LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3347 21.06.2013 Datum des Originals: 21.06.2013/Ausgegeben: 26.06.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1245 vom 16. Mai 2013 der Abgeordneten Susanne Schneider, Yvonne Gebauer und Marcel Hafke FDP Drucksache 16/2992 Was tut die Landesregierung zur Diabetesvorsorge an den Schulen und Kindergärten in Nordrhein-Westfalen? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 1245 mit Schreiben vom 21. Juni 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie , Kinder, Jugend, Kultur und Sport und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Fast 400.000 Menschen in Deutschland leiden unter Diabetes mellitus Typ-1, darunter etwa 30.000 Kinder und Jugendliche. Laut Expertenangaben steigt die Zahl der Neuerkrankungen an Diabetes Typ-1 bei Kindern und Jugendlichen jährlich um ein bis zwei Prozent. 15 von 1.000 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren leiden an Typ-2-Diabetes. Nach aktuellen Schätzungen sind in Deutschland zwischen 21.000 und 24.000 Kinder und Jugendliche betroffen . Typ-1-Diabetes, der auch als juveniler Diabetes bezeichnet wird, ist eine Erkrankung, bei der die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr produziert. Mit diesem Stoff werden lebenswichtige Stoffwechselvorgänge reguliert. Daher sind Typ-1-Erkrankte gezwungen, sich ihr Leben lang Insulin zuzuführen. Typ-2-Diabetes ist gemeinhin auch als Altersdiabetes bekannt, obwohl wie dargelegt auch immer mehr junge Menschen erkranken. Übergewicht und Bewegungsmangel werden als Ursachen für diese Erkrankung angesehen. Es gilt als erwiesen, dass sich dieser Diabetestyp durch präventive und vorbeugende Maßnahmen häufig verhindern lässt. Weshalb die Zahlen – auch bei Kindern und Jugendlichen – steigen, gibt der Wissenschaft nach wie vor Rätsel auf. Umso wichtiger erscheint daher aber eine frühestmögliche Diagno- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3347 2 se der Krankheit, um die negativen Folgen für die Gesundheit durch Schädigung von Blutgefäßen , Nerven und Organen einzudämmen. Wie Professor Wieland Kiess, Direktor der Leipziger Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche, in einem kürzlich geführten Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa erklärt, müsse daher auch mehr in Kindergärten, Sportvereinen und Schulen im Hinblick auf Aufklärung und Prävention getan werden. Auch die Fragesteller vertreten die Auffassung, dass Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen bereits im Kindesalter beginnen müssen, um die späteren pathologischen Folgen zu vermeiden. Vorbemerkung der Landesregierung Kinder und Jugendliche mit Diabetes sind grundsätzlich in jeder Hinsicht, d. h. körperlich, geistig, emotional und sozial voll leistungsfähig und belastbar. Das gilt weitgehend auch für den Bereich Bewegung, Spiel und Sport. Lehrkräfte an Schulen und pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, die von der Erkrankung des Kindes wissen, bemühen sich um einen möglichst "normalen Umgang" mit dem Kind. Sonderrollen, Ausnahmeregelungen, Ausschluss von bestimmten Tätigkeiten oder andere Beschränkungen sind nicht grundsätzlich erforderlich. Grundsätzlich können Menschen mit Diabetes an allen Veranstaltungen teilnehmen. Das gilt auch für mehrtägige Fahrten. Sie bedürfen jedoch je nach Alter und Selbständigkeit unterschiedlich umfangreicher Vorbereitungen und Absprachen. Bei jüngeren Kindern müssen die Eltern einbezogen werden. 1. Inwiefern wird an Kindergärten und Schulen über die Diabeteserkrankung infor- miert und aufgeklärt? Schule Für die Kinder und Jugendlichen und deren Lehrkräfte ist es sehr hilfreich, wenn sie über entsprechende (Grund-)Kenntnisse über die Krankheit, die dadurch bedingten Verhaltensregeln und erforderlichen Kompetenzen verfügen. Das Thema Diabetes wird im Lehrplan Sachunterricht der Grundschulen nicht explizit aufgegriffen . Im Rahmen des Unterrichts kann ein Aufnehmen dieser Thematik aber durchaus sinnvoll sein, beispielsweise wenn sich in der Klasse ein Kind mit Diabetes befindet, die Krankheit also Teil der kindlichen Lebenswelt ist. Die Lehrerinnen und Lehrer entscheiden in eigener pädagogischer Verantwortung auf der Grundlage des Lehrplans über die Inhalte ihres Unterrichts. Es wird z. B. integriert im Bereich „Natur und Leben“ unter dem Schwerpunkt „Körper, Sinne, Ernährung und Gesundheit“ mit folgenden Kompetenzerwartungen formuliert:  Am Ende der Schuleingangsphase (Ende Klasse 2): „Die Schülerinnen und Schüler erkunden und beschreiben unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten und deren Folgen.