LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4071 20.09.2013 Datum des Originals: 19.09.2013/Ausgegeben: 25.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1565 vom 15. August 2013 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/3821 Entwicklung der Ausschüttungspolitik bei der Provinzial – Wie verträgt sich die Wahrnehmung der Rechtsaufsicht des Landes für die AöR mit der seinerzeit jeweils geltenden eindeutigen Gesetzeslage in Nordrhein-Westfalen? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 1565 mit Schreiben vom 19. September 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 24. Juni 2013 haben drei Aufsichtsratsmitglieder der Provinzial NordWest Holding AG beim Landgericht Münster Klage eingereicht, um die Unwirksamkeit des Beschlusses der letzten Provinzial-Hauptversammlung vom 28. Mai 2013 über die Gewinnverwendung für das Geschäftsjahr 2012 gerichtlich feststellen zu lassen. Der Hauptversammlungsbeschluss sieht vor, dass mehr als 70 Millionen Euro an die Eigentümer ausgeschüttet werden sollen. Das entspricht über 85 Prozent des gesamten Jahresüberschusses und einer Verzinsung des Nenngrundkapitals von fast 44 Prozent. Die Kläger halten diese Ausschüttungspolitik für ein zwar mittlerweile in privater Rechtsform befindliches, aber bezüglich seines Auftrags weiter öffentlichen Zwecken verpflichtetes Unternehmen für unangemessen und rechtswidrig. Insbesondere ist zweifelhaft, ob die Dividendenhöhe zulässig ist im Rahmen der öffentlichrechtlichen Bindungen des Gesetzes über Rechtsverhältnisse der Westfälischen Provinzial Versicherungen aus dem Jahre 2001, denen die Provinzial in ihrem praktischen Verhalten auch nach ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft unverändert unterliegt. Im Rahmen des nun bevorstehenden Prozesses soll die Frage geklärt werden, ob und unter gegebenenfalls welchen Voraussetzungen sich ein öffentliches Unternehmen durch Wahl einer privatrechtlichen Rechtsform dadurch seiner öffentlich-rechtlichen Konzeption und seinem Auftrag der Versorgung sowie der Gemeinwohlbindung überhaupt entledigen darf. Die Höhe der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4071 2 Ausschüttungen betrifft in hohem Maße den Wert des von den Versicherten eingezahlten Kapitals sowie der ökonomischen Stabilität und Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Da der Finanzminister bislang leider eine transparente Informationspolitik im Umgang mit den gravierenden Eigentumsfragen und rechtlichen Änderungen insbesondere im Bereich der westfälischen Provinzial-Versicherungen dem Parlament gegenüber trotz eines mehrfach klar artikulierten Aufklärungsinteresses beharrlich ablehnt (siehe dazu LT-DS 16/3397 sowie APr 16/300), hat sich der Fragesteller nun selbst durch umfassende Recherchen früherer Geschäftsberichte und Beteiligungsberichte bei der Assekuranz oder ihrer Träger folgendes Lagebild zu den zwischen 1976 und 2012 erfolgten Ausschüttungen erschlossen: Jahr Auszahlungsbetrag in Mio. Euro Gesellschaft Veränderung zum Vorjahr auf 1976 0,2 WP Feuer AöR und WP Leben AöR 1977 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1978 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1979 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1980 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1981 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1982 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1983 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1984 