LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3719 05.08.2013 Datum des Originals: 31.07.2013/Ausgegeben: 08.08.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1414 vom 1. Juli 2013 der Abgeordneten Andrea Milz und Ilka von Boeselager CDU Drucksache 16/3501 Konsequenzen des „Blitz-Marathons“ am 04.06.2013 im Rhein-Sieg-Kreis Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1414 mit Schreiben vom 31. Juli 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Beim „Blitz-Marathon“ am 04.06.2013 im Rhein-Sieg-Kreis wurde an 51 Kontrollstellen bei rund 9500 Fahrzeugen die Geschwindigkeit gemessen. 260 Geschwindigkeitsübertretungen wurden erfasst. Darüber hinaus fielen 23 Gurtsünder auf. Ein Fahrer saß unter Alkoholeinfluss am Steuer. Rund 90 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten waren im Einsatz. Der Straßenverkehr hat 2011 im Schnitt elf Menschen pro Tag das Leben gekostet, berichtete am 06.07.2012 das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Auch die Zahl der Verletzten erhöhte sich: es gab über zehn Prozent mehr Schwerverletzte und fast fünf Prozent mehr Leichtverletzte. An erster Stelle bei den Unfallursachen standen im Jahr 2011 Manöver wie Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren, gefolgt von der Missachtung der Vorfahrt und zu schnellem Fahren . Die meisten schweren Unfälle im Straßenverkehr mit unangepasster Geschwindigkeit werden außerorts verursacht. Beim „Blitz-Marathon“ wurde die Mehrzahl der Messstellen innerorts aufgebaut. Von 15 in der Verkehrsunfallstatistik 2012 (Rhein-Sieg-Kreis) angezeigten Unfallschwerpunkten sind drei mit der Ursache nicht angepasste Geschwindigkeit ausgewiesen. Von diesen drei Unfallschwerpunkten sind zwei wegen nicht angepasster Geschwindigkeit bei Nässe LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3719 2 aufgelistet. Nicht angepasste Geschwindigkeit bedeutet nicht zwangsläufig, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wurde. Ursachen für nicht angepasste Geschwindigkeit orientieren sich auch an den Wetterverhältnissen, Sichtverhältnissen, Verkehrsaufkommen , etc. Die im Rhein-Sieg-Kreis aufgebauten Messpunkte orientieren sich nicht an den Unfallschwerpunkten und bekämpfen nicht die überhöhte Geschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften. Durch die Ankündigungen der Messstellen ist ein Rückgang der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen auf zwei Prozent der am Straßenverkehr teilnehmenden Kraftfahrzeuge zu erkennen. Am Tag des Blitzmarathons ist daher an den bekanntgegebenen Messstellen die Unfallgefahr in der Tat geringer, jedoch in allen anderen Bereichen gleichbleibend. Durch Messungen konnte festgestellt werden, dass das subjektive Empfinden von zu hohen Geschwindigkeiten durch die Anlieger in der Regel nicht bestätigt werden konnte. Auch zeigt die geringe „Aufgriffquote“ von zwei Prozent, dass sich dieser Trend auch während des „Blitz-Marathons“ fortsetzte. Vorbemerkung der Landesregierung Für die Landesregierung hat die Verbesserung der Verkehrssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen eine sehr hohe Priorität. Seit Verabschiedung des Verkehrssicherheitsprogramms 2004 verfolgen alle Landesregierungen dazu in Übereinstimmung mit den europäischen Beschlüssen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit („Vision Zero“) ein klares Ziel: Die Zahl der Verkehrsunfälle, insbesondere der mit Personenschaden und die Schwere der Unfallfolgen, sollen soweit wie möglich verringert werden. Als mittelfristiges Ziel wird dabei, ausgehend von 867 getöteten Verkehrsteilnehmern/-innen in Nordrhein -Westfalen im Jahr 2004, die