“  Am Ende von Klassenstufe 4: „Die Schülerinnen und Schüler formulieren Regeln und Tipps für eine gesunde Lebensführung (z. B. Ernährung, Körperpflege, Erste Hilfe).“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3347 3 In den Kernlehrplänen für den Biologieunterricht der Sekundarstufe I ist es für alle Schulformen in mindestens einem Inhaltsfeld explizit ausgewiesen und somit für alle Schulen obligatorisch (siehe hierzu auch Konkretisierungen bei der Antwort zu Frage 2). Kindergarten: In Kindertageseinrichtungen spielt im Kontext der Diabeteserkrankung eines Kindes zusätzlich zu den Fragen des pädagogischen Alltags auch die Medikamentengabe oft eine Rolle. Neben den Regelungen des KiBiz zur Gesundheitsvorsorge von Kindern in § 10 Abs. 2 und 3 KiBiz haben die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen zum Thema Medikamentengabe und damit einhergehend auch zur Betreuung chronisch kranker Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege eine umfassende Orientierungshilfe für die Praxis herausgegeben , die dazu dienen soll, die notwendige Sicherheit und Klarheit im Umgang mit der Verabreichung von Medikamenten zu bieten. Sie beinhaltet auch das Muster einer Vereinbarung zwischen Träger und Erziehungsberechtigten über die Medikamentierung in der Kindertageseinrichtung/Kindertagespflege, die sich gerade bei chronisch kranken Kindern empfiehlt und eine genaue Beschreibung der Vorgehensweise und Verantwortung beinhaltet, um das Kind bestmöglich zu unterstützen und die pädagogischen Fachkräfte abzusichern. 2. Weisen die Lehrpläne in der Sekundarstufe I diese Thematik aus? Die Bezüge zum Grundschullehrplan wurden in Frage 1 genannt. Für die Sekundarstufe I können folgende Konkretisierungen genannt werden: Im Kernlehrplan Biologie für die Gesamtschule wird dieser Themenschwerpunkt explizit im Inhaltsfeld 9 Information und Regulation und im Lehrplan für die Hauptschule im Inhaltsfeld 8 Biologische Forschung und Medizin ausgewiesen:  Die Schülerinnen und Schüler können aus Informationen über Diabetes Typ I und II geeignete Handlungen im Notfall und im persönlichen Leben ableiten. Die weitere unterrichtliche Behandlung ergibt sich in der Hauptschule im Kontext des Inhaltsfeldes 3 Gesundheitsbewusstes Leben und in der Gesamtschule im Inhaltsfeld 4 Körper und Leistungsfähigkeit:  Die Schülerinnen und Schüler können eine ausgewogene Ernährung und die Notwendigkeit körperlicher Bewegung begründet darstellen. Der Realschul-Lehrplan Biologie weist im Inhaltsfeld 6 Biologische Forschung und Medizin im Kompetenzbereich Umgang mit Fachwissen folgende konkretisierte Kompetenzerwartung aus:  Die Schülerinnen und Schüler können Verfahren der Diagnose und der Behandlung von Diabetes mellitus nachvollziehbar begründen. Im Inhaltsfeld 2 Gesundheitsbewusstes Leben ergeben sich weitere Anknüpfungsmöglichkeiten unter den Aspekten Ernährung und Bewegung, z.B. im Bereich Bewertung:  Die Schülerinnen und Schüler können eine ausgewogene Ernährung und die Notwendigkeit körperlicher Bewegung begründet darstellen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3347 4 Im Kernlehrplan des Gymnasiums wird Diabetes im Bereich der Konzeptbezogenen Kompetenzen (Basiskonzept: „Struktur und Funktion“) explizit genannt und auch hier ergeben sich weitere Anknüpfungsmöglichkeiten, z.B. am Ende von Jahrgangsstufe 6:  Die Schülerinnen und Schüler beschreiben die Bedeutung einer vielfältigen und ausgewogenen Ernährung und körperlicher Bewegung.  Die Schülerinnen und Schüler beschreiben die Bedeutung von Nährstoffen, Mineralsalzen , Vitaminen, Wasser und Ballaststoffen für eine ausgewogene Ernährung und unterscheiden Bau- und Betriebsstoffe. Für die Zeit bis zum Ende von Jahrgangsstufe 9 sind folgende Kompetenzerwartungen formuliert :  Die Schülerinnen und Schüler erklären die Wirkungsweise der Hormone bei der Regulation zentraler Körperfunktionen am Beispiel Diabetes mellitus.  