LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4064 19.09.2013 Datum des Originals: 17.09.2013/Ausgegeben: 24.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1568 vom 21. August 2013 des Abgeordneten Nicolaus Kern PIRATEN Drucksache 16/3839 Wurden Informationen, die im Zuge der Anwendung des britischen „Terrorism Act 2000“ gesammelt wurden, von nordrhein-westfälischen Justiz- und Polizeibehörden sowie dem Verfassungsschutz bezogen oder verwendet? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 1568 mit Schreiben vom 17. September 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nationale und internationale Medien berichteten am Montag, den 19. August 2013, dass der brasilianische Staatsbürger David Miranda, Ehemann des Guardian-Journalisten Glenn Greenwald, auf der Durchreise in seine Heimat am Londoner Flughafen Heathrow in Polizeigewahrsam genommen und knapp neun Stunden verhört wurde. Miranda war aus Berlin gekommen und hatte dort eine Filmemacherin besucht, die zusammen mit Greenwald und dem britischen Guardian Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden ausgewertet hatte. Greenwald berichtet seit Juni 2013 über die massiven Überwachungsaktivitäten der US-amerikanischen NSA und des britischen Geheimdienstes GCHQ. Die Festsetzung Mirandas erfolgte den Angaben zufolge auf Grundlage von Anhang 7 (schedule 7) des britischen Gesetzes „Terrorism Act 2000“. Dieser erlaubt es den britischen Behörden, Personen an Flughäfen, Häfen und Grenzgebieten bis zu neun Stunden festzuhalten und zu befragen, ohne dass es hierfür konkrete Verdachtsmomente bedarf. Laut Rechtsgrundlage müssen Festgehaltene auch ohne rechtlichen Beistand auf alle Fragen antworten. Beantworten Festgehaltene die Fragen nicht oder wehren sich gegen die Durchsuchung, machen sie sich strafbar und riskieren eine Gefängnisstrafe. Nach exakt neun Stunden, dem gemäß der Rechtsgrundlage längsten zulässigen Zeitraum einer Festsetzung, wurde David Miranda freigelassen und die Weiterreise gewährt. Das britische Innenministerium gab an, dass es im Rahmen der Anwendung von Anhang 7 des „Terrorism Act 2000“ in der Regel zu weitaus kürzeren Festsetzungszeiträumen kommt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4064 2 Das national und international äußerst umstrittene britische Gesetz wurde im Jahre 2000 verabschiedet. Es stattet britische Behörden mit weitreichenden Befugnissen hinsichtlich der anlasslosen Festsetzung, Befragung und Durchsuchung von Personen aus. Artikel 44 des „Terrorism Act 2000“ wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als rechtswidrig eingestuft. 1. Wie bewertet die Landesregierung das knapp neunstündige Festhalten, die Befragung und die Durchsuchung des brasilianischen Staatsbürgers David Miranda, Ehemann des britischen Guardian-Journalisten Glenn Greenwald, am Londoner Flughafen Heathrow auf Grundlage von Anhang 7 des „Terrorism Act 2000“ insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und den darin verankerten Rechtsgrundsätzen „in dubio pro reo“ und „nemo tenetur“? Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, hoheitliche Maßnahmen eines auswärtigen Staates auf seinem Staatsgebiet und nach seinen Rechtsvorschriften zu bewerten. 2. Sind von den nordrhein-westfälischen Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden sowie dem Verfassungsschutz schon jemals Informationen, die im Rahmen von Befragungen oder Durchsuchungen nach Anhang 7 oder anderen Regelungen des „Terrorism Act 2000“ gesammelt wurden, als Grundlage für strafrechtliche Ermittlungen verwendet worden? Die britischen Behörden haben im Jahr 2011 in einem von ihnen wegen Verstoßes gegen den Terrorism Act 2000 geführten Verfahren im Wege der Rechtshilfe um das Auffinden und die Weiterleitung benannter Beweisgegenstände gebeten. Aufgrund richterlicher Durchsuchungsbeschlüsse wurden entsprechende Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt. Bei Gelegenheit der Durchsuchung wurden in einem Durchsuchungsobjekt Gegenstände gefunden, die zwar in keiner Beziehung zu dem britischen Verfahren standen, aber auf die Verübung einer nach deutschem Recht strafbaren Handlung hindeuteten. Dieser Zufallsfund führte zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Im Übrigen erfolgt die Zusammenarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen und des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen mit ausländischen Nachrichtendiensten unmittelbar durch die Bundesbehörden, die im Rahmen des Nachrichtenaustausches erhaltene Informationen an die Behörden der Länder weitergeben. Grundsätzlich wird der Ursprung dieser Informationen gegenüber den Landesbehörden allerdings nicht offengelegt. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob auf diesem Weg erhaltene Informationen von ausländischen Diensten im Zusammenhang mit dem Terrorism Act 2000 erhoben worden sind. 3. Hat das nordrhein-westfälische Justizministerium Kenntnis von strafrechtlichen Ermittlungen in anderen Bundesländern, die auf Basis von Informationen, die im Rahmen von Befragungen oder Durchsuchungen nach Anhang 7 oder anderen Regelungen des „Terrorism Act 2000“ gesammelt wurden, durchgeführt werden oder wurden? Nein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4064 3 4. Handelt es sich aus Sicht des nordrhein-westfälischen Justizministeriums bei Informationen, die im Rahmen von Befragungen oder Durchsuchungen nach Anhang 7 oder anderen Regelungen des „Terrorism Act 2000“ gesammelt wurden, grundsätzlich um Fakten, die dem Beweiserhebungs- bzw. Beweisverwertungsverbot unterliegen? Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, abstrakte Rechtsfragen zu beantworten. Sollten solche Fragen sich in einem konkreten Strafverfahren stellen, obliegt ihre Prüfung und Entscheidung den dafür zuständigen unabhängigen Gerichten. 5. Wie viele Fälle hat es seit 2000 gegeben, in denen es zwischen Behörden des Landes NRW und britischen Behörden zum Daten- bzw. Informationsaustausch im justiziellen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Bereich gekommen ist? (Bitte nach Jahren aufstellen). Über die Erledigung des in der Antwort zu Frage 2 erwähnten Rechtshilfeersuchens hinaus sind der Landesregierung Fälle des Daten- bzw. Informationsaustauschs im justiziellen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Bereich nicht bekannt. Dabei geht die Landesregierung aufgrund der Überschrift und des Gesamtzusammenhangs der Kleinen Anfrage 1568 davon aus, dass sich Frage 5 nur auf den Daten- und Informationsaustausch im Zusammenhang mit dem Terrorism Act 2000 bezieht.