LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4046 19.09.2013 Datum des Originals: 17.09.2013/Ausgegeben: 23.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1333 vom 13. Juni 2013 des Abgeordneten Dirk Schatz PIRATEN Drucksache 16/3282 Tabuthema: Suizid in der Polizei Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1333 mit Schreiben vom 17. September 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der tägliche Zugang zu Schusswaffen stellt für Polizistinnen und Polizisten leider auch ein Risikofaktor dar. Unter Berücksichtigung der These über die „Verfügbarkeit von Mitteln“ erklärt der frühere nordrhein-westfälische Landespolizeipastor Martin Krolzig: „Der Polizist muss nicht lange nach einem Mittel suchen, um sich zu töten. Er trägt es ständig bei sich. Suizidversuche gibt es bei der Polizei praktisch nicht.“ Wie mir bekannt wurde, haben sich alleine in den letzten Wochen drei Kollegen das Leben genommen. Erst vor kurzer Zeit hat sich ein 28-jähriger in Bochum während des Dienstes in der Toilette erschossen. Insbesondere Berufseinsteiger gelten bei der Polizei als Risikogruppe . Eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2011 (Drs. 15/3640) ergab zudem, dass zwischen 2002 und 2011 74 Beamte Selbstmord begangen haben. Die Gründe sind vielfältig. Die alltägliche Arbeitssituation der Polizeibeamtinnen und - beamten ist gekennzeichnet von extremen Situationen und Themen. Eine ständige Bewältigung von Konflikt- und Bedrohungssituationen verlangt die höchste Beherrschung eigener emotionaler, psychischer und seelischer Betroffenheit. Eine weitere beträchtliche Stressursache stellen auch negative Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten dar. Sozialer Anpassungsdruck und Mobbing bringen viele Beamte an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Mangelnde Aufarbeitungs- und Beschwerdemöglichkeiten verstärken das Gefühl der Hilflosigkeit in und gegenüber bestimmten Situationen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4046 2 Für Kollegen und die Hinterbliebenen bleibt deshalb oft nur die Frage nach dem „Warum?“ und „Wie hätten wir das verhindern können?“. Erschreckend ist, dass nach einem kurzen medialen Interesse und einigen Ermittlungen wieder schnell zur Tagesordnung gewechselt wird. Suizide oder Suizidversuche von Polizistinnen und Polizisten werden zwar behördenintern als „wichtiges Ereignis“ (WE) aufgeführt, jedoch nach kurzer Zeit abgeheftet und zu den Akten gelegt. Folglich bleiben die Beweggründe oft unentdeckt und mögliche Präventionsstrategien werden nicht erarbeitet. 1. Wie viele Suizide und Suizidversuche gab es bei der Polizei NRW in den Jahren 2002 bis heute? Bitte listen Sie diese Ereignisse nach Jahr, Behörde, Alter, Geschlecht und Arbeitsbereich (also Wach- und Wechseldienst, Ermittlungsdienst oder Hundertschaft) auf. Da sich die bloße Anzahl der Suizide aus den Jahren 2002 - 2011 bereits aus der Drucksache 15/3857 ergibt, bitte ich dahingehend lediglich um eine ergänzende Auflistung nach eben genannten Kriterien. Suizidale Vorfälle werden über WE-Meldungen bekannt gegeben, wobei Suizidversuche und -androhungen von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten statistisch nicht erfasst werden. Die vorhandenen Daten der vollzogenen Suizide ab 2002 sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Weitere Informationen, wie z.B. zum Arbeitsbereich, werden in den Meldungen nicht erfasst und konnten daher in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermittelt werden. Jahr Behörden Alter Geschlecht 2002 LR Borken 38 männlich PP Bonn 39 männlich PP Bielefeld 45 männlich IM NRW Keine Angabe männlich PP Düsseldorf 58 männlich BR Düsseldorf 47 männlich LR Märkischer Kreis 49 männlich PP Recklinghausen 43 männlich 2003 LR MindenLübbecke 40 männlich PP Aachen 40 männlich PP Düsseldorf 23 weiblich LKA 41 weiblich PP Dortmund 41 männlich LR Coesfeld 49 männlich PP Recklinghausen 40 männlich LR Warendorf 33 männlich 2004 PP Duisburg Keine Angabe männlich LR Hochsauerlandkreis 37 männlich PP Hagen 30 männlich 25 männlich LR Euskirchen 43 männlich PP Dortmund 38 weiblich LR Wesel 54 männlich LR Heinsberg 43 männlich LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4046 3 2005 PP Bochum 41 männlich IAF Selm-Bork 45 weiblich PP Wuppertal 39 männlich LR Viersen 49 männlich BR Düsseldorf 49 männlich LR Rhein-SiegKreis 28 weiblich PP Köln 45 männlich LR Minden 44 männlich PP Dortmund 46 männlich 2006 LR Euskirchen 56 männlich PP Münster 46 männlich PP Bochum 41 weiblich LR Rhein-SiegKreis 47 männlich 49 männlich 56 männlich PP Dortmund 43 männlich 2007 PP Recklinghausen 50 männlich PP Bielefeld 37 männlich 2008 LR Steinfurt 49 männlich PP Duisburg 53 männlich 35 weiblich PP Hamm 53 männlich 2009 PP Bielefeld 30 männlich 51 männlich PP Bochum 47 männlich PP Köln 47 männlich LR Warendorf 49 männlich PP Gelsenkirchen 40 männlich PP Hamm 50 männlich LR Ennepe-RuhrKreis keine Angabe männlich LR Unna 54 männlich PP Aachen 46 männlich 2010 LR MindenLübbecke 39 männlich PP Düsseldorf 35 weiblich 57 männlich PP Köln keine Angabe männlich PP Köln 61 männlich IM NRW 43 männlich PP Wuppertal 47 männlich PP Münster 43 männlich PP Dortmund keine Angabe männlich 2011 PP Recklinghausen 45 männlich PP Gelsenkirchen Keine Angabe männlich PP Wuppertal 50 männlich PP Bochum 55 weiblich LR Höxter 53 männlich PP Dortmund 32 weiblich LR Lippe 55 männlich LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4046 4 LR RheinischBergischer -Kreis 50 männlich PP Dortmund keine Angabe männlich 2012 PP Duisburg 58 männlich PP Wuppertal 55 männlich PP Köln Keine Angabe männlich LR Hochsauerlandkreis 47 männlich LR Kleve 51 männlich LR Soest 49 männlich PP Recklinghausen 41 männlich PP Duisburg 52 männlich 2013 LKA 53 männlich LR Märkischer Kreis 45 männlich PP Bonn Keine Angabe männlich PP Bonn 52 männlich PP Essen 44 männlich PP Bochum 27 männlich 2. Was haben die Behörden im dienstlichen Umfeld unternommen, um die Ursachen und Gründe derart tragischer Ereignisse aufzuklären? Konkreter: Wie werden solche Fälle sowohl intern (mit den unmittelbaren Arbeitskollegen) als auch extern (mit den (Familien-) Angehörigen) aufgearbeitet, auch um daraus für die Zukunft zu lernen, zukünftige Suizid gefahren bereits im Ansatz zu erkennen, Führungspersonal ggf. entsprechend zu sensibilisieren und dann entsprechend zu handeln ? Ich verweise ich auf die Antwort der Landesregierung zu den Fragen 2, 3, 4 der Kleinen Anfrage 1394 des Abgeordneten Wolfgang Exler (CDU), LT-Drs. 15/3857. Die dort beschriebenen Maßnahmen haben weiterhin Bestand. 3. Was waren letztlich die konkreten Ursachen und Gründe, die für diese tragischen Handlungen verantwortlich waren? Einerseits könnten Angaben zu den konkreten Ursachen und Gründen jedes einzelnen Suizides nur durch eine händische Einzelauswertung durch die Kreispolizeibehörden bzw. - sofern der Ermittlungsvorgang an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde - durch die Staatsanwaltschaften ermittelt werden. Dies ginge über den vertretbaren Aufwand zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage hinaus. Andererseits werden erfahrungsgemäß in vielen Suizidfällen keine Abschiedsbriefe oder andere Hinweise auf die Beweggründe hinterlassen, so dass über die tatsächliche Motivation oftmals nur spekuliert werden kann. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4046 5 4. Wie werden die Angehörigen betreut (insbesondere wenn ein dienstlicher Grund für den Suizid nicht ausgeschlossen werden kann oder sogar als Grund sicher feststeht? Der Dienstherr hat im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und ihrer Familien zu sorgen. Hierzu gehört insbesondere auch die Betreuung nach besonders belastenden Ereignissen, wie etwa dem Suizid einer Polizeibeamtin oder eines Polizeibeamten. Die Betreuung von Angehörigen wird in solchen Fällen grundsätzlich durch die Polizeibehörde wahrgenommen, der die Polizeibeamtin oder der Polizeibeamte zum Zeitpunkt des Suizides angehörte. Diese prüft, insbesondere bei der Todesbenachrichtigung, die Einbindung von Notfallseelsorgern, Ärzten und Opferschutzbeauftragten. Ausmaß und Intensität der konkreten Betreuung richten sich nach dem Wunsch der Betroffenen und den Erfordernissen des Einzelfalls. 5. Welche präventiven Maßnahmen zur Früherkennung und Prävention gibt es be- reits jetzt? Siehe Antwort zu Frage 2.