LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/2991 16.05.2013 Datum des Originals: 16.05.2013/Ausgegeben: 22.05.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1171 vom 26. April 2013 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/2795 Novellierung des Rechts der Prozesskostenhilfe Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 1171 mit Schreiben vom 16. Mai 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Deutsche Bundestag wird voraussichtlich in Kürze eine Novellierung des Rechts der Prozesskostenhilfe beschließen. Diese Initiative hat gleichermaßen große Bedeutung für die Landespolitik und Rechtspolitik. Denn die Prozesskostenhilfe ist einerseits durch Landesmittel zu finanzieren bei deutlich gestiegener Ausgaben der Länderhaushalte der Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe seit dem Jahre 2000. Andererseits sichert sie im sozialen Rechtsstaat den Zugang zum Recht für alle, unabhängig von ihrer jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit. Eine Gesetzesreform muss zwingend gewährleisten, dass die durch den Justizgewährungsanspruch, das Sozialstaatsgebot und Gleichheitsgebot gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen beachtet werden. Keine Partei darf dazu gezwungen werden, zur Verfolgung ihrer Rechte ihr Existenzminimum einzusetzen. Die Landesregierungen sind in den Gesetzgebungsprozess bereits im Vorfeld intensiv involviert gewesen, da das Novellierungsgesetz (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts, BT-Drucksache 17/11472) der Zustimmung des Bundesrates bedarf. In Sachen „Reformbedürftigkeit der Prozesskostenhilfe“ ist auf die Beschlüsse der Justizministerkonferenz aus den Jahren 2005 und 2008 hinzuweisen sowie auf Berichte verschiedener Landesrechnungshöfe wie dem Landesrechnungshof NRW, welcher aus seiner Sicht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2991 2 wünschenswerte organisatorische Veränderungen sowie notwendige gesetzliche Reformen des Prozesskostenhilferechts angeregt hatte. Im Erläuterungsband zum Haushaltentwurf 2013 - EP 04 für den GB des Justizministeriums - wird insoweit seitens des Justizministers wie folgt ausgeführt: „Prozesskosten- und Beratungshilfe Die Ausgaben für Prozesskosten- und Beratungshilfe haben sich im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit in den letzten Jahren wie folgt entwickelt: 2000: 85,5 Mio. Euro, 2001: 87,7 Mio. Euro (+ 2,6 %), 2002: 95,0 Mio. Euro (+ 8,3 %), 2003: 104,9 Mio. Euro (+ 10,4 %), 2004: 112,7 Mio. Euro (+ 7,4 %), 2005: 122,3 Mio. Euro (+ 8,5 %), 2006: 130,3 Mio. Euro (+ 6,5 %), 2007: 128,8 Mio. Euro ( - 1,2 %), 2008: 132,0 Mio. Euro (+ 2,5 %), 2009: 131,2 Mio. Euro (- 0,6 %), 2010: 132,9 Mio. Euro (+ 1,3 %) 2011: 130,0 Mio. Euro (- 2,2 %). Die Ursachen des erheblichen Anstiegs der Ausgaben in den Jahren 2000 bis 2006 sowie der seitdem im Wesentlichen zu verzeichnenden Stagnation auf sehr hohem Niveau lassen sich nicht sicher beurteilen. Als legislative Maßnahmen zur Eindämmung der stark gestiegenen Aufwendungen für Prozess- und Verfahrenskostenhilfe sowie für Beratungshilfe hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vorgelegt, zu dem der Bundesrat am 05.10.2012 eine Stellungnahme abgegeben hat. Der Entwurf soll die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe (PKH) sowie die Beratungshilfe effizienter gestalten. Ausgangspunkt sind die Bundesratsinitiativen aus der 16. und 17. Legislaturperiode (Prozesskostenhilfe : BT-Drs. 16/1994; 17/1216; Beratungshilfe: BTDrs. 17/2164), deren Ziel es in erster Linie war, die in den Jahren zuvor kontinuierlich gestiegenen Ausgaben der Länderhaushalte für Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe zu begrenzen. Mit dem nunmehr vorgelegten Gesetzentwurf soll diesem Interesse der Länder entgegengekommen werden. Dabei soll das Ziel im Vordergrund stehen, einerseits der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskosten- und Beratungshilfe entgegenzuwirken und andererseits die an den Staat zurückfließenden Beträge zu erhöhen. Zugleich ist aber sicherzustellen, dass allen Bürgerinnen und Bürgern "gleicher Zugang zum Recht" gewährt wird. Der Gesetzgeber hat nach dem verfassungsrechtlichen Justizgewährungsanspruch dafür Sorge zu tragen, dass auch die mittellose Partei in die Lage versetzt wird, ihre Belange in einer dem Gleichheitsgebot entsprechenden Weise im Rechtsstreit geltend zu machen. