LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3844 22.08.2013 Datum des Originals: 22.08.2013/Ausgegeben: 27.08.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1458 vom 24. Juli 2013 des Abgeordneten Dirk Schatz PIRATEN Drucksache 16/3630 „Rechtsextremismus Online“ - Wachsende Anzahl rechtsextremer Internetangebote Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1458 mit Schreiben vom 22. August 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, der Ministerin für Schule und Weiterbildung und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Deutschland wird rechtsextreme Propaganda vorrangig und gezielt über die Sozialen Medien verbreitet. Das geht aus dem Jahresbericht 2012 von „jugendschutz.net“ hervor, der am 09. Juli 2013 in Berlin vorgestellt wurde. Demnach ist die Zahl rechtsextremer Internetangebote deutlich angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr, ist bei den Beiträgen auf interaktiven Plattformen wie Facebook oder Youtube ein Zuwachs von 50 % zu verzeichnen (5.500; 2011: 3.700). Auch der Microblogging-Dienst Twitter hat für Neonazis an Bedeutung gewonnen. So wurden im Jahr 2011 35 % mehr rechtsextreme Twitter-Accounts registriert als im Jahr zuvor. Über modern gestaltete Blogs werden rassistische und demokratiefeindliche Botschaften vermittelt. Dabei will man sich gezielt vom klassischen rassistischen Bild abgrenzen und vermeidet aus diesem Grund nationalsozialistisch geprägte Begriffe. Auch die Möglichkeit mittels QR-Codes auf eine Website zu gelangen haben Rechtsextreme als neue Strategie erkannt, um Kinder und Jugendliche auf ihre Profile zu locken. Diese Codes werden auf Websiten, Profilen von social networks, Flyern oder Aufklebern gestreut. Neu ist auch, dass rechtsextreme Apps zur Verbreitung strafbarer Symbole oder Ideologien verwendet werden. Im Gegensatz dazu ist die Anzahl der Szene-Websites hingegen gesunken, mit Ausnahme islamfeindlicher Websites (Anstieg um 60 %: 40; 2011: 25). Die Studie weist darauf hin, dass hierfür Themen wie Migration und aktuelle Konflikte im Nahen Osten zur Stimmungsmache instrumentalisiert werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3844 2 Die effektivste Maßnahme gegen rechtsextreme Angebote bleibt laut Studie, die sofortige Entfernung unzulässiger Inhalte aus dem Netz. Rechtsextreme suchen jedoch immer wieder nach Möglichkeiten ihre Ideologien ohne die Gefahr rechtlicher Konsequenzen zu verbreiten. So werden strafrechtlich relevante Inhalte oft durch ausländische Serverstandorte vor dem Zugriff deutscher Behörden geschützt. 1. Welche Erkenntnisse liegen den NRW-Sicherheitsbehörden über die Nutzung des Internets durch rechtsextreme Gruppierungen mit der Intention der Rekrutierung neuer Anhänger und Mitglieder, insbesondere durch soziale Netzwerke vor? Die Zahl rechtsextremistischer Internetangebote ist im Jahr 2012 laut einem aktuellen Bericht von jugendschutz.net ("Bericht über Recherchen und Maßnahmen im Jahr 2012") auf über 7000 angestiegen. Dabei gibt es immer weniger statische Web-Sites (unter 1000), während interaktive Angebote zunehmen. Vor allem Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube dienen "Rechten" zur Ansprache und Rekrutierung neuer Anhänger sowie zur internen Kommunikation und Mobilisierung der Szene. Ihre technisch professionellen Internetbeiträge sind insbesondere an das Medienverhalten junger Nutzer angepasst und versuchen, thematisch an der Lebenswelt der jungen Menschen anzuknüpfen. 2. Welche Erkenntnisse haben die NRW-Sicherheitsbehörden über die Nutzung des Internets durch rechtsextreme Gruppierungen zur Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten? Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) hat auf der Grundlage des 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) für den Zeitraum 1.1.2012 bis 12.8.2013 in Nordrhein-Westfalen 219 Straftaten der Politisch motivierten Kriminalität - Rechts (PMK - Rechts) erfasst, bei denen das Internet als Tatmittel genutzt wurde. Davon ist eine Straftat einer rechtsextremistischen Gruppierung zuzuordnen. Bislang konnten 112 Straftaten aufgeklärt werden. Zu Ordnungswidrigkeiten liegen dem LKA NRW keine Erkenntnisse vor. 3. Gibt es eine Zusammenarbeit mit ausländischen Ermittlungsbehörden, um die Aufklärung von Straftaten mit rechtsextremem Inhalt im Internet auch dann zu ermöglichen, wenn der Server, über den die strafrechtlich relevanten Inhalte verbreitet werden, ein ausländischer ist? Ja. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Ermittlungsbehörden erfolgt im Wege der internationalen Rechtshilfe. Voraussetzung für die Gewährung von Rechtshilfe ist das Prinzip der Gegenseitigkeit, wonach das von dem anfragenden Staat verfolgte Delikt auch in dem angefragten Staat als Straftat anerkannt wird. Die Rechtshilfe kann nach Artikel 2 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen verweigert werden, wenn sich das Ersuchen auf eine strafbare Handlung bezieht, die vom ersuchten Staat u. a. als politisch strafbare Handlung angesehen wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3844 3 4. In wie vielen Fällen wurden im Zeitraum 2010 bis heute ausländische Behörden um Rechtshilfe wegen Ermittlungsangelegenheiten im Internet ersucht (bitte auflisten nach Vorwurf und Resultat)? Hierzu liegen im Geschäftsbereich des Justizministeriums keine validen Daten vor. Eine entsprechende Statistik gibt es nicht. Eine Sondererhebung, die von Hand vorzunehmen wäre, ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Für den Geschäftsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen ist das LKA NRW als Zentralstelle für die Prüfung und Bewilligung polizeilicher Ersuchen auf Gewährung von Rechtshilfe mit dem Ausland sowie deren Steuerung zuständig. Im angefragten Zeitraum hat das LKA NRW über 30.000 Vorgänge mit einigen hunderttausend Dokumenten bearbeitet. Eine gesonderte statistische Erfassung nach Kriminalitätsphänomenen und Resultaten erfolgt nicht. Eine manuelle Auswertung ist in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. 5. In welchem Umfang wurden bislang Programme des Landes Nordrhein- Westfalen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Internet sowie zur Verbesserung der Medienkompetenz an Schüler, Lehrer und Eltern herangetragen? Das aktuelle Programm der Landeszentrale für politische Bildung beinhaltet verschiedene Medien, die zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus im Internet beitragen. Der Medienkompetenz-Podcast "Moritz und die digitale Welt" befasst sich in fünf Folgen mit diesem Thema. Für Lehrerinnen und Lehrer wurde zu dieser Reihe ein Unterrichtsmodell für die Sekundarstufe II entwickelt. Die Dokumentation „Wie Rechtsextreme ködern“ zeigt, wie Rechtsextremisten im neuen Jahrtausend versuchen, in den Kinder- und Jugendzimmern Fuß zu fassen. Auch der Bereich „Rechtsextremismus im Internet“ wird hier aufgegriffen. Bei den Präventionstagen gegen Rechtsextremismus für Schülerinnen und Schüler ab der 9. Klasse bildet der Teil „Hass per Mausklick – Rechtsextremismus im Internet“ einen Schwerpunkt. Anhand aktueller Beispiele lernen die Jugendlichen rechtsextremistische Websites einzuschätzen und wie die Szene versucht, die sozialen Netzwerke für ihre Propaganda zu nutzen. Jährlich werden mit diesem Angebot ca. 1500 