LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3397 27.06.2013 Datum des Originals: 27.06.2013/Ausgegeben: 02.07.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1280 vom 22. Mai 2013 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/3048 Aspekte der Ausgestaltung einer denkbaren Fusion von Provinzial Rheinland Holding AöR und Provinzial NordWest Holding AG – Welche Haltung vertritt die Landesregierung in den Haftungs- und Eigentumsfragen? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 1280 mit Schreiben vom 27. Juni 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Nachrichtenagentur dpa hat am 16. Mai 2013 gemeldet, die Provinzial-Versicherungen im Rheinland wie in Westfalen würden auf Basis eines Konzeptes der beiden Vorstände eine Fusion anstreben. Signifikante Synergiepotentiale wären zu realisieren, wenn rund 10 % der Stellen im Innendienst der Hauptverwaltungen gestrichen würden. Das entspräche einem Personalabbau von rund 500 Stellen. Konkret gehen die Vorstände in ihrem Memorandum davon aus, dass im Fusionsfall durch Synergieeffekte mit einer Ergebnisverbesserung von 80 bis 100 Millionen Euro zu rechnen ist. Details und Ausgestaltungsfragen einer denkbaren Fusion der öffentlichen Assekuranzen wollen die Beteiligten in der Folgezeit klären. In dem nun bevorstehenden Sondierungsprozess kommt der Landesregierung eine wichtige Verantwortung zu. Sie hat beispielsweise über die Rechtsform einer gemeinsamen Holding zu entscheiden. Je nach konkreter rechtlicher Ausgestaltung sind in gravierendem Umfang Haftungs- und Eigentumsfragen betroffen, die einer gründlichen Analyse auch der bisherigen Gesetzgebung des Landtags zur Provinzial und deren Konsequenzen standhalten müssen. Nach der als Landesgesetz verabschiedeten Landschaftsverbandsordnung vom 12. Mai 1953 ist die Trägerschaft an den öffentlichen Versicherern in Nordrhein-Westfalen den zwei Landschaftsverbänden seinerzeit zugewiesen worden. Materiell-rechtlich inhaltlich sind die Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten geregelt worden durch das Preußische Sozietätengesetz, dessen Fortgeltung als Landesrecht auch seitens des Landesgesetzgebers ausdrücklich anerkannt worden ist. Ein öffentlicher Versicherer hat demnach „nur im Interesse des gemeinen Nutzens“ zu arbeiten. § 19 bestimmt ausdrücklich LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3397 2 in Abgrenzung zu privaten Aktiengesellschaften ein Ausschüttungsverbot, damit „Vermögen und Einnahmen der Anstalt nur im Interesse der Anstalt oder der Versicherten verwendet werden dürfen“. Die Rechtsposition der Träger ist somit gesetzlich auf die Funktion der nur treuhänderisch geprägten Verwaltungsträgerschaft beschränkt gewesen. Das preußische Sozietätengesetz hat eine Vermögensträgerschaft also ausdrücklich ausgeschlossen. Die Grundausrichtung ist in den ersten Jahrzehnten genau beachtet worden. Zum 1. Januar 1970 hatte danach der Landschaftsverband Westfalen/Lippe (LWL) als bislang stets alleiniger Rechtsträger des westfälischen Provinzialverbandes jeweils 25% der treuhänderischen Trägerrechte sowohl an die WestLB als auch an den Sparkassenverband Westfalen-Lippe abzugeben. Diese grundsätzliche Ausrichtung des öffentlichen Versicherungswesens ist jedenfalls für die Westfälische Provinzial durch das „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Westfälischen Provinzial-Versicherungsanstalten und über die Aufhebung des Gesetzes betreffend die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten“ vom 16. November 2001 tiefgreifend geändert worden. So sollte gem. § 12 dieses neuen Gesetzes im Falle der Liquidation das Vermögen dieser Anstalt nicht mehr dem Staat, sondern den Gewährträgern zukommen. Folgerichtig