LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3920 02.09.2013 Datum des Originals: 02.09.2013/Ausgegeben: 05.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1480 vom 23. Juli 2013 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/3685 Werler Ehepaar nimmt aus der Sicherungsverwahrung entlassene Sexualstraftäter mangels geeigneter Unterbringungseinrichtungen bei sich zu Hause auf Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 1480 mit Schreiben vom 2. September 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales nach Beteiligung der Landschaftsverbände Rheinlandund Westfalen-Lippe beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Anlässlich der am 1. August 2013 bevorstehenden Entlassung eines 54-jährigen pädophilen Sexualstraftäters aus der Sicherungsverwahrung der JVA Werl, berichtete die NRZ am 10.07.2013 über das Werler Ehepaar Brömmel, das bereits seit mehreren Jahren solche Männer bei sich zu Hause aufnehme, wenn keine anderweitige Unterbringungsmöglichkeit für diese Personen gefunden würden. Die Familie sei damit „der letzte Rettungsanker (…) für das Justizministerium und die JVA Werl“. Wie viele ehemalige Sicherungsverwahrte die Familie bereits bei sich aufgenommen habe, wolle sie nicht sagen. Laut NRZ „waren [es aber] einige. Sie blieben für ein paar Monate, für ein paar Jahre.“ Zwei von ihnen sollen bis heute bei dem Ehepaar wohnen. Der 64-jährige Karl Brömmel, der sich mit seiner Frau um die ehemaligen Sicherungsverwahrten kümmere, gab gegenüber der NRZ an, er „habe auch nicht die Gewissheit, dass da kein Rückfall passiert. Aber meist geht die Angst irgendwann weg.“ Bereits bei der Aufnahme des ersten Sicherungsverwahrten im Jahr 2008 habe er „ein gutes Bauchgefühl“ gehabt. Aus einem Bericht der WAZ vom 10.07.2013 geht hervor, dass die Gutachter hinsichtlich des o.g. Sicherungsverwahrten, dessen Entlassung am 1. August 2013 anstehe, die Unterbringung in einer Einrichtung empfohlen haben, die ihm eine „kontrollierte Umgebung“ biete. Das OLG Hamm habe in seinem Beschluss aus dem Februar 2013 ausdrücklich auf eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen, die den Staat verpflichte, solche Einrichtungen zu schaffen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3920 2 Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts – 2 BvR 2365/09 – vom 4. Mai 2011 heißt es dazu unter Rn. 127: „Eine weitere Hürde, die der Entlassung des Sicherungsverwahrten entgegensteht, ist schließlich, dass es häufig an strukturierten Kooperationen der Anstalten mit Nachsorgeeinrichtungen sowie der Schaffung eines gesicherten sozialen Empfangsraums nach Entlassung aus der Sicherungsverwahrung fehlt. So besteht insbesondere ein deutlicher Mangel an Plätzen in betreuten Wohneinrichtungen, in die der Sicherungsverwahrte nach der Entlassung aufgenommen werden kann (Bartsch, a.a.O., S. 242 ff.). Ferner bestehen Probleme beim Übergang der Behandlung vom Vollzug in spätere ambulante Therapien. Wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, ist daher insbesondere der Aufbau von Netzwerken und geeigneten Organisationsstrukturen vonnöten, um eine durchgängige nachsorgende Betreuung des entlassenen Sicherungsverwahrten gewährleisten zu können.“ Angesichts von künftig 140 Plätzen für Sicherungsverwahrte in der JVA Werl forderte auch die Soester Landrätin Eva Irrgang nachdrücklich „ein staatliches Konzept für die Entlassenen aus der Sicherungsverwahrung“ (WAZ vom 10.07.2013). Vorbemerkung der Landesregierung Aus der Sicherungsverwahrung entlassene Personen stehen regelmäßig unter Bewährungsoder Führungsaufsicht. In diesem Rahmen können Entlassenen durch das zuständige Gericht Auflagen und Weisungen erteilt werden, deren Umfang sich aus dem Strafgesetzbuch (StGB) ergibt und die auch therapeutische oder auf den Aufenthalt in bestimmten Wohnformen (§ 56c Absatz 3 StGB) bezogene Maßnahmen einschließen können. Sowohl die Inanspruchnahme von Hilfen nach dem SGB XII als auch die Erteilung einer Weisung zum Aufenthalt in einer betreuten Wohnform setzen eine entsprechende Bereitschaft der oder des Entlassenen voraus. Es besteht insoweit keine Rechtsgrundlage, auf der nordrhein-westfälische Justizbehörden eine aus der Sicherungsverwahrung entlassene Person zur Wahrnehmung eines betreuten Wohnangebotes oder Anbieter dieser Wohnform zur