LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3847 22.08.2013 Datum des Originals: 22.08.2013/Ausgegeben: 27.08.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1471 vom 19. Juli 2013 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/3646 Droht Mühlheim das Schicksal Detroits - Insolvenzfähigkeit von Kommunen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1471 mit Schreiben vom 22. August 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die amerikanische Autometropole Detroit ist pleite. Die hoch verschuldete amerikanische Stadt Detroit im US-Staat Michigan meldete am 19. Juli 2013 offiziell Konkurs an. Es ist das erste Mal in der Geschichte der USA, dass eine Stadt dieser Größe Insolvenz anmeldet. Detroit war zuletzt kaum fähig, die Kosten für die Straßenbeleuchtung zu zahlen. Einsätze von Polizei und Feuerwehr wurden auf die wichtigsten Notrufe reduziert. Wegen des Geldmangels der Stadt hätten zum Beispiel im ersten Quartal dieses Jahres 40 Prozent aller Straßenlampen nicht funktioniert, und mittlerweile hätten sich 3300 Beschwerden über kaputte Lampen angesammelt. Die Einwohner von Detroit warteten bei einem Notruf im Schnitt 58 Minuten auf die Polizei, während der landesweite Durchschnitt bei 11 Minuten liege. Dabei würden nur 9 Prozent aller Fälle gelöst, landesweit seien es mehr als 30 Prozent. Nur ein Drittel aller Krankenwagen der Stadt sei einsatzfähig, und auch die Fuhrparks von Polizei und Feuerwehr seien völlig veraltet. In der Stadt gebe es 78000 verlassene Gebäude. Der Gouverneur von Michigan, Rick Snyder, sprach in einem an den Insolvenzantrag angehängten Brief von einer „verfehlten Pflicht gegenüber den Bürgern“. Die Stadt hat nach Medienberichten zufolge Schulden von rund 19 Milliarden Dollar (15,5 Milliarden Euro). Einst bekannt für seine blühende Autoindustrie, kämpfte die Stadt seit Jahren ums finanzielle Überleben. Autobauer General Motors, Ford und Chrysler verhalfen der Stadt mit zweiweise zwei Millionen Einwohnern zur Blüte. Doch die scharfe Konkurrenz aus Japan, Fehlentscheidungen in den Unternehmen und Misswirtschaft in der Stadtverwaltung ließen Detroit in einem „60 Jahre andauernden Niedergang“ abstürzen, wie Snyder den Verfall der Stadt bezeichnete. Heute leben in der Stadt noch 700 000 Menschen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3847 2 Detroit hat Insolvenz nach Kapitel 9 des amerikanischen Konkursrechts beantragt. Diese Variante ist speziell für Kommunen gedacht und vergleichbar mit einem Antrag nach Kapitel 11, wie er von Unternehmen gestellt wird. Zwangsverwalter Orr sagte am Donnerstag, er hoffe, das Insolvenzverfahren bis zum Spätsommer 2014 abzuschließen. Dieses Gemeindeinsolvenzverfahren hat seit 1981 in mehr als 100 Fällen zur Sanierung der Finanzen von Gemeinden geführt. Es ähnelt in seiner Struktur dem Planverfahren des deutschen Insolvenzrechts. In Deutschland wurde mit der Einführung der Konkursordnung von 1898 den Ländern das Recht eingeräumt, Kommunen vom Konkurs auszunehmen. Das wird bis heute von allen Bundesländern genutzt. So bestimmt die Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen in § 128 Absatz 2: „Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinde ist nicht zulässig“. Würde dieser Absatz gestrichen, unterlägen auch die Kommunen der Insolvenzordnung. Dieses wäre zudem die logische Konsequenz aus der Einführung der kaufmännischen Buchführung. Zeitgleich berichtet die Westdeutsche Allgemeine Zeitung über eine drohende Überschuldung der Stadt Mühlheim an der Ruhr, die keine Landeshilfen aus dem Stärkungspakt erhält. Aufgrund des Wertverlustes von RWE-Aktien sei die Stadt gezwungen eine Wertkorrektur vorzunehmen. Aufgrund der Änderungen durch das NKFFortentwicklungsgesetzes werde den Kommunen vorgeschrieben, dass eine voraussichtlich dauernde Wertminderung im Anlagevermögen durch eine Korrektur in der Bilanz abzubilden. Die 9,4 Millionen RWE-Aktien seien in der Bilanz der Stadt Mühlheim seit dem Jahr 2007 mit gut 712 Mio. Euro aufgeführt. Der derzeitige Wert sei um eine halbe Milliarde niedriger und liege bei rund 212 Millionen Euro. Bei einer bilanziellen Anpassung des Aktienwerts drohe der Stadt zum Ende des Jahres 2013 die bilanzielle Überschuldung. Um dies zu verhindern versuche die Stadt bei der Wertberichtigung von Aktien eine kommunaleinheitliche Lösung zu erreichen. Die Stadt Mühlheim hat seit der letzten Volkszählung im Jahr 1987 und der aktuellen Einwohnerzählung Zensus 2011 rund 10.000 Einwohner und damit mehr als 5% seiner Einwohner verloren. Mühlheims Haushalt belasten Kassenkredite von fast 700 Millionen Euro und eine Gesamtverschuldung insgesamt von mehr als 1,1 Milliarden Euro. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Situation für das Land und die Kommunen in Nordrhein-Westfalen? Zur Beantwortung der Frage wird auf den "Bericht zur Lage der nordrhein-westfälischen Kommunalhaushalte auf der Grundlage der Vierteljahresstatistik für das Jahr 2012" der Landesregierung vom 27.06.2013 verwiesen (Vorlage 16/975). 2. Wie bewertet die Landesregierung die Möglichkeit einer beschränkten Insolvenzfähigkeit von Kommunen, bei der die kommunalen Weisungs- und Pflichtaufgaben auch weiterhin im notwendigen Umfang erfüllt werden, aber weitgehend die freiwilligen Aufgaben sowie die Art und Weise, wie eine Kommune ihre Pflichtaufgaben erfüllt zur Disposition stehen. Gemäß § 128 Absatz 2 GO NRW findet ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinde nicht statt. Daher ist auch eine wie auch immer geartete "beschränkte Insolvenzfähigkeit" nicht gegeben. Die Landesregierung sieht keinen Handlungsbedarf, an der geltenden Rechtslage etwas zu ändern. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3847 3 3. Welche zwangsläufigen Rechtsfolgen ergeben sich für eine Gebietskörperschaft, die dauerhaft höhere Schulden als Vermögenswerte hat? Zu den Rechtsfolgen bei dauerhafter Überschuldung einer Gemeinde wird auf die Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) verwiesen. 4. Wie bewertet die Landesregierung die finanzielle Situation Mühlheims? 5. Welche Problemlösungen sieht die Landesregierung für die Stadt Mühlheim (des Problems der Wertberichtigung, Überschuldung, Stärkungspakt Stufe 3)? Es ist zunächst das Recht und die Pflicht jeder Kommune, als Ausfluss der verfassungsrechtlich verbürgten Finanzhoheit ihre Haushaltswirtschaft eigenverantwortlich im Rahmen der Gesetze zu führen. Im Rahmen der Evaluation des Stärkungspaktes gemäß § 12 Absatz 1 Stärkungspaktgesetz wird zu bewerten sein, ob und inwieweit Konsolidierungshilfen über das bisherigen Maß hinaus gewährt werden sollen. Derzeit sieht die Landesregierung keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.