Die Schülerinnen und Schüler vergleichen den Energiegehalt von Nährstoffen. Darüber hinaus gibt es in jeder Schulform der Sekundarstufe I mindestens ein weiteres Inhaltsfeld , das im Schwerpunkt die Gesundheitsförderung/-erziehung vorsieht. Hier bestehen im Hinblick auf die sinnvolle Auswahl von Nahrungsmitteln und die Reflexion von Essgewohnheiten unter Beachtung einer hinreichenden Bewegung weitere Anknüpfungsmöglichkeiten für das Thema Diabetes. Vor allem der Aspekt Zivilisationskrankheiten als Folgen von Fehlernährung und Bewegungsmangel bietet hier eine gute Möglichkeit den Typ-2-Diabetes im Rahmen des schulinternen Lehrplans schwerpunktmäßig zu berücksichtigen. 3. Inwiefern werden Kinder und Jugendliche, die an dieser Krankheit leiden, in Kin- dergarten und Schule besonders berücksichtigt? Auch wenn Schülerinnen und Schüler mit Diabetes "nach außen hin" ein weitgehend unbeschwertes Leben führen, darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass diese chronische Krankheit das Leben des Kindes verändert. Die Auseinandersetzung mit der Krankheit bedeutet für das Kind immer wieder eine psychosoziale Belastung. Diese Belastung ist je nach Lebensalter, Entwicklungsphase, familiärem Hintergrund und Ausprägung der Erkrankung unterschiedlich. Die Integration und Anerkennung innerhalb der Gruppe bzw. des Klassenverbandes erleichtern es dem Kind, seine Krankheit zu akzeptieren. Lehrkräfte und Erzieher/innen achten darauf , dass Witzeleien in der Klasse und das Ausschließen von gemeinsamen Aktionen nicht erfolgen. Sie helfen und integrieren, damit Betroffene nicht in eine Außenseiterrolle gedrängt werden. Wandertage oder Ausflüge sind Ausnahmen vom schulischen oder Kita-Alltag und erfordern für Kinder und Jugendliche mit Diabetes eine besondere Vorbereitung. Es ist deshalb notwendig , den Betroffenen und/oder deren Eltern möglichst frühzeitig Einzelheiten über die geplanten Aktionen mitzuteilen. Wichtig ist, dass eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften, den Betroffenen, deren Eltern und behandelnden Ärzten besteht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3347 5 Wichtige zusätzliche Informationen, Hilfestellungen und Unterstützung kann pädagogisch tätiges Personal in Schulen und Kindergärten darüber hinaus  von Kinderärztinnen und Kinderärzten oder  von der betreuenden Diabetologin / dem betreuenden Diabetologen und  vom schulärztlichen Dienst in den örtlichen Gesundheitsämtern erhalten. Schule Unter dem Titel "Diabetes - kein Thema! Kinder mit Diabetes mellitus in der Schule" informiert das MSW im Bildungsportal (http://www.schulministerium.nrw.de/BP/Lehrer/Stottern_Diabetes_Epilepsie/Diabetes/index. html) ausführlich über das Thema. Zielgruppe für diese Informationen sind v. a. die Lehrkräfte in den Schulen. Die dort eingestellten Hinweise geben den Lehrerinnen und Lehrern Hilfen für den Umgang mit Kindern und jugendlichen Diabetikern in der Schule, im Schulsport, bei Wandertagen, Klassenausflügen und sonstigen schulischen Veranstaltungen. Sie erhalten dort Informationen zum Krankheitsbild und zur Behandlung, zum Thema „Kinder und Jugendliche mit Diabetes im Schulalltag“, zum Komplex "Unterzuckerung" (Erkennen der Unterzuckerung, Selbstwahrnehmung, Maßnahmen bei Unterzuckerung, Schwere Unterzuckerung mit Bewusstseinsverlust), Hinweise für die Teilnahme am Schulsport, Hinweise für die Teilnahme an Klassenausflügen, Wandertagen und sonstigen schulischen Veranstaltungen , Kinder und Jugendliche mit Diabetes in der Klassengemeinschaft. Kindergarten An Diabetes erkrankte Kinder bedürfen - neben den notwendigen Blutzucker-Messungen und Insulingaben - der besonderen Beaufsichtigung bei den Mahlzeiten und Begleitung im Alltag, um Unterzuckerung und damit einhergehende Komplikationen zu vermeiden. Die Betreuung während der Mahlzeiten sowie die Alltagsbegleitung erfolgen im Rahmen der pädagogischen Betreuung durch die Fachkräfte der Kita. Für den Bereich der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege kann davon ausgegangen werden, dass in der Regel verantwortbare, individuelle Vorgehensweisen bei der Begleitung und Betreuung von Kindern mit Diabetes von pädagogischen Fachkräften im Einvernehmen mit den Eltern und dem behandelnden Arzt gefunden werden, um den Interessen aller Beteiligten gerecht zu werden.