudebesitzer/-innen in Nordrhein-Westfalen, die in Gebäuden mit bis zu sechs Wohneinheiten leben. Ein weiteres persönliches Energieberatungsangebot besteht in den 59 VZ-Beratungsstellen sowie in den 34 Beratungsstützpunkten z.B. in Rathäusern in NRW. Darüber hinaus leistet die Verbraucherzentrale NRW eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit rund um das Thema energetische Gebäudesanierung. Energieberater/-innen der Verbraucherzentrale NRW tragen in den Städten und Kreisen zu der zunehmend bedeutsamen lokalen Vernetzung von Akteuren aus Wirtschaft, Verbänden und Verwaltung bei. Die NRW eigenen Projekte „50 Solarsiedlungen" und „100 Klimaschutzsiedlungen" (Neubau und Sanierungen) haben eine immense Innen- und Außenwirkung. Investoren werden motiviert energieeffizient zu bauen bzw. zu sanieren, Mieter profitieren von günstigen Nebenkosten und über die starke Öffentlichkeitsarbeit werden Erfolge kommuniziert und Nachahmer gefunden. Mit progres.nrw hat das Land zudem seit vielen Jahren ein effektives Förderprogramm, das die Bundesförderung in entsprechenden Themengebieten ergänzt und unterstützt. Und auch die NRW.Bank leistet mit Ihren Programmen zur Gebäudesanierung seit vielen Jahren eine umfangreiche Unterstützung, sowohl für Eigenheimnutzer als auch für den preisgebundenen Mietwohnungsbau. Weitere Maßnahmen werden derzeit im breiten Konsens im Rahmen des Klimaschutzgesetzes aufzustellenden Klimaschutzplans erarbeitet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2791 5 5. Welches Potential sieht die Landesregierung im Bereich der energetischen Sanierung im Bereich der langeseigenen Gebäude und Liegenschaften? Im Rahmen der Umsetzung der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2007 wurden Energieverbrauchsausweise und Energiebedarfsausweise für die Gebäude des Landes erstellt. Die darin aufgeführten Modernisierungsempfehlungen zur energetischen Verbesserung wurden, soweit diese wirtschaftlich und technisch machbar sind, umgesetzt oder in die Instandsetzungsplanung aufgenommen. Die dadurch gewonnene Datengrundlage bietet derzeit wesentlich mehr Informationen als eine Thermographie. Für die Zukunft hat sich die Landesregierung nach § 7 Klimaschutzgesetz das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 eine insgesamt klimaneutrale Landesverwaltung zu erreichen. Für die Umsetzung dieses Zieles wird die Landesregierung ein verbindliches Konzept vorlegen, das als Teil des Klimaschutzplans erstellt wird. Mit den Arbeiten für die Erstellung des Klimaschutzplans wurde im 4. Quartal 2012 begonnen; ein konkretes Datum für die Fertigstellung ist derzeit noch nicht abzusehen. Auf Grund der Neuartigkeit des Prozesses und des umfangreichen Beteiligungsverfahrens handelt es sich hier um ein längeres Verfahren. Als Ergebnis wird der Klimaschutzplan NRW nach § 6 Klimaschutzgesetz dem Landtag vorgelegt und von ihm beschlossen.