LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3882 28.08.2013 Datum des Originals: 27.08.2013/Ausgegeben: 02.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1496 vom 22. Juli 2013 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/3701 Bemerkenswerter Korruptionsskandal beim städtischen Entsorger Gelsendienste – Welche einzelnen Konsequenzen zieht die Landesregierung als Kommunalaufsicht aus den Vorkommnissen für die Kontrolle eigenbetriebsähnlicher Einrichtungen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1496 mit Schreiben vom 27. August 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die eigenbetriebsähnliche Einrichtung Gelsendienste ist als städtisches Unternehmen der zentrale Anbieter kommunaler Dienstleistungen in der Stadt Gelsenkirchen. Hervorgegangen ist Gelsendienste aus den drei ehemaligen Einzelorganisationen Gelsengrün, Gelsenhaus und Gelsenrein. Das Unternehmen wirbt auf seiner Internetpräsenz: Um Erfolgspotentiale der Einzelgesellschaften realisieren und Synergien nutzen zu können, erfolgte zum 1. Januar 2003 deren Zusammenlegung unter einem gemeinsamen Dach. Unterstützt von der GEW mbH, sei Gelsendienste als regionaler Dienstleister seitdem in vielfältigen Belangen ein kompetenter Ansprechpartner für die Bürger der Ruhrgebietsstadt. Das Unternehmen bietet ein breites Spektrum an Dienstleistungen in Gelsenkirchen an. Dies umfasst die Abfallentsorgung, die Pflege des Gelsenkirchener Stadtbildes, Laubsammlung, Winterdienst, die Planung und Unterhaltung der städtischen Grünanlagen und Friedhöfe, die Reinigung von kommunalen Dienstgebäuden, die Organisation sowie die Verwaltung der Wochenmärkte; Gelsendienste ist Ausbildungsbetrieb für den Garten- und Landschaftsbau, Fahrdienst für die Stadtverwaltung Gelsenkirchen und Zentralwerkstatt für städtische Dienstfahrzeuge. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3882 2 In den vergangenen Monaten hat das Unternehmen Gelsendienste überregionale Bekanntheit durch die mediale Berichterstattung über einen Korruptionsskandal großen Ausmaßes erlangt. So ist erstmals am 29. November 2012 in der WAZ darüber berichtet worden, dass es im Bereich der Kassen an den Recyclinghöfen zu Unterschlagungen gekommen sei. Die Beschäftigten sollen regelmäßig gezahlte Gebühren in die eigene Tasche gewirtschaftet und entsprechende Quittungen vernichtet haben. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat daraufhin Ermittlungen aufgenommen, und in 13 Fällen hat die Unternehmensleitung in Form von fristlosen Kündigungen arbeitsrechtliche Konsequenzen gegen Beschäftigte gezogen, die sich über Jahre so bereichert haben sollen. Gegen die Mehrzahl der Beschuldigten wird nun offenbar auch Anklage erhoben, nachdem die Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich aufgrund von Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden waren. Es wird im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Ermittlungen vermutet, dass „innerhalb der Behörden ein Nachdenkprozess von höherer Hand stattgefunden hat“ (WAZ vom 3. Mai 2013). Das Personal an den beiden betroffenen Recyclinghöfen wurde inzwischen ausgetauscht. Der zuständige Betriebsleiter der Gelsendienste beziffert die täglichen Mehreinnahmen, die das Unternehmen seitdem zu verzeichnen hat, auf durchschnittlich 300 Euro. Das bedeutet: Jeder Beteiligte am Unterschlagungssystem konnte also über viele Jahre zwischen „25 und 45 Euro“ jeden Tag bar und steuerfrei für sich abkassieren (WAZ vom 25. April 2013). Unklar bleibt, wie die kriminellen Machenschaften von Teilen der Belegschaft über Jahre nicht auffallen konnten. Entsprechende Kontrollmechanismen seitens der Betriebsleitung sowie des städtischen Kontrollorgans waren offensichtlich nicht vorhanden oder haben nicht gegriffen. Am 17. Februar 2013 berichtet jedenfalls die WAZ, dass nun Maßnahmen ergriffen werden sollen, die „derart kriminelle Energien künftig gar nicht erst gedeihen“ lassen. Aus dem Katalog der Maßnahmen bereits umgesetzt seien die Einführung von Registrierkassen für die Wertstoffhöfe, ein internes Kontrollsystem, wöchentliches Kassencontrolling, eine Personalrotation zwischen Arbeitsbereichen sowie die Vorgabe problemorientierter Arbeitsabläufe. Hinweisschilder auf Trinkgeldverbot oder Bon-Pflicht sollen ebenfalls aufgestellt werden. Auch ist öffentlich nichts darüber bekannt, wie Kontrollmaßnahmen in den anderen Geschäftsfeldern der Gelsendienste aufgebaut sind und mit welchem Erfolg diese eingesetzt werden. Es ist hoffentlich davon auszugehen, dass derartige kriminelle Machenschaften wie in Gelsenkirchen die Ausnahme bilden sollten und in den unzähligen eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen der Kommunen sowie bei den nordrhein-westfälischen Landesbetrieben keine Analogie finden. Dennoch ist es für das Landesparlament von hohem Interesse zu erfahren, wie die Landesregierung in ihrer Eigenschaft als Kommunalaufsicht auf derartige Vorfälle reagiert, und durch welche Kontrollmechanismen entsprechenden Machenschaften von Anfang an begegnet werden kann. Die grundsätzliche Problematik ist leider weiter von hoher Aktualität. Erst vor wenigen Tagen hat die WAZ-Mediengruppe neue Befunde des Landeskriminalamtes referiert, denen zufolge immer mehr nordrhein-westfälische Kommunen unter den kriminellen Machenschaften ihrer Beschäftigten zu leiden haben. Im zurückliegenden Jahr sind demnach landesweit 160 Fälle bekanntgeworden, in denen Ermittlungsverfahren aufgrund von vermuteter Bestechlichkeit von Amtsträgern „aller Hierarchieebenen“ eingeleitet worden sind. Auch andere Städte im LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3882 3 Ruhrgebiet, zuletzt Dortmund, sind von Unterschlagungen zum Nachteil der kommunalen Kasse durch kriminelle Energie in der Belegschaft betroffen. 1. Welche genauen, vollständigen Erkenntnisse liegen der Landesregierung zur Beurteilung des angesprochenen Korruptionsskandals bei den Gelsendiensten seit Bekanntwerden der Vorfälle im November 2012 bis heute vor? (bitte umfängliche Dokumentation aller Unregelmäßigkeiten und Unterschlagungen sowie weiterer rechtswidriger Vorgänge) Der Generalstaatsanwalt in Hamm hat dem Justizministerium berichtet, dass die Staatsanwaltschaft Essen ein Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 25 Mitarbeiter bzw. ehemalige Mitarbeiter des eigenbetriebsähnlichen Entsorgungsdienstleisters "Gelsendienste" der Stadt Gelsenkirchen wegen Untreue u. a. führe. Den Beschuldigten werde vorgeworfen, im Rahmen ihrer Tätigkeit spätestens seit Mitte 2009 bis September 2012 von Kunden, die auf eine Quittung für die kostenpflichtige Anlieferung von Abfällen verzichtet hätten, Geldbeträge vereinnahmt, diese aber nicht verbucht zu haben. Daneben sollen einige Beschuldigte in unregelmäßigen Abständen so genannten Elektroschrott entwendet und an Wertstoffhändler weiter verkauft haben. Schließlich sollen in ebenfalls unregelmäßigen Abständen Grünabfälle von gewerblichen Anlieferern entgegengenommen worden sein, ohne dass dies kassenmäßig verbucht worden sei. Das Ermittlungsverfahren sei zunächst mit Zustimmung des Amtsgerichts Gelsenkirchen gemäß § 153 Absatz 1 Strafprozessordnung eingestellt worden. Nach Prüfung einer Beschwerde habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen am 30. April 2013 wieder aufgenommen. Um den Untersuchungszweck nicht zu gefährden, könnten weitere Einzelheiten aus dem laufenden Ermittlungsverfahren nicht mitgeteilt werden. 