LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3458 04.07.2013 Datum des Originals: 02.07.2013/Ausgegeben: 08.07.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1297 vom 29. Mai 2013 der Abgeordneten Susanne Schneider FDP Drucksache 16/3077 Kann die Landesregierung ausschließen, dass durch Einführung einer Bürgerversicherung Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen gefährdet sind? Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 1297 mit Schreiben vom 2. Juli 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage SPD und Grüne wollen mit einer so genannten Bürgerversicherung eine verpflichtende Einheitskasse für alle Bürger einführen, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen sollen . Das Modell der Bürgerversicherung sieht die Zusammenführung der privaten Krankenversicherung (PKV) mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor. Das deutsche Gesundheitssystem gewährleistet eine gute medizinische Versorgung bei Wahlfreiheit von Ärzten und Therapien. Gleichzeitig meistert es die wachsenden Herausforderungen durch eine immer älter werdende Gesellschaft. SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen laut ihren Bundestagswahlprogrammen eine gemeinsame Honorarordnung für PKV und GKV einführen. „Dabei werden wir sicherstellen, dass die höheren Honorare, die heute über die Privatversicherten an die Ärzteschaft und an die anderen Gesundheitsberufe fließen, insgesamt erhalten bleiben und gerechter verteilt werden“, sagen die Grünen in ihrem Wahlprogramm vom April 2013. Derzeit finanzieren 11,4 Prozent Privatversicherte zu 25 Prozent das Gesundheitssystem in Deutschland. Bei Wegfall dieses Anteils müssten Ärzte mit einem durchschnittlich jährlichen Verlust in Höhe 43.400 Euro kalkulieren. Besonders stark davon betroffen wären die Fachärzte , meint der Verband der Privatärztlichen Verrechnungsstelle (PVS-Verband). Radiologische , orthopädische und dermatologische Praxen müssten mit einem Umsatzverlust von 30 bis 40 Prozent rechnen, so die Berechnungen des PVS-Verbandes. Auch bei Allgemeinmedizinern und Internisten sowie Kinderärzten beliefe sich der Vergütungsausfall auf bis zu 14 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3458 2 Prozent. Der Mehrumsatz aus den privaten Krankenversicherungen beträgt rund 10,8 Milliarden Euro. Brächen diese Einnahmen weg, könnte für einige Praxen, vor allem für Arztpraxen , die bisher auf eine KV-Zulassung verzichten, die Existenz gefährdet sein. Der drohende Ärztemangel, besonders im ländlichen Raum, könnte forciert werden. 1. Kann die Landesregierung ausschließen, dass es mit Einführung einer sogenann- ten Bürgerversicherung zu Praxisschließungen in den KV-Bereichen WestfalenLippe und Nordrhein kommt? 2. Kann die Landesregierung Umsatzeinbußen durch eine Bürgerversicherung für niedergelassene Ärzte in Nordrhein-Westfalen ausschließen? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass mit Einführung einer Bürgerversicherung auch eine neue, einheitliche Gebührenordnung geboten ist. Die konkurrierenden ärztlichen Gebührenordnungen in GKV und PKV führen zu Fehlanreizen in der ambulanten medizinischen Versorgung und zur Benachteiligung von GKV-Patientinnen und -Patienten beim Zugang zur ärztlichen Versorgung. Die Landesregierung ist weiter der Auffassung, dass bei der Kalkulation der neuen Vergütungsordnung am derzeitigen Vergütungsvolumen in der ambulanten ärztlichen Vergütung aus beiden Versicherungszweigen festzuhalten ist, somit die Gesamtvergütung der Ärzteschaft gleich bleiben soll. Auch hält die Landesregierung es für unstrittig, dass im Rahmen einer neuen Vergütungsordnung Kompensationsmechanismen entwickelt werden müssen, wie und nach welchen Kriterien bei einzelnen Ärztinnen bzw. Ärzten entstehende Honorarausfälle ausgeglichen werden sollen. Die Landesregierung hat somit weder die Absicht, mit der Einführung der Bürgerversicherung Praxen von Ärztinnen und Ärzten zu gefährden oder abzubauen noch kann sie vor dem Hintergrund der beschriebenen Sachzusammenhänge erkennen, dass durch die Einführung einer Bürgerversicherung Praxisschließungen zu befürchten sind. Primäres Ziel der Landesregierung ist es, das Gesundheitswesen in Deutschland im Sinne der Versicherten und Patientinnen und Patienten qualitativ besser, finanziell solidarischer und damit für folgende Generationen zukunftsfest und nachhaltig aufzustellen. Davon unabhängig weist die Landesregierung darauf hin, dass auch heute im Rahmen der Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit und Niederlassung weder Umsatzgarantien noch Existenzsicherungen für Ärztinnen und Ärzte durch die Politik bestehen. Für die betriebswirtschaftliche Situation und den Gesamtumsatz einer Praxis ist neben den gesetzlichen Regelungen zum Honorar bzw. zur Gebührenordnung auch entscheidend, welche Qualität die Ärztin bzw. der Arzt anbietet und wie viele Patientinnen und Patienten ihre bzw. seine Leistung nachfragen. Darüber hinaus kann künftig aufgrund der Alterung der Bevölkerung und einer Zunahme von altersbedingten Erkrankungen von einem mindestens gleich bleibenden Versorgungsbedarf ausgegangen werden. Dieser Versorgungsbedarf wird sich auch zukünftig in einem großen Bedarf an Ärztinnen und Ärzten sowie Arzthelferinnen und Arzthelfern niederschlagen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3458 3 3. Kann die Landesregierung Entlassungen von Arzthelferinnen und Arzthelfern sowie angestellten Medizinern in Nordrhein-Westfalen durch die Einführung einer Bürgerversicherung ausschließen? Die Landesregierung hat weder die Absicht, mit der Einführung der Bürgerversicherung Arbeitsplätze von Arzthelferinnen und Arzthelfern sowie angestellten Medizinerinnen und Medizinern zu gefährden, noch kann sie vor dem Hintergrund der beschriebenen Sachzusammenhänge erkennen, dass durch die Einführung einer Bürgerversicherung diese Gefahr besteht . 4. Kann die Landesregierung negative Auswirkungen einer Bürgerversicherung auf Fort- und Weiterbildung des Personals in nordrhein-westfälischen Arztpraxen ausschließen? Die Landesregierung kann nicht erkennen, inwieweit die Einführung einer Bürgerversicherung negative Auswirkungen auf Fort- und Weiterbildung des Personals in nordrheinwestfälischen Arztpraxen haben soll. Die Bedeutung von Fort- und Weiterbildung aller im Gesundheitswesen Beschäftigten wird vor dem Hintergrund des medizinischen Fortschritts und den Auswirkungen der Alterung unserer Bevölkerung und die damit verbundenen Versorgungsnotwendigkeiten in Zukunft zustatt abnehmen.