Schülerinnen und Schüler erreicht. Die Präventionstage finden in Kooperation der Landeszentrale mit dem Verfassungsschutz NRW und jugendschutz.net statt. Ein Fokus des 2013 neu aufgelegten Sammelbands „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ liegt auf rechtsextremistischer Musik und der Darstellung der Szene im Internet. Zur generellen Verbesserung der Medienkompetenz hat die Landeszentrale das „Medienlexikon“ (2012) im Angebot. Die Initiative „Medienpass NRW" hat zum Ziel, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen systematisch zu fördern und gleichzeitig Lehrerinnen und Lehrer bei der Vermittlung dieser Inhalte zu unterstützen. Der Medienpass dokumentiert das Kompetenzniveau der Kinder und Jugendlichen und motiviert zur weiteren Beschäftigung mit Medien. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3844 4 Die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Landesstelle NRW bietet als Auskunftsund Servicestelle Beratung sowie Informationsmaterialien zu Fragen des Jugendmedienschutzes, so zum Beispiel das Netzwerk „Eltern-Medien-Jugendschutz“. Das Land Nordrhein-Westfalen leistet einen Beitrag zur Förderung der länderübergreifenden Stelle für Jugendschutz in Mediendiensten (jugendschutz.net). Ein Schwerpunkt ist die Beobachtung der rechtsextremistischen Szene im Internet sowie die Fortentwicklung von Strategien zum Sperren und Blockieren rechtsextremistischer Internetseiten. Darüber hinaus werden Schulungen und Seminare zur Medienkompetenz im Umgang mit rechtsextremistischen Inhalten durchgeführt. Beratungsanfragen, die den Themenbereich „Rechtsextremismus im Internet“ umfassen, werden auch an die vom Land und vom Bund geförderten fünf Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus herangetragen. Durch die fachlichen Kompetenzen der Beraterinnen und Berater werden Ratsuchende befähigt, mit derartigen Problemlagen umzugehen. Eine Sammlung von Adressen, Projekten und Literatur bietet auch das vom Land NRW und der Landesanstalt für Medien NRW unterstützte Medienkompetenznetzwerk "mekonet" in seinem Grundbaukasten, was sich vor allem an Medienpädagoginnen und Medienpädagogen richtet. Der Verfassungsschutz NRW hat in den Jahren 2010 bis 2012 rund 350 Informationsveranstaltungen zu Gefahren des politischen Extremismus durchgeführt, davon etwa drei Viertel zum Themenfeld Rechtsextremismus. In allen Veranstaltungen spielt der Rechtsextremismus im Internet eine zentrale Rolle. Aufgeklärt wird in diesem Zusammenhang über Werbestrategien rechtsextremistischer Jugendmedien, rechtsextremistische Videos, den rechtsextremistischen Online-Handel sowie rechtsextremistische Strategien und Kampagnen in sozialen Netzwerken. Im Oktober 2012 unterzeichnete der Minister für Inneres und Kommunales NordrheinWestfalen die Charta des "International Network Against Cyber Hate" (INACH) für soziale Verantwortung im Netz, die u. a. von jugendschutz.net getragen wird. Mit jugendschutz.net arbeitet der Verfassungsschutz NRW in Aufklärungsprojekten seit mehr als 10 Jahren eng zusammen. In den Jahren 2004 bis 2011 wurden fünf Fortbildungsreihen "Rechtsextremismus im Internet" und "Erlebniswelt Rechtsextremismus" entwickelt, die sich in den ersten Jahren an Pädagoginnen und Pädagogen richteten, die mit Jugendlichen direkt arbeiten und ab 2008 einen Train-the-Trainer-Ansatz verfolgten. Die Hauptzielgruppe waren Fachkräfte der Aus- und Weiterbildung. Die Veranstaltungen gingen dem Erscheinungsbild, Agitations- und Rekrutierungsformen des zeitgenössischen Rechtsextremismus sowie insbesondere den Internet-Angeboten dieser Szene nach und eröffneten Methoden und Materialien, um in Schule