LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3921 02.09.2013 Datum des Originals: 30.08.2013/Ausgegeben: 05.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1488 vom 25. Juli 2013 der Abgeordneten Christian Lindner und Ralf Witzel FDP Drucksache 16/3693 Ergebnisse der angeblich vorsorgenden Sozialpolitik in Nordrhein-Westfalen – Welche aus der neuen Philosophie konkret resultierenden Minderausgaben bilden sich bislang im Landeshaushalt ab? Die Ministerpräsidentin hat die Kleine Anfrage 1488 mit Schreiben vom 30. August 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit allen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Landesregierung hat angekündigt, aufgrund einer angeblich auf Prävention angelegten Bildungs- und Sozialpolitik eine sogenannte „Präventionsrendite“ zu erwirtschaften. Diese Präventionsrendite soll in erster Linie durch eine Reduzierung der Kosten für Nachsorge und Korrektur gesellschaftlicher Fehlentwicklungen wie beispielsweise durch eine Verkürzung der Warteschleifen von Jugendlichen im Übergangssystem von Schule und Beruf erzielt werden. Die geringere Anzahl der Warteschleifen soll erreicht werden, indem im Laufe der laufenden Legislaturperiode landesweit für alle Schüler der allgemeinbildenden Schulen ein flächendeckendes , verbindliches und standardisiertes sowie genderorientiertes Gesamtsystem zur Berufs- und Studienorientierung umgesetzt werden soll. Die Landesregierung hat in den Jahren 2012 und 2013 bislang jeweils 21 Stellen im Bereich der Berufskollegs gestrichen. Im Jahr 2014 werden laut einer öffentlichen Bekundung des Finanzministers weitere 229 Planstellen an Berufskollegs aufgrund der Reduzierung von Warteschleifen eingespart. Von den als Präventionsrendite angepeilten 500 Stellen werden also mit dem Jahr 2014 bereits mehr als die Hälfte realisiert sein. Welche konkreten Maßnahmen zu solchen Einspareffekten führen und diese rechtfertigen, ist jedoch bislang völlig unklar. Dennoch kann die Landesregierung anscheinend schon jetzt exakt die behaupteten unmittelbaren Wirkungen dieser Maßnahmen in den Jahren 2012 und 2013 beziffern und geht sogar von einem rasanten Anwachsen der Präventionsrendite im LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3921 2 Jahr 2014 an den Berufskollegs aus. Das ist vor dem Hintergrund, dass zunächst von 396 nordrhein-westfälischen Kommunen lediglich Projekte in 31 Städten oder Kreisen stattfinden, in welchen die Kinder in der Schule besser auf den Übergang in Ausbildung oder Studium vorbereitet werden sollen („Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule-Beruf NRW“), schon bemerkenswert. Die Anzahl der Kommunen wächst seit Herbst 2012 sukzessive an, wobei die Programme an den dortigen Schulen erst implementiert werden. Insofern ist es überraschend wie fachlich zweifelhaft, dass bereits haushalterisch mit der Erzielung einer hohen Präventionsrendite gerechnet wird, obwohl in Nordrhein-Westfalen Unterstützungsstrukturen noch nicht einmal flächendeckend etabliert sind. Weitere hohe Präventionsrenditen und geringere Nachsorgenotwendigkeiten sollen durch das Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen“ erreicht werden. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang , dass an dem Programm, das maßgeblich zur Reduktion von angenommenen „Reparaturkosten“ beitragen soll, bisher lediglich 18 von 396 Kommunen teilnehmen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat mit den genannten Maßnahmen, die nur in einem Bruchteil der nordrhein-westfälischen Kommunen durchgeführt werden, stets eine exzessive Ausgabenpolitik und einen weiteren Anstieg des hohen Schuldenbergs in NordrheinWestfalen begründet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung verfolgt eine Politik der Vorbeugung mit dem Ziel, kein Kind zurückzulassen und allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft und dem sozialen Status ihrer Eltern ein gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen. Diese Politik ist langfristig angelegt und wird als Querschnittsaufgabe aller Ressorts der Landesregierung umgesetzt. Damit ist die Politik der Vorbeugung nicht beschränkt auf „vorsorgende Sozialpolitik“, sondern sie ist ebenso Bildungs-, Jugend-, Familien-, Wirtschafts-, Umwelt-, Gesundheits- und nicht zuletzt auch Finanzpolitik. Ein Baustein der Politik der Vorbeugung ist das Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“, das seit März 2012 in 18 Gebietskörperschaften mit zusammen 52 Kommunen und rund 4,9 Millionen Einwohnern durchgeführt wird. 1. Welche konkret messbare Präventionsrendite hat das Land als Resultat der soge- nannten "vorsorgenden Sozialpolitik" vor drei Jahren inzwischen erzielen können ? (bitte genaue Berechnung darstellen) Siehe Antwort auf Frage 5. 