LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/3954 09.09.2013 Datum des Originals: 09.09.2013/Ausgegeben: 12.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1549 vom 13. August 2013 des Abgeordneten Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/3785 Ermittlungen mit Funkzellenabfragen in Nordrhein-Westfalen Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1549 mit Schreiben vom 9. September 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Neben dem wohl bekanntesten Fall einer Funkzellenabfrage bei einer Anti-NaziDemonstration im Jahr 2011 in Dresden wurden im Jahr 2012 bundesweit etliche weitere Fälle bekannt, bei denen die Polizei die Maßnahme der Funkzellenauswertung nutzte. Unter anderem geriet die Berliner Polizei verstärkt in die Schlagzeilen. Sie soll im Zeitraum von 2009 bis 2011 insgesamt 800 Funkzellenabfragen durchgeführt haben, bei denen sie bis zu 8.000.000 Verbindungsdatensätze für die weitere Auswertung sammelte. Die Maßnahme der Funkzellenabfrage darf laut § 98a Abs. 1 StPO nur angeordnet werden, “wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre”. Sie stellt damit eine Ultima Ratio in der Aufklärungsarbeit polizeilicher Behörden dar. Auch in Nordrhein-Westfalen wird das Instrument der Funkzellenabfrage genutzt. Allerdings sind der Öffentlichkeit nur Einzelfälle bekannt. So fragte die Polizei Köln/ Leverkusen laut eines Berichts der Rheinischen Post vom 3. April dieses Jahres im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall auf der Autobahn A1 zwischen Burscheid und dem Kreuz Leverkusen am 23.Februar personenbezogene Daten ab, die „zahlenmäßig in den fünfstelligen Bereich“ gingen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3954 2 Um ein klareres Bild über den Umfang der Funkzellenauswertung in NRW zu erhalten, frage ich hiermit die Landesregierung: Vorbemerkung der Landesregierung Die Aufklärung von Straftaten von erheblicher Bedeutung hat für die Landesregierung hohe Priorität. Hierzu treffen die Strafverfolgungsbehörden Nordrhein-Westfalens unter Beachtung der rechtlichen Voraussetzungen verschiedene Maßnahmen. Dazu zählt auch die in § 100g Absatz 2 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO) vorgesehene Möglichkeit der sogenannten Funkzellenabfrage, mit der die Auskunft über Daten solcher Mobilfunkendgeräte angeordnet wird, die von einem unbekannten Täter oder dessen Nachrichtenmittler während eines konkreten Zeitraums aus einer bestimmten Mobilfunkzelle geführt wurden. Ist die Mobilfunknummer oder die sonstige Kennung einer Zielperson noch nicht bekannt, können durch eine nicht-individualisierte Funkzellenabfrage die Verkehrsdaten aller Mobilfunkteilnehmer erhoben werden, die sich in einem bestimmten Zeitraum in einer näher bezeichneten Mobilfunkzelle aufhalten oder aufgehalten haben. Erfasst werden dabei nur aktiv gewordene Endgeräte . Die beschriebenen Funkzellenabfragen werden ausschließlich auf richterlichen Beschluss oder bei Gefahr im Verzug aufgrund staatsanwaltschaftlicher Eilanordnung, die binnen drei Tagen richterlich bestätigt werden muss, durch die Polizei Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Klarstellend weise ich darauf hin, dass die in der Vorbemerkung zur Kleinen Anfrage aufgeführte Befugnisnorm des § 98a Absatz 1 StPO für die Erhebung der hier in Rede stehenden Verkehrsdaten nicht einschlägig ist. Zur Beantwortung der Kleinen Anfrage gehe ich davon aus, dass sich die Fragestellungen auf die Verkehrsdaten beziehen, die auf "eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation" hin erhoben wurden , mithin die Befugnisnorm des § 100g Absatz 2 Satz 2 StPO zutreffend ist. 1. Wie viele nicht-individualisierte Funkzellenabfragen wurden seit 2009 in Nord- rhein-Westfalen vorgenommen? (bitte aufschlüsseln nach zugrundeliegendem Straftatbestand, veranlassender Behörde und Jahr) Die in § 100g Absatz 4 StPO normierte Erhebungs- und Berichtspflicht umfasst nur Maßnahmen nach § 100g Absatz 1 StPO, nicht jedoch die Funkzellenabfrage nach § 100g Absatz 2 Satz 2 StPO. Gleichwohl können statistische Informationen im Sinne der vorliegenden Kleinen Anfrage zu den durch die nordrhein-westfälische Polizei durchgeführten Funkzellenabfragen aus dem zur Erfassung und Verwaltung dieser und anderer richterlich angeordneter Maßnahmen genutzten IT-System abgeleitet werden. Diese Möglichkeit steht für Funkzellenabfragen