LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3668 31.07.2013 Datum des Originals: 25.07.2013/Ausgegeben: 05.08.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1357 vom 20. Juni 2013 der Abgeordneten Christina Schulze Föcking CDU Drucksache 16/3353 Sonder- und Wegerechte für Sanitäter vor Ort der Hilfsorganisationen und First Responder der Feuerwehren Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 1357 mit Schreiben vom 25. Juli 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Sicherstellung des öffentlichen Rettungsdienstes in NRW war und ist eine staatliche Pflichtaufgabe der Daseinsvor- und -fürsorge des Landes NRW für seine Bürger. Die demographische Entwicklung der deutschen Bevölkerung in Verbindung mit einer sich merklich verändernden medizinischen Infrastruktur in Zeiten des Mangels an Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegepersonal und die Zunahme von sogenannten Zivilisationskrankheiten haben in den letzten Jahren zu einer massiven Steigerung der Einsatzanforderungen an die öffentliche Notfallrettung geführt. In der Folge ist zu beobachten, dass Teile der öffentlichen Notfallrettung bereits jetzt schon an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Die sogenannte Rettungskette als medizinisch-organisatorisches Element der rettungsdienstlichen Antwort auf medizinische Notsituationen sieht in Deutschland traditionell in der ersten Stufe das Tätigwerden von ausgebildeten Laienhelfern (lebensrettende Sofortmaßnahmen , Erste Hilfe) vor. Hieraus entstanden sind Notfallhelfer-Systeme, die generell auf kommunaler Ebene wirken, von mit einer erweiterten notfallmedizinischen Ausbildung versehenen ehrenamtlichen Kräften der Hilfsorganisationen (Sanitäter vor Ort) und Feuerwehren (First Responder) getragen werden, von den Leitstellen der öffentlichen Notfallrettung im Bedarfsfall alarmiert werden und das sogenannte „therapiefreie Intervall“ bis zum Eintreffen der organisierten öffentlichen Notfallrettung am Notfallort überbrücken sollen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3668 2 Diese Notfallhelfer-Systeme, die überwiegend in strukturärmeren, dünner besiedelten ländlichen Bereichen aufgestellt werden, sind in NRW weder Teil des öffentlichen Rettungsdienstes noch treten sie an dessen Stelle, sondern sie ergänzen diesen lediglich (RdErl. d. Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie v. 06.04.2005 –III 8 – 0710.2 -).In der Folge gelten für die Notfallhelfer die Ausnahmeregelungen der §§35 und 38 StVO (Nutzung von Sonder- und Wegerechten) nicht. Es kommt somit in NRW tagtäglich zu Situationen, in denen ein mit einer Sondersignalanlage ausgestattetes Fahrzeug einer Hilfsorganisation oder einer kommunalen Feuerwehr, das mit diesen Notfallhelfern besetzt ist, von einer Leitstelle des öffentlichen Rettungsdienstes parallel zu einem öffentlichen Rettungsmittel für die Versorgung eines medizinischen Notfalls mit lebensbedrohlichen Konsequenzen für den betroffenen Menschen alarmiert wird, aber in der Anfahrt keine Sonder- und Wegerechte einsetzen darf. Vielfach können die Notfallhelfer, die auf der Basis ihrer kommunalen Anbindung die Einsatzstelle in der Regel deutlich schneller als der öffentliche Rettungsdienst erreichen würden, die Einsatzstelle und die lebensbedrohliche Situation aus der Entfernung bereits sehen, diese aber aus vorgenannten Gründen nicht in der gebotenen Eile erreichen. In der Konsequenz wird dadurch das therapiefreie Intervall, das aus wohlverstandenen medizinischen Gründen so kurz wie möglich gehalten werden soll, unnötig verlängert und das sogenannte medizinische Outcome des Patienten folglich verschlechtert. In Fällen von Herz-Kreislauf-Stillständen, die generell zur Parallelalarmierung eines Notfallhelfer -Systems – sofern dieses im betroffenen Kommunalbereich existent ist – führen, bedeutet jede Minute Verzögerung des Reanimationsbeginns ein Versterben von 7 % der Patienten . Der Freistaat Bayern hat bereits vor Jahren auf diese Situation reagiert und den im eigenen Bundesland agierenden Notfallhelfern (dort „Ersthelfergruppen“ genannt) die Erlaubnis erteilt , im Einsatz mit dafür designierten Organisations-Fahrzeugen Sonder- und Wegerechte zu nutzen. 