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1985 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1986 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1987 0,2 WPF AöR und WPL AöR 1988 0,5 WPF AöR und WPL AöR 250% 1989 1,2 WPF AöR und WPL AöR 240% 1990 1,2 WPF AöR und WPL AöR 1991 1,2 WPF AöR und WPL AöR 1992 1,2 WPF AöR und WPL AöR 1993 1,2 WPF AöR und WPL AöR 1994 1,2 WPF AöR und WPL AöR 1995 1,2 WPF AöR und WPL AöR 1996 1,2 WPF AöR und WPL AöR 1997 4,3 WPF AöR und WPL AöR 358% 1998 4,3 WPF AöR und WPL AöR 1999 4,3 WPF AöR und WPL AöR 2000 4,3 WPF AöR und WPL AöR 2001 4,3 WPF AöR und WPL AöR 2002 8,0 Westfälische Provinzial Holding AöR 186% 2003 10,0 Westfälische Provinzial Holding AöR 125% 2004 10,0 Westfälische Provinzial Holding AöR 2005 12,8 Provinzial Nordwest Holding AG 128% 2006 25,6 Provinzial Nordwest Holding AG 200% 2007 28,8 Provinzial Nordwest Holding AG 113% 2008 22,4 Provinzial Nordwest Holding AG 78% 2009 30,4 Provinzial Nordwest Holding AG 136% LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4071 3 2010 37,5 Provinzial Nordwest Holding AG 123% 2011 38,0 Provinzial Nordwest Holding AG 101% 2012 70,2 Provinzial Nordwest Holding AG 185% Materiell-rechtlich sind die Rechtsverhältnisse öffentlich-rechtlicher Versicherungsanstalten in Nordrhein-Westfalen geregelt worden durch das Preußische Sozietätengesetz, dessen Fortgeltung als Landesrecht auch seitens des Landesgesetzgebers seinerzeit ausdrücklich anerkannt worden ist. Ein öffentlicher Versicherer hat nach diesem Auftrag „nur im Interesse des gemeinen Nutzens“ zu arbeiten. § 19 hat ursprünglich sogar bis zur tiefgreifenden Änderung der gesetzlichen Grundlagen im Jahr 2001 ausdrücklich in Abgrenzung zu privaten Aktiengesellschaften ein Ausschüttungsverbot vorgesehen, damit „Vermögen und Einnahmen der Anstalt nur im Interesse der Anstalt oder der Versicherten verwendet werden dürfen“. Vor diesem Hintergrund ist es objektiv unverständlich, wie die Rechtsaufsicht des Landes über all die Jahre vor 2001 überhaupt Millionenausschüttungen unbeanstandet lassen konnte. Ferner ist es lohnend, die Mittelherkunft bei erfolgten Stammkapitalerhöhungen nachzuvollziehen, also in welchem Umfang diese aus trägerseitigen Kapitaleinlagen oder bloß durch Umbuchung aus dem angesparten Prämienvermögen der Provinzial-Versicherten erfolgt sind. Im Jahr 1988 ist das Stammkapital der WPF auf 26 Mio. DM erhöht worden und das der WPL auf 4 Mio. DM, davon je zur Hälfte durch Einzahlungen der Gewährträger und durch Umwandlung von Gewinnrücklagen. Der LWL weist sodann in seinen Jahresberichten ab dem Jahr 1997 eine Stammkapitalerhöhung der WPF von 26 (1996) auf 100 Mio. DM aus, die offenbar vollständig aus der Umwandlung von Gewinnrücklagen realisiert worden ist. Ab dem Jahr 2002 wird bei der neuen PHW ein Stammkapital von 100 Mio. Euro bilanziert. Ab dem Jahr 2005 beträgt das Grundkapital nach der Verschmelzung zur PNWH dann 160 Mio. Euro. Die Verzinsung des Stamm- bzw. Grundkapitals ist in all den Jahren zu rund 8% erfolgt. Interessant ist ebenfalls der bilanzielle Ausweis der reinen Trägerbeteiligung der WestLB an der Provinzial: Anders als noch im Geschäftsbericht für das Jahr 1985 weist die WestLB ab 1986 die jeweils 25%-ige reine Trägerbeteiligung am WPF-Kapital (3 Mio. DM) und WPLKapital (1 Mio. DM) nun als „sonstige wesentliche Beteiligung“ der „in den Konzernabschluss 1986 einbezogenen Tochtergesellschaften“ aus. Vorbemerkung der Landesregierung Das preußische Gesetz betreffend