haben die Gewährträger gem. § 8 Abs. 2 Ziff. 4 des Gesetzes das unbeschränkte Recht der Verfügung über den Jahresüberschuss. Vor allem aber ist durch § 8 den Trägern die Option der Rechtsformänderung „nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes“ eingeräumt worden. Damit wurde aus einem zweckgebundenen Vermögen, das gravierenden öffentlichrechtlichen Beschränkungen unterlag und vor allem dem Zugriff seiner Träger entzogen war, vollendet im Frühjahr 2005 ein Unternehmensvermögen, das einer eigentumsrechtlichen Zuordnung unterliegt. Dieser Prozess der eigentumsrechtlichen Zuordnung ist in mehreren Schritten vollzogen worden. Zunächst wurde das operative Geschäft der Provinzial auf neu gegründete Aktiengesellschaften ausgegliedert, die von einer öffentlich-rechtlichen Holding „Provinzial Holding Westfalen AöR“ getragen worden sind. Diese Holding ist per einfachem Votum der Gewährträgerversammlung am 21. April 2005 in eine AG umgewandelt worden. Damit besaßen die früheren öffentlich-rechtlichen Träger, die zuvor keine Vermögensrechte an den Unternehmen hatten, seit der sich anschließenden hoheitlichen Genehmigung des Landes 2005 (mit HRB-Eintrag am 20. Mai 2005) zivilrechtliches Eigentum. Im übrigen ist bemerkenswert: Das zugrundeliegende Gesetz vom 16. November 2001 ist damals mit einer ungewöhnlichen fünfjährigen Rückwirkung in Kraft getreten, für die die Gesetzesbegründung interessanterweise leider keinen Sachgrund liefert. Bereits zum 1. Oktober 2002 hat der Westfälische Sparkassenverband den 25%igen Anteil der Trägerschaft der WestLB an der Provinzial erstanden. Im Rheinland hatte zuvor der Rheinische Sparkassenverband eine 34%-Beteiligung an der rheinischen Provinzial vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) mit Zustimmung der Länder zur Satzungsänderung vom 26. August 1997 erworben, der bislang zu zwei Dritteln die Trägerrechte besaß. Mit der Änderung des Staatsvertrages vom 20. November 2001 kann auch der RSGV zivilrechtliches Eigentum an der Provinzial erlangen, wenn die Träger bzw. Eigentümer beider Unternehmen für die Obergesellschaft die Rechtsform einer AG wählen und die Landesregierung durch einen staatlichen Hoheitsakt eine solche Rechtsformumwandlung unterstützt. Die Frage der Rechtsformwahl für eine denkbare Obergesellschaft nach Fusion hat auch Auswirkungen auf Haftungsbelange und Zuständigkeiten bei der Versicherungsaufsicht. Eine AöR unterliegt der Rechtsaufsicht der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz und sieht eine grundsätzlich unbegrenzte Haftung ihrer Gewährträger vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3397 3 Vorbemerkung der Landesregierung Mit dem Staatsvertrag zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen über die Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der Rheinprovinz und die ProvinzialLebensversicherungsanstalt der Rheinprovinz aus dem Jahr 1995 und einem Gesetz über die Westfälischen Provinzial Versicherungsanstalten im Jahr 2001 wurden die Rechtsgrundlagen dieser öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten grundlegend erneuert. Ziel der Reform war die Modernisierung der Organisationsstrukturen der ProvinzialVersicherungen im Rheinland und in Westfalen. Sie sollten auf der Grundlage des privaten Versicherungsvertragsrechts im freien Wettbewerb mit den privaten Versicherungsunternehmen stehen und in die Lage versetzt werden, auch bei veränderten Rahmenbedingungen im Markt zu bestehen. Darüber hinaus wurde den Gewährträgern durch eine Öffnungsklausel die Möglichkeit eingeräumt, die Rechtsform der Anstalten zu ändern, um eventuelle Wettbewerbsnachteile von Versicherungsanstalten gegenüber Aktiengesellschaften auszugleichen. 