Reduzierung dieser Zahl um 50 % bis 2015 angestrebt. Dazu bedarf es eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes und eines abgestimmten Zusammenwirkens aller für die Verkehrssicherheit verantwortlichen staatlichen und nichtstaatlichen Akteure. Besondere Bedeutung kommt der Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei zu. Die polizeiliche Verkehrsunfallbekämpfung dient unmittelbar dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit als bedeutendste Rechtsgüter unserer Verfassung. Sie ist damit Konkretisierung der aus Artikel 2 Grundgesetz resultierenden Schutzpflicht des Staates. Ausgehend von der negativen Verkehrsunfallentwicklung im Jahr 2011 wurde in NordrheinWestfalen gemeinsam mit den Polizeibehörden die „Fachstrategie Verkehrsunfallbekämpfung " fortentwickelt. Sie basiert im Wesentlichen auf Erfahrungen der Expertinnen und Experten aus den Polizeibehörden, Erkenntnissen der Wissenschaft und den Grundsätzen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Handlungsleitend war hierbei u. a. Folgendes: - 95 % aller Unfälle gehen auf teilweise bewusstes Fehlverhalten - auf Regelverstöße von Menschen - zurück und sind damit auch vermeidbar. - Die Unfallursache Geschwindigkeit und insbesondere die -unabhängig von der Ursache - daraus resultierenden schweren Unfallfolgen sind Herausforderungen in allen Kreispolizeibehörden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3719 3 - Eine Senkung des Geschwindigkeitsniveaus um zwei km/h kann innerorts zu einem Rückgang bei den Verunglücktenzahlen um bis zu 15 % führen. - Intensive Geschwindigkeitskontrollen in Verbindung mit breit angelegter offensiver Öffentlichkeitsarbeit verbessern nachweislich die Verkehrssicherheit. Seit November 2011 wird diese Strategie durch die Polizei und die zuständigen Kommunen konsequent umgesetzt. Der „24-Stunden-Blitz-Marathon" ist ein wesentlicher Baustein der Gesamtstrategie zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Das Einsatzkonzept stellt einen übergeordneten landesweiten Rahmen zur Verfügung, weckt in der Öffentlichkeit ein breites Bewusstsein (u. a. durch die große Medienberichterstattung) für die hohen Opferzahlen und führt zu einer intensiven Diskussion über die Gefahren zu schnellen Fahrens. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Transparenz und Veröffentlichung und mehr Kontrollen positive Verhaltensänderungen bewirken. Das Einsatzkonzept des „24-Stunden-Blitz-Marathon" setzt daher bewusst auch auf die mediale Verstärkung der Maßnahmen. Ziel der Einsätze ist eine nachhaltige Verhaltensänderung bei den Verkehrsteilnehmern/- innen, damit sich möglichst alle an die bestehenden Regeln - insbesondere zur Geschwindigkeit - halten. Dies ist der wirksamste Schutz gerade für die schwächsten Verkehrsteilnehmer /-innen, die Fußgänger/-innen und Radfahrer/-innen, die eben keinen Airbag und keinen Gurt haben. Polizei und Kommunen kontrollieren dazu überall dort, wo zu schnell gefahren wird, um die Zahl der Verkehrsopfer weiter zu reduzieren. Beim „24-Stunden-Blitz-Marathon IV" am 04./05.06.2013 wurden die Kreispolizeibehörden, deren örtliche Unfalllagen eine besondere Problemstellung im Bereich „Radfahrer/-innen“ aufweisen, gebeten, ergänzend zu den Geschwindigkeitskontrollen repressive und/oder präventive Maßnahmen nach eigener Lagebeurteilung zum Schutz dieser Zielgruppe einzuleiten . Zu schnelles und rücksichtsloses Autofahren, aber auch eigenes Fehlverhalten der Radfahrer /-innen führen häufig zu schweren Radunfällen. Im Jahr 2012 starben landesweit 81 Fahrradfahrer/-innen bei Verkehrsunfällen, ein Anstieg um 17 % zum Vorjahr. Die Kreispolizeibehörde (KPB) Rhein-Sieg-Kreis hat - neben 25 weiteren KPB - solche Maßnahmen beim „24-Stunden-Blitz-Marathon IV" veranlasst. Zur Darstellung der Gesamtstrategie der Landesregierung zur Verbesserung der Verkehrssicherheit , zu deren Grundlagen und bisherigen Ergebnissen verweise ich auf meinen Bericht an den Innenausschuss des Landtages vom 04.07.2013 - Vorlage 16/991. In der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage wird unter anderem Folgendes ausgeführt: "An erster Stelle bei den Unfallursachen 2011 stehen Manöver wie Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren, gefolgt von der Missachtung der Vorfahrt und zu schnellem Fahren." Weiter wird ausgeführt: "Die meisten schweren Unfälle mit unangepasster Geschwindigkeit werden außerorts verursacht." Diese Feststellungen sind im gewählten Darstellungszusammenhang unzutreffend: Richtig ist, dass die Unfallursache Geschwindigkeit bezogen auf die Gesamtzahl aller polizeilich bekannt gewordenen Straßenverkehrsunfälle bundesweit an dritter Stelle steht. Hinsichtlich der in Nordrhein-Westfalen im Mittelpunkt polizeilicher Maßnahmen stehenden Verkehrsunfälle mit Getöteten und Verletzten ist die Geschwindigkeit mit einem Anteil von ca. 31 % die Hauptunfallursache. Dies ist auch europaweit mit bis zu 50 % so. Das Statistische Bundesamt (Destatis) führt in einer Pressemitteilung vom 10.07.2013 zur Jahresbilanz der bundesweiten Unfalllage 2012 Folgendes aus: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3719 4 „Die schlimmsten Folgen haben nach wie vor die Unfälle durch "nicht angepasste Geschwindigkeit": 37,0 % aller Todesopfer im Straßenverkehr 2012 gingen auf diese Unfallursache zurück, auf den Autobahnen war es sogar fast die Hälfte." Vergleichbares gilt auch für das Jahr 2011. Hinsichtlich der Ortslage ergibt sich für Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 Folgendes: 208 Verkehrsunfälle mit Getöteten innerhalb geschlossener Ortschaften, 252 außerhalb geschlossener Ortschaften und 52 auf Bundesautobahnen. Dies zeigt, dass sich die bundesweite Entwicklung hinsichtlich der Ortslagen der schweren Verkehrsunfälle in NordrheinWestfalen nicht widerspiegelt. Bedingt durch die besondere Struktur des Landes mit großen ländlichen Räumen und zugleich vielen urbanen Ballungszentren ergibt sich eine nahezu gleichmäßige Verteilung auf Innerorts – wie Außerortslagen. Genau hierauf gründet sich der strategische Ansatz in Nordrhein-Westfalen: die Konzentration auf den Killer Nr. 1, die Geschwindigkeit , und die möglichst breit angelegte Senkung des Geschwindigkeitsniveaus sowohl innerhalb, wie außerhalb geschlossener Ortschaften. 1. Warum wurden die Messstellen verstärkt innerorts anstatt an den Unfallschwer- punkten im Rhein-Sieg-Kreis eingerichtet? In der KPB Rhein-Sieg-Kreis verunglückten im Jahr 2012 257 Fahrradfahrer/-innen. In den Jahren 2010 waren es 248 bzw. 251 im Jahr 2011. Der Anteil der verunglückten Radfahrer/- innen an der Gesamtsumme aller Verunglückten beträgt 20 %. Kradfahrer/-innen sind mit 8 %, PKW-Fahrer/-innen und Insassen sind zu 50 % und Fußgänger/-innen zu 11 % beteiligt. Deshalb hat die Behörde sich beim „24-Stunden-Blitz-Marathon IV" insbesondere der Zielgruppe der Radfahrer/-innen gewidmet. Die „Fachstrategie Verkehrsunfallbekämpfung" des Landes NRW sieht ausdrücklich vor, dass die Geschwindigkeitsüberwachung nicht nur an Unfallhäufungsstellen, sondern vor allem auch dort erfolgt, wo schwache Verkehrsteilnehmer/-innen wie Radfahrer/-innen und Fußgänger/-innen besonders gefährdet sind. Die Kreispolizeibehörden, und seit dem 15.07.2013 mit in Kraft treten der veränderten Verwaltungsvorschrift zu § 48 Abs. 2 Ordnungsbehördengesetz auch die Kreisordnungsbehörden, entscheiden selbstständig über die Auswahl der Kontrollstellen. Diese Stärkung der Verantwortung vor Ort ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Gesamtstrategie. Vor diesem Hintergrund hat die Behörde 51 Kontrollstellen für den „24-Stunden-Blitz-Marathon IV" ausgewählt. 