die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten vom 25. Juli 1910 (sog. Sozietätengesetz) regelt ursprünglich nur die Gebäudefeuerversicherung. Nach § 32 war es den Feuersozietäten gestattet, mit Genehmigung der Aufsicht, die Mobiliarversicherung einzuführen. Das Gesetz fand keine Anwendung auf die ProvinzialLebensversicherungsanstalt und die von ihr neben der Lebensversicherung betriebenen Sparten Kraftfahrzeug-, Haftpflichtund Unfallversicherung. Die Provinzial-Lebensversicherungsanstalt von Westfalen wurde aufgrund „einer landesherrlichen Genehmigung vom 29.08.1914“ errichtet. Eine gesetzliche Grundlage bestand nicht. Erst 1970 wurden wegen der Aufsichtspraxis des Bundes zur Spartentrennung (Kranken-, Lebens- und Rechtsschutzversicherung dürfen nach § 8 des Versicherungsaufsichtsgesetzes – VAG – nur getrennt von der Schadenversicherung betrieben werden) und einer besseren Präsenz am Markt die Schadensparten auf die Feuerversicherung übertragen (bei allen in der Bundesrepublik Deutschland tätigen öffentlich-rechtlichen Versicherungen). Das reine LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4071 4 vom Sozietätengesetz geregelte Gebäudefeuerversicherungsgeschäft betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 20 % des Geschäfts der beiden Anstalten (Provinzial-Feuersozietät und Provinzial -Lebensversicherungsanstalt) insgesamt. Die Übertragung der übrigen Schadensparten (Haftpflicht-, Unfall- und Kraftfahrtversicherung) erfolgte durch einen Mantelvertrag, der am 03.12.1969 geschlossen wurde. Ab diesem Zeitpunkt hat der Landschaftsverband Westfalen -Lippe von seiner 100 % Gewährträgerschaft 25 % an den Westfälischen Sparkassenund Giroverband und 25 % an die damalige Westdeutsche Landesbank Girozentrale in Münster verkauft. Der Mantelvertrag sah u.a. die Einzahlung von 3 Mio. DM Eigenkapital für die Feuersozietät und 1 Mio. DM für die Lebensversicherungsanstalt durch die drei Gewährträger vor. Das Stammkapital war satzungsgemäß aus dem Überschuss der ProvinzialVersicherungen mit 5 % p.a. zu verzinsen, zuzüglich zahlten die Anstalten 0,5 % p.a. vom eingezahlten Stammkapital an die Gewährträger als Haftungsentschädigung. Die Satzungen wurden dem Mantelvertrag entsprechend angepasst. Der Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr genehmigte als Rechts- und Fachaufsicht die Einführung von Stammkapital und seine Verzinsung als versicherungstechnisch und anstaltsrechtlich unbedenklich. Am 01.01.1997 trat das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Westfälischen ProvinzialVersicherungsanstalten und über die Aufhebung des Gesetzes betreffend die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten in Kraft. Damit wurde erstmalig eine einheitliche Rechtsgrundlage für beide Anstalten, die Westfälische Provinzial-Feuersozietät und die Westfälische Provinzial -Lebensversicherungsanstalt, erreicht. Das Gesetz lässt in § 5 sowohl eine Verzinsung des Stammkapitals als auch dessen Erhöhung aus Mitteln der Anstalt zu. 1. Falls die Landesregierung die in Eigenrecherche entstandene Sachverhaltsdar- stellung für sachlich falsch hält: Welche konkreten anderen Informationen liegen ihr bzw. ihrer Rechtsaufsicht der alten AöR abweichend dazu im Einzelnen vor? Mit Umwandlung der Provinzial-Feuersozietät und der ProvinzialLebensversicherungsanstalt in Aktiengesellschaften forderte mit Schreiben vom 21.12.2001 – 031-5093-2/01 das damalige Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV), die jetzige BaFin, als allein zuständige Aufsicht die gesamten Akten an. Die Landesregierung kann daher zu der Aufstellung keine Angaben mehr machen, da ihr keine Unterlagen vorliegen, aus denen die Zahlungen hervorgehen. Nach den Satzungen wurde das Stammkapital von 1970 bis 1975 mit 5 % zuzüglich 0,5 % p.a. vom eingezahlten Stammkapital und ab 1976 mit bis zu 8 % zuzüglich 0,5 % p.a. vom eingezahlten Stammkapital verzinst. 