Aufnahme einer solchen Person verpflichten könnten. Daneben stehen aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Personen die für jedermann geltenden Ansprüche auf soziale Hilfen zu, soweit die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden. Diese ergeben sich insbesondere aus den bundesgesetzlichen Regelungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), wie zum Beispiel die Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII) oder die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 ff. SGB XII). Hierzu zählen auch Maßnahmen des betreuten Wohnens. Die Zuständigkeit liegt bei den Trägern der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfe. 1. Wie viele ehemalige Sicherungsverwahrte sind nach den Informationen der Landesregierung bislang bei dem Werler Ehepaar untergekommen? (Bitte jeweils inkl. Verweildauer auflisten.) Nach den der Landesregierung vorliegenden Informationen nahmen aus der JVA Werl 19 entlassene Sicherungsverwahrte Unterkunft bei dem Ehepaar Brömmel: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3920 3 Jahr 2009 2010 2011 2012 2013 Anzahl ehemaliger SVer 1 5 8 4 1 Davon lebten dort vorübergehend 10 ehemalige Verwahrte durchschnittlich 3 Monate und 6 ehemalige Verwahrte durchschnittlich 17 Monate, bis sie eine private Wohnmöglichkeit (14) oder Aufnahme in einer betreuten Wohneinrichtung (2) fanden. Aktuell wohnen 3 ehemalige Sicherungsverwahrte bei der Familie Brömmel, von denen sich jeweils einer seit 2010, 2011 und 2012 dort aufhält. 2. Inwieweit kann das Werler Ehepaar ehemaligen Sicherungsverwahrten nach Ansicht der Landesregierung eine „kontrollierte Umgebung" bieten, in der Gefahren für die Allgemeinheit minimiert werden? Das Werler Ehepaar wird in die fachgerechte Begleitung von Sicherungsverwahrten nach der Entlassung entweder in Form der Aufnahme der sozialtherapeutischen Nachsorge oder in Form des Übergangsmanagements eingebunden. 3. Welche Anstrengungen hat die Landesregierung in den letzten drei Jahren unternommen, um Sicherungsverwahrten, die schließlich von dem Werler Ehepaar aufgenommen worden sind, zuvor in eine geeignete Unterbringungseinrichtung zu vermitteln? (Bitte jeweils einzeln auflisten.) Die Entlassung von Sicherungsverwahrten wird durch sozialtherapeutische Nachsorge oder ein Übergangsmanagement begleitet. Die JVA Werl arbeitet im Rahmen des "Werler Übergangsmanagements" mit mehr als 20 Institutionen aus ganz NRW zusammen. Die 19 Entlassungen von Sicherungsverwahrten zum Ehepaar Brömmel erfolgten wegen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3920 4 4. Wie viele Einrichtungen, die für die betreute Wohnunterbringung ehemaliger Sicherungsverwahrter geeignet sind, existieren aktuell in Nordrhein-Westfalen? (Bitte jeweils inkl. Aufnahmekapazität auflisten.) Sofern sie die Voraussetzungen für diese Inanspruchnahme erfüllen, stehen entlassenen Sicherungsverwahrten Wohnunterbringungen in den Geschäftsbereichen der Landschaftsverbände für Menschen mit wesentlichen Behinderungen im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII) oder für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten (§§ 67 ff. SGB XII) zur Verfügung. Im Geschäftsbereich des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe gibt es für Menschen mit Behinderungen 1.796 selbständige Einrichtungen mit 37.210 Plätzen (soweit diese ausgewiesen sind) und für Menschen in sozialen Schwierigkeiten 36 Einrichtungen mit 1.268 Plätzen. Für den Geschäftsbereich des Landschaftsverbands Rheinland steht mir Zahlenmaterial nicht zur Verfügung. 5. Wie viele Einrichtungen, die für die Wohnunterbringung ehemaliger Sicherungsverwahrter geeignet sind, wurden seit dem 4. Mai 2011 in NordrheinWestfalen neu geschaffen? {Bitte jeweils inkl. Aufnahmekapazität auflisten.) Es stehen keine Zahlen zur Verfügung. langjähriger ehrenamtlicher Betreuungsbeziehung bei 5 Sicherungsverwahrten beabsichtigter kurzfristiger Aufnahme als Zwischenlösung bei 3 Sicherungsverwahrten Ablehnung von alternativen Lösungen durch betroffenen Sicherungsverwahrten bei 4 Sicherungsverwahrten kurzfristigen Entlassungsbeschlusses bei 3 Sicherungsverwahrten Ablehnung der Ersuchen um Aufnahme durch betreute Wohneinrichtungen bei 3 Sicherungsverwahrten Rücknahme der Zusage der Aufnahme durch betreute Wohneinrichtung bei 1 Sicherungsverwahrten.