LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3926 03.09.2013 Datum des Originals: 02.09.2013/Ausgegeben: 06.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1500 vom 30. Juli 2013 der Abgeordneten Birgit Rydlewski PIRATEN Drucksache 16/3706 Veröffentlichung von Abituraufgaben Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 1500 mit Schreiben vom 2. September 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Vor dem Hintergrund der diesjährigen Schwierigkeiten beim Abiturjahrgang 2013 insbesondere im Fach Mathematik ist wiederholt die Fragestellung aufgetaucht, warum die Abituraufgaben nicht grundsätzlich veröffentlicht werden, damit sich nicht nur die betroffenen Schülerinnen und Schüler, sondern auch die interessierte Öffentlichkeit ein Bild von der Situation machen kann. Zu dieser Fragestellung heißt es auf der Webseite des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen unter http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/abitur-gost/faecher_aufgaben.php in der Rubrik „Prüfungsaufgaben“: Den Schulen stehen hier die Aufgaben der zentralen Prüfungen der in der Regel letzten drei Jahre zum Download zur Verfügung. Die hierfür nötigen schulspezifischen Zugangsdaten können von der Schulleitung hier angefordert werden. Diese Zugangsdaten werden den Lehrerinnen und Lehrern sowie auch den Schülerinnen und Schülern von der Schulleitung bekannt gemacht. Schülerinnen und Schüler, die sich mit den Aufgaben vertraut machen wollen, wenden sich daher an die jeweilige Fachlehrkraft oder die Schulleitung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3926 2 Die Bereitstellung der Aufgaben geschieht als Sammlung gemäß § 46 UrhG mit der Absicht, dass die Aufgaben ausschließlich zu Lehr- und Lernzwecken genutzt werden . Die Aufgaben können im Unterricht eingesetzt werden, bieten aber auch Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten einer individuellen und selbstständigen Prüfungsvorbereitung . Über die Nutzung für Lehr- und Lernzwecke hinaus ist eine weitergehende Veröffentlichung der Aufgaben - z. B. auf der Homepage einer Schule – nicht zulässig. Trotz intensiver Bemühungen war es leider nicht für alle Materialquellen möglich, die Rechteinhaber ausfindig zu machen und zu kontaktieren, um erforderliche Veröffentlichungsrechte einzuholen. Wir bitten um Verständnis und bitten die Rechteinhaber sowie die Verlage, deren Rechte berührt sind, sich ggf. mit uns in Verbindung zu setzen . In einigen Fällen haben Rechteinhaber und Verlage nicht auf unsere Kontaktbemühungen reagiert. Auch in diesen Fällen bitten wir freundlich darum, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Diese Begründung wirft allerdings mehr Fragen auf, als sie beantwortet: Nach unserem Kenntnisstand werden alle Schulen, die am Zentralabitur teilnehmen, in bestimmten Zeitabständen dazu aufgefordert, Aufgaben für dieses Abitur beizusteuern. An diesen jeweiligen Schulen werden dann die entsprechenden Fachlehrer*innen mit der Erstellung eben dieser Aufgaben betreut. Lehrer*innen sind aber Beamte oder Angestellte des Landes Nordrhein-Westfalen und erstellen diese Aufgaben im Auftrag ihrer Schule im Rahmen ihres Dienst- bzw. Angestelltenverhältnisses und damit speziell und ganz gezielt für die – wie auch immer geartete – Nutzung für das Land Nordrhein-Westfalen. Diese Konstellation entspricht aber nicht der eigentlich von § 46 UrhG gedachten Rechtssituation, dass ein bereits – für andere Zwecke – geschaffenes Werk nun (im durch § 46 UrhG gesetzten Rahmen) als „Element einer Sammlung , die Werke einer größeren Anzahl von Urhebern vereinigt und die nach ihrer Beschaffenheit nur für den Unterrichtsgebrauch in Schulen, in nichtgewerblichen Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung oder in Einrichtungen der Berufsbildung oder für den Kirchengebrauch bestimmt ist.“ verwendet wird. Vielmehr erscheint uns in diesen Fällen die Konstellation des § 31 UrhG (Einräumung von Nutzungsrechten) einschlägig, derzufolge “der Urheber einem anderen das Recht einräumen [kann], das Werk auf einzelne oder alle Nutzungsarten zu nutzen (Nutzungsrecht).