LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2936 14.05.2013 Datum des Originals: 13.05.2013/Ausgegeben: 17.05.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1053 vom 10. April 2013 der Abgeordneten Ralf Witzel und Henning Höne FDP Drucksache 16/2566 Aufwand von mittelständischen Unternehmen durch Erhebung der Erbschaftsteuer – Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dieser Problematik bezüglich Kosten und Nutzen gerade im Hinblick auf die Einführung einer Vermögensteuer? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 1053 mit Schreiben vom 13. Mai 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die rot/grüne Landesregierung versucht aus Sicht der FDP-Landtagsfraktion unverändert, durch eine Umverteilungsdebatte von den Auswirkungen ihrer schlechten Finanzpolitik abzulenken . Dazu gehört auch der erklärte Wille, wieder eine Steuer auf Vermögen in unserem Land einzuführen. Dies soll geschehen, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Vermögensteuer alter Konstruktion im Jahr 1995 schon einmal mit guten Gründen für verfassungswidrig erklärt hat. Der Zeitpunkt der Debatte über die Wiedereinführung der Vermögensteuer ist umso unverständlicher , da sich die Beschäftigung in Deutschland aktuell auf einem Rekordniveau befindet . Noch nie gab es eine so hohe Anzahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Daraus resultieren hohe Steuererträge und höhere Einnahmen der Sozialversicherungen. Hierbei kommt es bereits zu einer nicht unbeträchtlichen Umverteilung: Bei der Einkommensteuer als auch bei den indirekten Steuern sowie in den Sozialversicherungen tragen die starken Schultern richtigerweise wesentlich mehr finanzielle Lasten als die Teile der Bevölkerung mit einem geringeren Einkommen. Die FDP-Landtagsfraktion hat bereits im September vergangenen Jahres mit ihrer Antragsinitiative „Auf Bundesratsinitiative zur Erhebung einer Vermögensteuer verzichten – Landes- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2936 2 regierung soll weitere Steuererhöhungen unterlassen“ (LT-DS 16/818) ihre kritische Haltung zur proklamierten Wiedereinführung einer Vermögensteuer begründet. Insbesondere der Mittelstand – eine tragende Säule unseres Wirtschaftssystems und Garant für eine hohe Beschäftigung – würde durch eine Vermögensbesteuerung stark geschwächt. Ebenso besteht ein Großteil des privaten Vermögens, das SPD und Grüne zukünftig belasten wollen, aus mittelständischem Betriebsvermögen. Wer hier Vermögen abgreift, belastet gerade die Existenz vieler Mittelständler und gefährdet Arbeitsplätze. Ferner lassen sich bei Personengesellschaften privates und betriebliches Vermögen nicht trennscharf abgrenzen. Die Belastung von betrieblichem Vermögen wird im großen Umfang dem Mittelstand schaden und negative Wirkungen auf Wachstum und Beschäftigung haben. Eine Steuer auf Vermögen geht immer auch mit überproportional hohen Bürokratie- und Vollzugskosten einher. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat schon vor der Aussetzung der Vermögensteuer die Belastung für Bürger und Land insgesamt berechnet: Die Vollzugskosten betragen rund ein Drittel des Aufkommens. Zusätzlich hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass bei einer Vermögensteuer keine Vermögensteile zu bevorzugen sind. Die Bewertung verschiedener Vermögensarten wird zwangsläufig zu noch größeren bürokratischen und personalintensiven Verfahren und zu explodierenden Kosten der Erhebung führen: Zunächst muss ermittelt werden, ob und in welchem Umfang Vermögen vorhanden ist. Dazu müssen Millionen Vermögensgegenstände in kürzester Zeit durch die Steuerverwaltung bewertet werden. Dies ist ein enormer Bürokratieaufwand , der zwangsläufig zu Fehlern und zu Prozessen vor den Finanzgerichten führen wird. Bereits heute ist die Erbschaftsteuer mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden, vor allem, wenn es um Unternehmen geht. Bei Großunternehmen ist dieser Aufwand noch gut leistbar, da dort die Konzernbetriebsprüfung ganzjährig im Haus ist und dem Finanzamt sämtliche Unterlagen bekannt sind. Problematisch ist jedoch die Situation bei den mittleren Unternehmen. Generationsübergänge im Mittelstand finden in den Unternehmen jedoch durchschnittlich nur alle vier bis fünf Jahrzehnte statt, wohingegen geplant ist, die Vermögensteuer jährlich abzuführen und somit auch die Notwendigkeit der jährlichen Überprüfung besteht. Vor dem Hintergrund besorgter Hinweise mittelständischer Unternehmen aus NordrheinWestfalen und den aus der Einführung der Vermögensteuer resultierenden enormen zusätzlichen Kosten für den Landeshaushalt ist es für das Parlament von hohem Interesse, präzise zu erfahren, wie sich der bürokratische Aufwand durch die Erbschaftsteuer bereits heute darstellt und welche Erkenntnisse sich daraus für eine mögliche zukünftige Erhebung einer Vermögensteuer aus Sicht des Finanzministeriums ableiten lassen. Vorbemerkung der Landesregierung Steuergerechtigkeit und eine faire Finanzierung des Gemeinwesens sind tragende Grundpfeiler eines funktionierenden und handlungsfähigen Staatswesens. Ein leistungsfähiges Gemeinwesen ist die Grundlage für die Bildung und Sicherung von Vermögen. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer wird einen Beitrag zur Wiederherstellung der Steuergerechtigkeit in Deutschland leisten. Die Landesregierung steht dazu, dass die Gewährleistung von Bildung, Betreuung, leistungsfähiger Infrastruktur, von öffentlicher Sicherheit und sozialem Zusammenhalt einerseits und die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Haushaltskonsolidierung andererseits eine stärkere Beteiligung von hohen Einkommen und großen Vermögen an der Finanzierung der staatlichen Aufgaben erfordert. Die Wiedereinführung der Vermö- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2936 3 gensteuer ist ein wichtiger Baustein im Rahmen des steuerpolitischen Gesamtkonzepts zur Erreichung der genannten Ziele. Der durch die Vermögensteuer voraussichtlich entstehende Verwaltungsaufwand ist im Verhältnis zu dem geschätzten Aufkommen absolut akzeptabel. Das gilt auch für die Erbschaftsteuer . 1. Wie regelmäßig kommt es in Nordrhein-Westfalen zum Generationsübergang bei mittelständischen Unternehmen und somit zur Erhebung von Erbschaftsteuern? Die Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer knüpft an den "steuerlichen Erwerb" von Vermögen aufgrund des Erbfalls bzw. der Schenkung von Vermögen an. Aus dem zur Verfügung stehenden Datenmaterial kann zwar ermittelt werden, in welchen Fällen Betriebsvermögen vererbt oder verschenkt wurde. Es lässt sich daraus aber nicht die Anzahl der vererbten Betriebe ableiten, da sowohl Anteile an einem Betrieb als auch mehrere ganze Betriebe in einem Steuerfall enthalten sein können . Außerdem lässt sich die geforderte Klassifizierung in „mittelständische Unternehmen“ anhand der zur Verfügung stehenden Steuerwerte nicht vornehmen. Es fehlt auch an betragsmäßigen Grenzen für eine Kategorie „mittelständische Unternehmen“. 2. Wie viele Erbschaftsteuerfälle bei mittleren Unternehmen in Nordrhein-Westfalen haben seit dem Jahr 2000, differenziert nach den jeweiligen administrativen Gründen, mehr als drei Jahre bis zur abschließenden Regelung angedauert? (bitte differenzierte Darstellung mit absoluten und prozentualen Werten) Die Fragestellung lässt eine Definition der Kategorie „mittlere Unternehmen“ nicht erkennen. Die angefragten Daten liegen nicht vor. 3. Wie hoch ist bei Erbschaftsteuerfällen mittlerer Unternehmen in Nordrhein- Westfalen, aufgeschlüsselt nach jeweiligen Gründen wie laufenden Gerichtsverfahren etc., der aktuelle Bearbeitungsrückstand? (Anzahl noch nicht abgeschlossener Verfahren) Die Fragestellung lässt eine Definition der Kategorie „mittlere Unternehmen“ nicht erkennen. Die angefragten Daten liegen nicht vor. Von den insgesamt im Kalenderjahr 2012 zu bearbeitenden 280.000 Fällen waren zum 31.12.2012 57.169 offen. In den Erbschaft- und Schenkungsteuerstellen waren zum 31.12.2012 2.719 außergerichtliche Einspruchsverfahren zu Erbschaftsteuerfällen anhängig, davon waren 1.275 Verfahren ruhend gestellt. Gesonderte Daten zu Gerichtsverfahren gegen Erbschaft- und Schenkungsteuerbescheide liegen nicht vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2936 4 4. Wie stellt sich der zeitliche Aufwand für die Prüfung einer Erbschaftsteuererklärung bei mittleren Unternehmen in Nordrhein-Westfalen gegenwärtig dar? (bitte differenzierte Darstellung nach Manntagen) Die Fragestellung lässt eine Definition der Kategorie „mittlere Unternehmen“ nicht erkennen. Die angefragten Daten liegen nicht vor. Der Personalbedarf für die Erbschaft- und Schenkungsteuerstellen der Finanzämter in Nordrhein -Westfalen beläuft sich auf 215 Arbeitskräfte, je zur Hälfte mittlerer und gehobener Dienst, und ist auskömmlich. Die Personalbedarfsermittlung und -verteilung erfolgt in Nordrhein -Westfalen seit Jahren auf der Grundlage der Bruttowertschöpfung und der Einwohnerzahlen . 5. Welche konkreten einzelnen Berechnungen gibt es von Seiten der Landesregie- rung zur Finanzierung der für die Erhebung einer Vermögensteuer zusätzlich notwendigen Bediensteten in der Finanzverwaltung? (bitte Szenarien des Personalmehrbedarfs unter Angabe der Berechnungsmethoden darstellen) Eigene Berechnungen zum Personalaufwand bei Wiedereinführung der Vermögensteuer entsprechen den Berechnungen eines DIW-Gutachtens aus dem Jahr 2012. Der Verwaltungsaufwand wird mit 1 Prozent des erwarteten Steueraufkommens von 11,5 Mrd. € (Anteil NRW 3,5 Mrd. €) geschätzt. Hieraus errechnet sich für NRW ein voraussichtlicher Personalbedarf von etwa 300 Arbeitskräften, erfahrungsgemäß je zur Hälfte mittlerer und gehobener Dienst. Dies entspricht in etwa dem Personal, das bis 1997 für die Vermögensteuerbearbeitung eingesetzt war. Etwa die Hälfte des prognostizierten Personalbedarfs entfällt auf die erforderlich werdende Bewertung des Grund- und Betriebsvermögens. Den hierbei getroffenen Annahmen (Festsetzung der Vermögensteuer, Bedarfsbewertung nach § 151 des Bewertungsgesetzes und Unterstützungsprozesse) liegen Durchschnittswerte zu Grunde.