2. Betragsmäßig welche konkreten neuen Präventionsinvestitionen hat die Landes- regierung in den letzten drei Jahren bereits geleistet für Zwecke, die nicht durch Bundesgesetz ohnehin schon vorgeschrieben sind oder die bloß in der Kontinuität von früheren Landesregierungen stehen? Die Landesregierung hat die Politik der Vorbeugung zu einem Kernanliegen und damit zur Aufgabe aller Ressorts gemacht. Vorbeugende Politik nimmt einen bisher nicht vollzogenen Perspektivwechsel vor: weg vom Denken in institutionellen Zuständigkeiten und hin zur Orientierung an den Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Vom Kind aus LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3921 3 zu denken setzt voraus, alle Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Dementsprechend investiert die Landesregierung entlang der gesamten Präventionskette von der Schwangerschaft/Geburt bis in den Beruf. Dazu gehören z.B. Investitionen aus dem Bereich „Soziale Stadt“, die zweifelsfrei präventiv wirken und mit EU-, Bundes- und Landesmitteln seit Jahren gefördert werden. Der Ausbau des schulischen Ganztags oder der Betreuungsplatzkapazitäten für unter Dreijährige wurden schon vor 2010 begonnen, sind aber unter der jetzigen Landesregierung erheblich verstärkt worden. Vor diesem Hintergrund lassen sich wesentliche, zusätzliche Präventionsinvestitionen der Landesregierung in den letzten drei Jahren in den Bereichen Ausbau der U3-Betreuung und des schulischen Ganztags, Kinder- und Jugendgesundheit, Kriminalprävention, Reform des Übergangssystems Schule-Beruf sowie gebührenfreies Studium identifizieren. Die entsprechenden Etatansätze lassen sich den jeweiligen Haushaltsplänen entnehmen. 3. Welche konkreten einzelnen Maßnahmen und fachlichen Expertisen führen zu der Annahme, dass in den Jahren 2012, 2013 und 2014 aus Sicht der Landesregierung insgesamt 271 Stellen und bis zum Jahr 2015 sogar 500 Stellen bei den Berufskollegs durch eine vorsorgende Sozialpolitik eingespart werden können? (bitte Einspareffekte nach Maßnahmen aufschlüsseln) Die Partnerinnen und Partner im Ausbildungskonsens NRW haben im November 2011 die landesweite Umsetzung des neuen Übergangssystems Schule-Beruf „Kein Abschluss ohne Anschluss“ beschlossen. Ziel der Reform ist, die Angebote im Übergang zu systematisieren, zu reduzieren und den Zugang in die Angebote zu optimieren. Vorrangig bleibt dabei die Vermittlung in betriebliche Ausbildung. Dementsprechend bezieht sich die von der Landesregierung vorgesehene Einsparung von insgesamt 500 Lehrerstellen bis 2015 sowohl auf den in der weiteren Umsetzung erzielbaren Abbau von Schülerinnen und Schülern in Warteschleifen als auch auf unmittelbar erzielbare Effekte durch die Straffung und Optimierung der Angebote und Ausbildungsmaßnahmen in den Berufskollegs. Mit Stand Juni 2013 laufen diese Prozesse bereits in 33 Kreisen und kreisfreien Städten, in weiteren 9 werden sie noch in diesem Jahr beginnen, so dass Ende 2013 die Kommunale Koordinierung in 42 von 53 Kreisen und kreisfreien Städten eingeführt sein wird. 4. Zu welchen einzelnen Ergebnissen kommt bislang die finanzwirtschaftliche Evalu- ation des Modellvorhabens „Kein Kind zurücklassen“ hinsichtlich zu erwartender finanzieller Entlastungen für die öffentlichen Haushalte durch eine kommunale Präventionskette? Die finanzwirtschaftliche Evaluation im Rahmen des Modellvorhabens „Kein Kind zurücklassen ! Kommunen in NRW beugen vor“ wird federführend von der Bertelsmann Stiftung durchgeführt . Die Ergebnisse liegen der Landesregierung nicht vor, da die Evaluation noch nicht abgeschlossen ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3921 4 5. Wie sieht der von der Landesregierung angestrebte Nettoeffekt bis Ende der laufenden Legislaturperiode haushalterisch aus, wenn Mehraufwendungen für soziale Prävention und die sich daraus ergebende Präventionsrendite gegenübergestellt werden? (bitte mit nachvollziehbarer Darstellung des Rechengangs) Aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs werden die Fragen 1 und 5 zusammen beantwortet: Die vorbeugende Politik der Landesregierung will einen Beitrag dazu leisten, dass alle Kinder die gleichen Chancen auf gelingendes Aufwachsen haben und Nordrhein-Westfalen zukunftsfest bleibt. Ein aktuelles Hintergrundpapier des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft mit dem Titel „Bildung von Klein auf sichert Zukunft - Warum frühkindliche Förderung entscheidend ist!“ bestätigt erneut, dass sich besonders Bildungsinvestitionen in den ersten Lebensjahren über den späteren Bildungserfolg auszahlen – gerade auch bei Kindern aus sozial schwächerem Umfeld. Davon hat nicht nur der Einzelne etwas: Geringere Transferleistungen, höhere Sozialversicherungsbeiträge und zusätzliche Steuerzahlungen im späteren Erwerbsleben führen dazu, dass der Staat die im Vorschulbereich investierten Gelder fast dreifach zurückbekommt. Investitionen in die frühkindliche Förderung erzielen danach langfristig eine Verzinsung von jährlich über sieben Prozent. 1 Auch das Gutachten der Prognos AG „Soziale Prävention – Bilanzierung der sozialen Folgekosten in Nordrhein-Westfalen“ aus März 2011 zeigt, dass sich durch eine vorbeugende Politik soziale Folgekosten reduzieren und staatliche Einnahmen erhöhen lassen. Zu Einzelheiten siehe http://www.nrw.de/meldungen-der-landesregierung/prognos-studie-fruehefoerderung -verhindert-hohe-sozialausgaben-10643/ . Die Politik der Vorbeugung leistet damit einen Beitrag zur Konsolidierung aller öffentlichen Haushalte und sozialen Sicherungssysteme. 1 http://www.berlin-institut.org/publikationen/discussion-paper/bildung-von-klein-auf-sichert- zukunft.html mit weiteren Nachweisen (Juli 2013)