“ Und selbst wenn man den Rahmen des § 46 UrhG für den richtigen rechtlichen Ansatz hält, bietet dessen § 46 Abs. 1 S. 2 die Möglichkeit einer weitergehenden Veröffentlichung, wenn dazu die Einwilligung des Berechtigten vorliegt. Sollte allerdings die Heranziehung des § 46 UrhG möglicherweise vor dem Hintergrund erfolgen , dass im Rahmen der Aufgabenerstellung nicht nur die Lehrer*innen, sondern auch weitere, vielleicht gar nicht bekannte Urheber zur Erstellung der Aufgaben herangezogen werden, so liegt aus unserer Sicht die Frage nahe, warum die Landesregierung nicht von vornherein darauf Wert legt (und Schulen bzw. Lehrer*innen entsprechend anweist), nur Material zur Aufgabenerstellung zu verwenden, dessen Urheber eindeutig ermittelbar ist. Dann könnte dieser nämlich nach § 46 Abs. 1 S. 2 UrhG Fragen der weitergehenden Veröffentlichung gefragt und auch nach § 46 Abs. 4 UrhG angemessen vergütet werden – und einer Veröffentlichung der Abituraufgaben stünde nichts im Wege. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3926 3 Vorbemerkung der Landesregierung Bei Prüfungsaufgaben ist zu unterscheiden, ob 1. a) diese aus Aufgabenstellungen und Bewertungskriterien bestehen, an denen das Land die Rechte hat oder b) in der Regel aus in den Aufgaben enthaltenen Texten bzw. Materialien bestehen, an denen die jeweiligen Autorinnen und Autoren das Copyright halten sowie ob 2. a) der Einsatz von Texten und Materialien von geringem Umfang gemäß § 53 Abs. 3 Nr. 2 UrhG auch ohne Einwilligung des Rechteinhabers für Prüfungen in Schulen zulässig ist oder b) eine weitergehende Nutzung oder gar Veröffentlichung Konsequenzen hinsichtlich des Urheberrechts in Bezug auf jedes einzelne Dokument nach sich ziehen können. Nur um den jeweils unter Buchstaben b) genannten Fall geht es im Folgenden. Bei einer Veröffentlichung der Aufgaben im Internet ist somit ebenso wie bei einer Veröffentlichung in Printmedien für jedes urheberrechtlich geschützte Dokument eine individuelle Vereinbarung mit dem jeweiligen Rechteinhaber zu treffen. Die Rechte sind dabei frei verhandelbar , das heißt, für jedes Dokument können sehr unterschiedliche Tarife und Lizenzbedingungen gelten. Darüber hinaus können Rechteinhaber  die Veröffentlichung verweigern und/oder  so hohe finanzielle Forderungen stellen, dass eine Verwertung der Texte oder Materialien nicht mehr wirtschaftlich ist. Erfahrungsgemäß trifft das vor allem auf Texte zu, die ein „internationales Bestsellerpotenzial“ bieten, auf Texte aus internationalen Magazinen, auf Cartoons oder Karikaturen, auf Bildreproduktionen (insbesondere Fotoabbildungen aus Museen) und Partituren. Erschwerend kommt hinzu, dass das Verfahren des einzelnen Einholens der Rechte aufwändig und langwierig ist. 1. Aus welchen rechtlichen Erwägungen hält die Landesregierung § 46 UrhG (und nicht z. B. § 31 UrhG) für die einschlägige Grundlage betreffend die Veröffentlichung bzw. Nichtveröffentlichung von Abituraufgaben? Das deutsche Urheberrecht ermöglicht in § 46 UrhG die Möglichkeit, Texte und Materialien als „Sammlungen für Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch“ zu veröffentlichen. Hierbei ist sicherzustellen, dass der Kreis der Abnehmer definiert ist und dass der Zugriff auf die Dokumente nur diesen Nutzern ermöglicht wird. Damit sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler unbefristet und unmittelbar - also auch vom heimischen PC aus - auf die Aufgaben zugreifen können, sind die Schulen angewiesen, das für ihre Schule gültige Kennwort allen Lehrkräften sowie den Schülerinnen und Schülern der von zentralen Prüfungen betroffenen Jahrgänge (Qualifikationsphase in der gymnasialen Oberstufe sowie Klassen 9 und 10 in der Sekundarstufe I) bekannt zu geben mit der Maßgabe, die Aufgaben lediglich für Unterrichts- und Lernzwecke zu nutzen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3926 4 Die Regelungen für eine solche Sammlung bieten eine Reihe von Vorteilen:  Wegen der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit sind an die Einzelurheber in der Regel über die Verwertungsgesellschaften lediglich Pauschalgebühren abzuführen. Damit wird sowohl der finanzielle als auch der Verwaltungsaufwand für das Land deutlich minimiert.  Eine Verweigerung der Zustimmung zur Veröffentlichung von Dokumenten kann im Rahmen des Bildungsmedienprivilegs bei einer Sammlung nur in den seltenen Fällen auftreten, in denen ein Autor eine „gewandelte Überzeugung“ hinsichtlich seiner in dem Dokument geäußerten Ansichten geltend macht. 2. Warum nutzt die Landesregierung – bei Zugrundelegung von § 46 UrhG – nicht die Möglichkeit von § 46 Abs. 1 S. 2, von vornherein die Einwilligung der Berechtigten zu einer weitergehenden Veröffentlichung einzuholen? 