1. Welche einzelnen Kriterien sind ausschlaggebend für die Landesregierung, wenn diese über ihre Zustimmung zur Rechtsformwahl für die Holding einer fusionierenden Provinzial (und damit auch über zentrale Haftungs- und Eigentumsfragen) zu entscheiden hat? Nach Artikel 6 Abs. 1 Nr. 5 des Staatsvertrages zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen über die Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der Rheinprovinz und die Provinzial-Lebensversicherungsanstalt der Rheinprovinz vom 14./21. Dezember 1995 können die Gewährträger die Rechtsform der Provinzial Rheinland Holding ändern. Die Wahl der Rechtsform ist Sache der Gewährträger. Dabei unterliegen sie den gesetzlichen und ggf. staatsvertraglichen Bestimmungen. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 4 des genannten Staatsvertrages wird im Fall der Änderung der Rechtsform einer Anstalt gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 die Kapitalmehrheit an dem oder den Unternehmen auf eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts übertragen. Die aufgrund des Staatsvertrages vorgesehene Zustimmung der Rechtsaufsicht soll die Rechtskonformität der Rechtsformänderung gewährleisten. 2. Für den Fall einer zukünftigen Rechtsformwahl, die zivilrechtliches Eigentum zugunsten des rheinischen Sparkassenverbandes RSGV schafft: Welche betragsmäßige finanzielle Gegenleistung für den Landeshaushalt wird die Landesregierung nach dem heutigen ökonomischen Bewertungsstand dafür verlangen? Das übertragbare und verzinsliche Stammkapital ist wirtschaftlich mit Aktienkapital vergleichbar, so dass die Gewährträger bereits jetzt Befugnisse ausüben, die denen eines öffentlich-rechtlichen Eigentümers ähneln. Insofern stellt sich die Frage einer finanziellen Gegenleistung zu Gunsten des Landeshaushalts nicht, falls die Gewährträger die ihnen vom Gesetzgeber bereits 2001 eingeräumte Option wählen sollten. Entsprechend wurde seinerzeit auch die notwendige Zustimmung der Rechtsaufsicht der Provinzialanstalten in Münster zur Übertragung des operativen Geschäfts auf die damals neu gegründeten Aktiengesellschaften nicht von einer finanziellen Gegenleistung für den Landeshaushalt abhängig gemacht. Das Land Nordrhein-Westfalen ist und war im Übrigen nie Gewährträger der Rheinischen oder Westfälischen Provinzial-Versicherungsanstalten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3397 4 3. Wie sehen im einzelnen sämtliche Anschaffungskosten für den Beteiligungsbesitz an der Provinzial jeweils auf Seiten der beiden Sparkassenverbände aus? (bitte alle Vorgänge des Anteilserwerbs vollständig auflisten, wenn Zahlungen an das Land oder andere Träger erfolgt sind, auch unter Berücksichtigung eigener Anschaffungskosten der WestLB) Bei den Anschaffungskosten der Sparkassenverbände handelt es sich um vertrauliche Angaben, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. 4. Welche finanzielle Gegenleistung für das Land ist für die hoheitliche Genehmigung des Landes bei dem zivilrechtlichen Eigentum schaffenden Rechtsformwechsel seitens der Begünstigten der Handelsregisteränderung vom 20. Mai 2005 erbracht worden? Für die Genehmigung des Rechtsformwechsels der Provinzial Holding Westfalen hat das Land keine finanzielle Gegenleistung erhalten (s. auch Antwort zu Frage 2). 5. Welche genauen Gründe sowie Anlässe zur Heilung konkreter früherer Rechtsvorgänge hat es für die Landesregierung gegeben, die damalige Gesetzgebung zur Provinzial vom 16. November 2001 mit einer ungewöhnlichen fünfjährigen Rückwirkung zu versehen? Das Inkrafttreten zum 01.01.1997 verfolgte das Ziel, die Rechtsverhältnisse der Rheinischen und Westfälischen Provinzial-Versicherungsanstalten möglichst gleichzeitig zu reformieren.