43 Kontrollstellen (84 %) befanden sich innerhalb geschlossener Ortschaften, 8 Kontrollstellen (16 %) außerhalb geschlossener Ortschaften. Dies entspricht dem jeweiligen Anteil der verunglückten Radfahrer/-innen (88 % innerhalb geschlossener Ortschaften, 12 % außerhalb geschlossener Ortschaften). Im Übrigen verweise ich auf die Vorbemerkung. 2. Wie hoch waren die gefahrenen Geschwindigkeiten, insbesondere an den von Anwohnern gewünschten Messpunkten? Zum „24-Stunden-Blitz-Marathon IV" wurden bei der KPB Rhein-Sieg-Kreis keine Vorschläge zu Messpunkten durch Bürgerinnen und Bürger eingebracht. Bei den Geschwindigkeitsmessungen wurden folgende Höchstwerte festgestellt: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3719 5 Gemessene Geschwindigkeit Örtlichkeit Zulässige Geschwindigkeit 64 km/h Innerhalb geschlossener Ortschaft 30 km/h 78 km/h Innerhalb geschlossener Ortschaft 50 km/h 72 km/h Außerhalb geschlossener Ortschaft 50 km/h 82 km/h Außerhalb geschlossener Ortschaft 60 km/h 97 km/h Außerhalb geschlossener Ortschaft 70 km/h 3. Wie schätzt die Landesregierung die Wirksamkeit von vorher bekannten Mess- stellen in Bezug auf die vor und nach den Messstellen gefahrenen Geschwindigkeiten ein? An normalen Kontrolltagen fahren bis zu acht Prozent der Autofahrer/-innen zu schnell. Beim ersten „24-Stunden-Blitz-Marathon" waren es rund vier Prozent, bei den beiden folgenden drei Prozent und beim „24-Stunden-Blitz-Marathon IV" vier Prozent. Dieser Effekt ist auch bei den vergleichbaren Einsätzen in anderen Ländern in Deutschland und Europa in entsprechendem Umfang eingetreten. Der weit überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer/-innen hat sich verantwortlich verhalten und ist langsamer gefahren. Genau das ist das Ziel der Einsätze. Zur Nachhaltigkeit der Maßnahmen und zur wissenschaftlichen Bewertung des Einsatzkonzeptes des „24-Stunden-Blitz-Marathon" verweise ich auf meinen Bericht vom 04.07.2013 an Innenausschuss - Vorlage 16/991 - insbesondere Seiten 7 bis 9. Auch die Unfallentwicklung gibt erste Hinweise auf eine nachhaltige Wirkung. So konnte im Jahr 2012 mit 528 Verkehrstoten in Nordrhein-Westfalen ein Rückgang um 106 Getötete (- 17 %) gegenüber dem Jahr 2011 erreicht werden. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die Anzahl der durch die Unfallursache Geschwindigkeit Getöteten um 76 (-32 %) zurückgegangen ist. Im Bund betrug der Rückgang insgesamt 409 (-10,2 %). Der Anteil NordrheinWestfalens daran betrug 26 %. 4. Aus welchen Bereichen stammten die eingesetzten Polizeibeamtinnen und Poli- zeibeamten? Folgende Basisorganisationseinheiten der Direktionen Verkehr und Gefahrenabwehr/Einsatz beteiligten sich am Einsatz: - Verkehrsdienst - Verkehrsunfall-Aufnahmegruppe - Führungsstelle Direktion Verkehr - Kommissariat Verkehrsunfall-Prävention/Opferschutz - Wach- und Bezirksdienst - Bereitschaftspolizei des Polizeipräsidiums Bonn LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3719 6 5. Wie viele Streifenbesatzungen waren – im Vergleich zu einem gewöhnlichen Arbeitstag – während des „Blitz-Marathons“ im „Regeldienst“ eingesetzt? Insgesamt werden in der KPB Rhein-Sieg-Kreis täglich durchschnittlich 17 Streifenwagenbesatzungen eingesetzt. Dies war auch am Tag des „24-Stunden-Blitz-Marathon IV" der Fall.