1. Ist die Landesregierung bereit, anzuerkennen, dass die in NRW bestehenden eh- renamtlichen Notfallhelfer-Systeme einen wesentlichen Beitrag zur Rettung von Menschenleben / zur Verhinderung schwerer gesundheitlicher Schäden im Notfalleinsatz leisten? 2. Ist die Landesregierung bereit, anzuerkennen, dass sich die gesetzlichen Rah- menbedingungen im Zusammenhang mit Notfallhelfer-Systemen an dem Primat der bestmöglichen notfallmedizinischen Versorgung auch mit Blick auf ein kürzestmögliches therapiefreies Intervall zu orientieren haben? Die Landesregierung hat am 06.04.2005 den Erlass "Empfehlung des Landesfachbeirates für den Rettungsdienst zur Einbindung von Einrichtungen der organisierten Ersten Hilfe (Notfallhelfer -Systeme) in Nordrhein-Westfalen" veröffentlicht. Damit ist die Anerkennung der Notfallhelfer -Systeme und ihrer Rolle im Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen bereits seit langem erfolgt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3668 3 3. Möchte die Landesregierung die Menschen in NRW in der notfallmedizinischen Erstversorgung schlechter stellen, als die Einwohner des Bundeslandes Bayern gestellt sind? Nein. Die Schlussfolgerungen der Fragestellerin zur Situation in NRW sind unrichtig. Sie beruhen auf der Annahme, dass die Notfallhelfergruppen aus Einrichtungen der organisierten Ersten Hilfe, in Nordrhein-Westfalen die Ausnahmeregelungen der §§ 35 und 38 StVO nicht in Anspruch nehmen dürfen. 4. Ist die Landesregierung bereit, den Notfallhelfergruppen (Sanitäter vor Ort der Hilfsorganisationen /First Responder der Feuerwehren) in NRW zu gestatten, mit organisationseigenen Sondersignal-Fahrzeugen zur Verkürzung des therapiefreien Intervalls im medizinischen Notfalleinsatz Sonder- und Wegerechte zu nutzen ? Die Notfallhelfergruppen können im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten im medizinischen Notfalleinsatz Sonder- und Wegerechte nutzen. Hierzu bestehen bereits heute Regelungen nach § 35 Straßenverkehrsordnung (StVO) sowie im gemeinsamen Erlass des Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung – III B 2 – 21-31/2010- und des Innenministeriums – 73-52.07.01 – und des Ministeriums für Gesundheit , Soziales, Frauen und Familie – III 8 – 0713.2.6.2/1 vom 5.3.2004 zur Ausrüstung und Verwendung von Kennleuchten für blaues Blinklicht (Rundumlicht) und von Warnvorrichtungen mit einer Folge von Klängen verschiedener Grundfrequenz (Einsatzhorn) an Einsatzkraftfahrzeugen der Feuerwehren, der Einheiten und Einrichtungen der Gefahrenabwehr und des Rettungsdienstes. Für die First-Responder gilt, dass sie Angehörige der Feuerwehren sind und als solche nach § 35 Abs. 1 StVO Sonderrechte in Anspruch nehmen können, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Dies ist zulässig, soweit es sich um ein Kraftfahrzeug der Feuerwehren oder Einrichtungen zur Gefahrenabwehr handelt (Punkt 1.1 des o. g. Erlasses). Hinsichtlich der Sanitäterinnen und Sanitäter vor Ort der Hilfsorganisationen gilt, dass die Fahrzeuge des Rettungsdienstes nach § 35 Absatz 5a StVO von den Vorschriften der StVO befreit sind, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder um schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um ein Einsatzkraftfahrzeug des Rettungsdienstes handelt (Punkt 1.2 des o.g. Erlasses). Für beide Gruppen gilt, dass sie bei Einsatzfahrten unter den aufgezeigten Voraussetzungen Sonderrechte in Anspruch nehmen dürfen, sofern sie für die Einsatzfahrt ein entsprechendes organisationseigenes Sondersignalfahrzeug nutzen. Die Sonderrechte dürfen gemäß § 35 Absatz 8 StVO unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Außerdem müssen die Einsatzkraftfahrzeuge durch zuverlässige Kraftfahrzeugführerinnen und -führer gelenkt werden, die entsprechende Schulungen und Belehrungen erhalten haben (Punkt 2.5 des o.g. Erlasses).