ab dem 07.12.2010 zur Verfügung. Für den Zeitraum vom 07.12.2010 bis 22.8.2013 sind 10.330 Funkzellenabfragen der Polizei Nordrhein-Westfalen erfasst. Die Erfassung der zugrunde liegenden Straftat ist in dem polizeilichen IT-System nicht zwingend vorgesehen. Lediglich zu 5.889 Funkzellenabfragen im Zeitraum vom 07.12.2010 bis zum 22.8.2013 liegen entsprechende Informationen vor. Eine detaillierte Darstellung ist der folgenden Tabelle zu entnehmen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3954 3 Weitergehende Auskünfte können nur aufgrund von Einzelauswertungen erteilt werden. Dies ist angesichts des damit verbundenen Aufwandes und der Kürze der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar. 2. Welche Fläche wurde durch die abgefragten Funkzellen jeweils abgedeckt? Eine Auskunft über die im Rahmen einer Funkzellenabfrage tatsächlich abgedeckte Fläche eines Mobilfunkantennenelements ist nicht möglich. Hierüber kann nur bei den jeweiligen Mobilfunknetzbetreibern oder durch eine aufwändige funktechnische Vermessung Auskunft erlangt werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Größe von Funkzellen aufgrund des Zusammenwirkens verschiedener Faktoren, wie beispielsweise der Topographie, der Bebauung , der Nutzerdichte, der eingesetzten Mobilfunktechnik und des Wetters, zum Teil sehr dynamischen Einflüssen unterliegt. 3. Wie viele Verkehrsdatensätze sind jeweils an die Behörde übermittelt worden? (bitte nach Verfahren und Anzahl der betroffenen Telekommunikationsanschlüsse aufschlüsseln) Eine Beantwortung der Frage ist nicht möglich. Die Anzahl der durch die Telekommunikationsdiensteanbieter im Rahmen von Funkzellenabfragen übermittelten Verkehrsdatensätze wird nicht statistisch erfasst. 7.12.2010 bis 31.12.2010 2011 2012 1.1.2013 bis 22.8.2013 Bandendiebstahl 330 491 330 Betrug und Computerbetrug 54 215 149 Geld- und Wertzeichenfälschung 18 30 13 gemeingefährliche Straftat 142 225 149 gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei 4 5 3 Tötungsdelikte 64 141 87 schwerer Bandendiebstahl 231 302 134 Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, die nicht in §100a Abs. 2 StPO enthalten ist 8 192 Straftaten des Raubes und der Erpressung 554 636 351 Straftaten gegen die persönliche Freiheit 3 9 14 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 7 16 10 Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz - BtMG 11 28 27 Straftaten nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen - KrWaffKontrG 4 Straftaten nach dem Waffengesetz - WaffG 3 Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften 2 sonstige Straftaten 194 537 166 Kein Straftatbestand angegeben 125 1599 1623 1094 Summe 125 3211 4272 2722 Anzahl der Funkzellenabfragen Straftatbestand LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/3954 4 Im Übrigen lässt die aus § 101 Absatz 8 StPO resultierende Löschungsverpflichtung für personenbezogene Daten eine retrograde Erhebung zu zurückliegenden Strafermittlungsverfahren nicht zu. 4. Bei welchen der genannten Verfahren wurde die Funkzellenauswertung richter- lich angeordnet? In allen zu Frage 1 aufgeführten Verfahren lagen die erforderlichen justiziellen Anordnungen vor. 5. Nach welcher Zeit sind die betroffenen Anschlussinhaber jeweils über die Über- wachungsmaßnahme informiert worden? Die Benachrichtigungspflicht für Betroffene von Verkehrsdatenerhebungen ergibt sich aus § 101 Absatz 4 Nr. 6 StPO. Hierüber werden jedoch weder auf polizeilicher noch auf justizieller Seite Erhebungen geführt, so dass hierzu keine Angaben möglich sind. Zu berücksichtigen ist ferner, dass nach § 101 Absatz 4 Satz 3 und 4 StPO die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen, und zudem auch unterbleiben kann, wenn eine Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, von ihr nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Weiter gilt nach § 101 Absatz 4 Satz 5 StPO, dass Nachforschungen zur Feststellung der Identität betroffener Personen nur vorzunehmen sind, wenn dies unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme ihnen gegenüber, des Aufwands für die Feststellung ihrer Identität sowie der daraus für sie oder andere Personen folgenden Beeinträchtigungen geboten ist. Es erfolgen daher keine Anschlussinhaberfeststellungen bezüglich der nicht verfahrensrelevanten Verkehrsdaten nur zum Zweck der Unterrichtung der Betroffenen.