3. Sollte die vorgenannte Einwilligung deshalb nicht einholbar sein, weil möglich- erweise gar nicht alle Urheber/Rechteinhaber bekannt sind, warum stellt die Landesregierung dann nicht sicher, dass Abituraufgaben nur mit Materialien erstellt werden, bei denen eben diese Urheber/Rechteinhaber bekannt sind? Die Fragen 2 und 3 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Bei der Entwicklung von Prüfungsaufgaben steht das Interesse im Vordergrund, den betroffenen Schülerinnen und Schülern die bestmöglichen Aufgaben mit den geeignetsten Texten und Materialien in der Prüfungssituation vorzulegen. Die Frage, ob man für eine anschließende Veröffentlichung von Texten und Materialien auch die Rechte erhält, kann hier kein Auswahlkriterium sein. Wollte man den Einsatz von Texten und Materialien in Prüfungsaufgaben davon abhängig machen, ob man vorab die Rechte für eine Veröffentlichung erhält, stellte dies ein geregeltes und planbares Prüfungsverfahren generell in Frage. Eine grundsätzliche Verweigerung der Rechteeinräumung, langwierige Verhandlungen oder nicht finanzierbare Forderungen könnten die Auswahl geeigneter Texte und Materialien massiv einschränken oder die rechtzeitige Fertigstellung von Aufgaben grundsätzlich gefährden. Noch gravierender ist, dass durch die jeweilige Nutzungsanfrage bei Rechteinhabern die Geheimhaltung von Prüfungsthemen nicht mehr zu gewährleisten ist. 4. Inwieweit erfolgt – bei Zugrundelegung von § 46 UrhG – die nach § 46 Abs. 4 vorgeschriebene angemessene Vergütung an die Urheber?  Das Ministerium meldet die Prüfungsaufgaben als eine zu veröffentlichende Sammlung gemäß § 46 UrhG bei der VG Wort an.  Über die von der VG Wort bereitgestellte Online-Eingabe werden seitens des Ministeriums für Schule und Weiterbildung (MSW) bibliographische Angaben aller Texte und Materialien eingegeben, für die Urheberrechtsschutz besteht.  Die VG Wort berechnet pauschal den jeweiligen Preis für die Lizenzgebühren, der vom MSW an die VG Wort entrichtet wird.  Die VG Wort teilt dem MSW mit, zu welchen Rechteinhabern kein Vertragsverhältnis besteht . In diesem Fall ist seitens des MSW individuell an die jeweiligen Rechteinhaber heranzutreten, diesen zu melden, dass man den Text oder das Material für die Samm- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3926 5 lung nutzen will und dass man dafür den von der VG Wort als „angemessene Vergütung“ gemäß § 46 Abs. 4 UrhG pauschal festgesetzten Betrag überweist. Nach deutschem Recht kann der Urheber die Veröffentlichung nur verbieten, „wenn das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht“ (§ 46 Abs. 5 UrhG). Auf weitergehende Ansprüche, auch finanzieller Art, muss das MSW nicht eingehen. 5. Gibt es aus Sicht der Landesregierung neben den genannten urheberrechtlichen Gründen weitere Erwägungen, die gegen eine Veröffentlichung der Abiturklausuren sprächen? Während eines laufenden Prüfungsverfahrens verbietet sich die Veröffentlichung einer Klausuraufgabe , eines Erwartungshorizontes bzw. einer Lösungserwartung wegen des hierdurch entstehenden zusätzlichen Drucks auf die Prüferinnen und Prüfer. Nach Abschluss des jeweiligen Prüfungsverfahrens werden die Aufgaben jedoch seit 2008 interessierten Verlagen zum Kauf angeboten. Hierzu wurde bereits 2007 eine Vereinbarung mit dem Verband Bildungsmedien e.V. (VBM) geschlossen, nach der die an Prüfungsaufgaben aus NRW interessierten Verlage einen Pauschalbetrag über den VBM als Vermittler an das Land zahlen und im Gegenzug die Rechte an den Aufgaben des Landes erhalten. Je nach angemeldetem Bedarf stellt der VBM, der die Abrechnung mit den Verlagen vornimmt, dem einzelnen Verlag seinen Anteil in Rechnung. Aus dem Verkauf der Rechte an die Verlage begleicht das Land seinerseits die Kosten für die Drittrechte an Texten und Materialien, die in den Aufgaben enthalten sind, um diese einschließlich der Texte und Materialien in dem gemäß § 46 UrhG geschützten Bereich für Lehr- und Lernzwecke im Internet zur Verfügung stellen zu können. Die Verlage müssen ihrerseits die Abdruckgenehmigungen für diese Texte und Materialien bei den jeweiligen Rechteinhabern selber einholen, denen damit neben den vom Land über die VG Wort finanzierten pauschalisierten Beträgen weitere Einkünfte durch den Abdruck in Verlagsproduktionen erwachsen.