2. Mit welchen konkreten Maßnahmen und Anweisungen hat die Landesregierung in ihrer Eigenschaft als Kommunalaufsicht nach Bekanntwerden der kriminellen Machenschaften in Gelsenkirchen reagiert? (bitte mit Angabe der jeweiligen Zeitpunkte) Die kommunale Selbstverwaltungshoheit ist nach Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz garantiert. Den Gemeinden muss danach das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Aus dieser Eigenverantwortlichkeit ergibt sich die gemeindliche Gestaltungsfreiheit auch in organisatorischer Hinsicht. Staatliche Kommunalaufsicht beschränkt sich deshalb auch im Organisationsbereich auf eine reine Rechtskontrolle. Die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie beschränkt daher auch hier die Einflussnahme der allgemeinen Kommunalaufsicht. Es ist ihr verwehrt, gestaltend in die gemeindliche Sphäre einzugreifen und die eigene Auffassung über die notwendigen Maßnahmen an die Stelle der Auffassung der Selbstverwaltungskörperschaft zu setzen. Die Kommunen entscheiden demnach selbst, welche organisatorischen Maßnahmen angemessen sind, um die Gefahr krimineller Machenschaften zu vermindern. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3882 4 3. Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen grundsätzlich seitens des Landes oder von anderen öffentlichen Institutionen, um noch die Abläufe in sämtlichen Geschäftsfeldern der Gelsendienste zu überprüfen? Die Aufsicht des Landes erstreckt sich nicht auf die organisatorischen Abläufe und das Verhalten einzelner Beschäftigter, sie erstreckt sich gemäß § 119 Abs. 1 Gemeindeordnung darauf, dass die Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen verwaltet werden. Nur in den Fällen, in denen konkrete Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Verhalten einer Kommune vorliegen, ist eine Überprüfung möglich. 4. Über welche genauen Kontrollmechanismen sollen nach Ansicht der Landesregierung kommunale Unternehmen oder Landesbetriebe in NordrheinWestfalen üblicherweise verfügen, um vergleichbare Vorgänge wie bei den Gelsendiensten bereits im Ansatz zu verhindern? Kommunale Eigenbetriebe und Landesbetriebe sind -wie die anderen Behörden auch- an die allgemeinen Rechtsvorschriften des Organisations- und Dienstrechts gebunden. Kontrollmechanismen im Hinblick auf Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung führt insbesondere das Korruptionsbekämpfungsgesetz auf, welches auch für die Kommunen und Landesbetriebe Anwendung findet. Die korruptionsgefährdeten Bereiche und die entsprechenden Arbeitsplätze sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Korruptionsbekämpfungsgesetz behördenintern festzulegen. Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich bei dem zugrunde liegenden Sachverhalt nicht um Korruption, sondern um Untreue u.a. (vgl. Antwort zu Frage 1). Eine hundertprozentige Sicherheit, ein solches individuell gesteuertes Verhalten vollends zu verhindern, gibt es nicht. Ob entsprechende weitere Kontrollmechanismen erforderlich sind, entscheidet die Kommune in eigener Zuständigkeit. 5. Wie hat sich sowohl einerseits bei kommunalen Unternehmen als auch andererseits bei Landesbetrieben in Nordrhein-Westfalen jeweils jährlich die Anzahl bekanntgewordener krimineller Handlungen der persönlichen Vorteilnahme von Beschäftigten in den letzten zehn Jahren entwickelt, aufgrund derer Staatsanwaltschaften mit Ermittlungsverfahren aktiv geworden sind? Hierzu liegen der Landesregierung keine Daten vor. Ermittlungsverfahren, die kommunale Unternehmen oder Landesbetriebe in Nordrhein-Westfalen betreffen, werden statistisch nicht gesondert erfasst. Die Beantwortung der Frage könnte nur mittels einer händisch vorzunehmenden Sonderauswertung einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren aus den letzten zehn Jahren erfolgen, die innerhalb des für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitrahmens nicht durchführbar ist. Im Übrigen wäre das auf diesem Wege erhobene Zahlenmaterial nicht valide, weil ein Teil der zu sichtenden Akten nach Ablauf der maßgeblichen Aufbewahrungsfristen bereits ausgesondert und vernichtet worden sein dürfte.