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen unabhängig von ihrem Einkommen ihre Rechte durchsetzen können. Gleicher Zugang zum Recht setzt den gleichen Zugang bereits zur Rechtsberatung im Vorfeld eines Rechtsstreits voraus. Die finanziellen Auswirkungen der beabsichtigten Reformen lassen sich kaum prognostizieren.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2991 3 1. Inwieweit teilt die Landesregierung die Auffassung, dass im Rahmen der Reform der Prozesskostenhilfe und der Beratungshilfe der Zugang zum Recht, insbesondere für sozial Schwächere, nicht unverhältnismäßig erschwert werden darf? Die Landesregierung teilt diese Auffassung. 2. Inwieweit teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Ratenzah- lungshöchstdauer im Gegensatz zu § 115 Abs. 2 ZPO-E bei 48 Monatsra- ten – wie im geltenden Recht – bleiben sollte? 3. Inwieweit teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Freibeträge im Ge- gensatz zu § 115 Abs. 1 S. 3 ZPO-E für Erwerbstätige, Ehegatten oder Lebenspartner nicht abgesenkt werden sollten? 4. Inwieweit teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Möglichkeit der Übertragung der Bedürftigkeitsprüfung auf den Rechtspfleger im Ge- gensatz zu § 20 Nr. 4 RPflG-E entfallen sollte? 5. Wird das Land Nordrhein-Westfalen im Bundesrat einem mit entsprechenden Änderungen - Ratenzahlungshöchstdauer höchstens 48 Monatsraten, keine Absenkung der Freibeträge für Erwerbstätige, Ehegatten oder Lebenspartner und Entfallen der Möglichkeit der Übertragung der Bedürftigkeitsprüfung auf den Rechtspfleger - verabschiedeten Gesetzentwurf zustimmen? Die Fragen 2 bis 5 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Die nordrhein-westfälische Landesregierung legt bei den Beratungen zu dem von der Kleinen Anfrage in Bezug genommenen „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe - und Beratungshilferechts“ (BT-Drs. 17/11472) größten Wert darauf, dass allen Bürgerinnen und Bürgern "Gleicher Zugang zum Recht" gewährt wird. Der Gesetzgeber hat nach dem verfassungsrechtlichen Justizgewährungsanspruch dafür Sorge zu tragen, dass auch die mittellose Partei in die Lage versetzt wird, ihre Belange in einer dem Gleichheitsgebot entsprechenden Weise im Rechtsstreit geltend zu machen. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen unabhängig von ihrem Einkommen ihre Rechte durchsetzen können. Gleicher Zugang zum Recht setzt nicht nur gleichen Zugang zum Prozess voraus, sondern auch schon im Vorfeld zur Rechtsberatung. Diesen Grundsätzen fühlt sich die Landesregierung verpflichtet. Aus eben diesen Gründen hat die Landesregierung bereits im Rahmen des 1. Durchgangs der Bundesratsberatungen zahlreiche Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf gestellt, die seinerzeit aufgrund der damaligen Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer jedoch keine Mehrheit gefunden haben . Infolge der am 13. März 2013 im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages erfolgten öffentlichen Sachverständigenanhörung und der anschließend geführten Gespräche zwischen dem Bundesministerium der Justiz und Landesjustizverwaltungen ist zu erwarten, dass der Gesetzentwurf vor der abschließenden Beratung im Bundestag Veränderungen erfahren wird. Das Ergebnis der Beratungen im Bundestag bleibt abzuwarten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/2991 4 Erst wenn das Ergebnis der Überarbeitung feststeht, wird sich die Landesregierung deshalb zu gegebenenfalls erfolgten Änderungen in Bezug auf den Gesetzentwurf zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (BT-Drs. 17/11472) positionieren, insbesondere entscheiden können, wie sie sich zu dem Gesetzentwurf im 2. Durchgang im Bundesrat abschließend verhalten wird.