und außerschulischer Jugendarbeit Aufklärung zu leisten und für das Problem zu sensibilisieren. Aus diesen Fortbildungsreihen ist die Publikation „Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Hintergründe – Methoden – Praxis der Prävention“ hervorgegangen, die der Verfassungsschutz NRW gemeinsam mit jugendschutz.net und der Landeszentrale für politische Bildung veröffentlicht hat. Die Publikation ist 2007 in erster Auflage und im Jahr 2013 als völlig überarbeitete Neuausgabe erschienen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3844 5 Der Landesarbeitskreis (LAK) NRW Jugendhilfe, Polizei, Schule veranstaltet im September 2013 eine Fachtagung mit dem Thema "jung - krass - (un)demokratisch - Radikalisierung von Jugendlichen vorbeugen". In Fachvorträgen, Workshops und Foren betrachten Expertinnen und Experten die Phänomene zu extremistischen Tendenzen bei jungen Menschen und erörtern bzw. zeigen Präventionsmöglichkeiten auf. Der Landespräventionsrat NRW (LPR NRW) berät als unabhängiges Gremium die Landesregierung in übergreifenden Fragen der Kriminalprävention. Vor dem Hintergrund der sich stetig wandelnden Rahmenbedingungen der Internet- und Computerkriminalität werden neue Risiken der Mediennutzung sowie Erscheinungsformen der Kriminalität ausgewertet und Möglichkeiten der Kriminalprävention entwickelt. Der LPR NRW sieht vorrangigen Handlungsbedarf in verhaltensorientierten Präventionsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Nutzerverhalten im Internet. Ein Schwerpunkt liegt auf der Nutzung neuer Medien sowie dem Ge- und Missbrauch sozialer Netzwerke durch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) stellt bundesweit Präventionsmaterial zur Mediensicherheit für unterschiedliche Zielgruppen zur Verfügung. Dazu gehören u. a. eine Handreichung für Lehr- und Fachkräfte in der außerschulischen Jugendarbeit „Im Netz der neuen Medien“, Videospots für Eltern und Kinder zu Surf- bzw. Chatverhalten, das Medienpaket „Netzangriff“ mit Begleitheft für den Einsatz im Schulunterricht und eine Sammelmappe für Erwachsene mit sieben Faltblättern zum Thema Mediensicherheit „Klicks-Momente“. Zudem wirken zahlreiche Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen in lokalen Netzwerken mit oder unterstützen Projekte zur Stärkung der Medienkompetenz. So werden im Kreis Minden-Lübbecke seit 2007 interessierte Oberstufenschülerinnen und -schüler zu sogenannten „Cyber-Cops“ ausgebildet und stehen anschließend ihren Mitschülerinnen und Mitschülern bei Problemen mit dem Internet als erste Ansprechpartner zur Verfügung. Der Erfolg des Projekts basiert darauf, dass Hilfsangebote innerhalb der „peer-group“ eher angenommen werden. Das Netzwerk "Surfen mit SIN(N)" in Bielefeld verfolgt die Ziele, über Einsatzmöglichkeiten des Internets im schulischen Kontext zu informieren und über Chancen und Risiken im Umgang mit Online-Medien aufzuklären. Es umfasst die Module Lehrerfortbildung, Elternabende und Schülerprojekte. Das Netzwerk "s.i.n.us Sicher im Netz unterwegs" im Rhein-Kreis Neuss bietet Schulung und Beratung für Eltern, Lehrerinnen und Lehrer zur „Internetsicherheit“ an, gibt Verhaltenstipps für Kinder und Jugendliche und steht für diese mit seiner „Helpzone“ für Fragen zur Verfügung. Das Projekt "WebRespekt Kölner Aktion gegen Cybermobbing" bietet Schulen und Vereinen konkrete Hilfen im Umgang mit Cybermobbing an. Ziel der Aktion ist es, dass Jugendliche aktiv gegen Cybermobbing vorgehen, eine Selbstverpflichtung erarbeiten und diese umsetzen. Das Projekt bietet unter anderem Informationen zu themenbezogenen Theaterstücken, Hilfsangeboten für Opfer und Lehrerfortbildungen.