2. Mit jeweils welcher rechtlichen wie ökonomischen Begründung hat das Land als seinerzeit zuständige Rechtsaufsicht der alten AöR bei WPF und WPL Ausschüttungen zugelassen, die die Gesetzeslage bis zur Änderung 2001 ausdrücklich untersagt hat? 3. Mit jeweils welcher rechtlichen wie ökonomischen Begründung hat das Land als seinerzeit zuständige Rechtsaufsicht der alten AöR Stammkapitalerhöhungen bei WPF und WPL durch Umbuchungen zugelassen, obwohl diese einen massiven Eingriff ins eigentlich geschützte Versichertenvermögen bedeuten? Die Fragen 2 bis 3 werden zusammen beantwortet. Für den Bereich der Feuerversicherung enthielt das Sozietätengesetz keine ausdrückliche Regelung für Ausschüttungen an die Gewährträger. Für den Bereich der Lebensversiche- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4071 5 rung bestanden keine anstaltsrechtlichen Regelungen. Das Vermögen und die Einnahmen der Anstalten durften unbeschadet der Verzinsung des Stammkapitals (Feuersozietät § 4 Abs. 3 und Lebensversicherungs-Anstalt § 5 Abs. 3 der Satzungen) nur zur Erfüllung ihrer Zwecke und zu ihrem und ihrer Versicherungsnehmer Nutzen verwendet werden (Feuersozietät § 4 Abs. 4 und Lebensversicherungs-Anstalt § 5 Abs. 4 der Satzungen). Die Ausschüttungen bis 2004 sind im Rahmen der vom Wirtschaftsministerium genehmigten Satzungen erfolgt. Für die Ausschüttungen seit 2005 ist die BaFin alleinige staatliche Aufsicht. Die erstmalig 1988 beantragte Erhöhung des Stammkapitals der Gewährträger aus Rücklagen der Anstalten wurde vom damals zuständigen Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie durch Satzungsänderung genehmigt. Die Kapitalaufstockung war nach Ansicht der Vertreter der Gewährträger zur Verbesserung der Bonität der Versicherer notwendig. Am 20.12.1996 stellte der Vorstand der Westfälischen Provinzial Versicherung einen weiteren Antrag auf Erhöhung des Stammkapitals aus den Rücklagen der Westfälischen Provinzial -Feuersozietät von 26 Mio. DM auf 100 Mio. DM zum 01.01.1997. Der Antrag wurde nach § 5 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Westfälischen ProvinzialVersicherungsanstalten genehmigt. 4. Aus jeweils welchen einzelnen Erwägungen heraus hält die Landesregierung ausweislich ihres Verhaltens als Rechtsaufsicht die in den zurückliegenden Jahren praktizierte Ausschüttungspolitik zulasten der öffentlichen Assekuranz so für zulässig und richtig? Die Ausschüttungspolitik der Anstalten bewegte sich im Rahmen der genehmigten Satzungen . 5. Aus jeweils welchen konkreten Gründen oder Entscheidungen heraus hat das Land sich als Miteigentümer der WestLB entschieden, ab dem Geschäftsbericht des Jahres 1986 die reine Trägerbeteiligung der Landesbank bei der WPF und WPL trotz ihres an der Bilanzsumme gemessen nur höchst geringen Wertes von in der Summe 1 Mio. DM als „wesentliche Beteiligung der WestLB“ auszuweisen, obwohl es sich hierbei (anders als beispielsweise bei der LBS) laut Finanzreport nicht um eine im Konsolidierungskreis als Konzernunternehmen erfasste Beteiligung gehandelt hat? Die Aufstellung des Jahresabschlusses 1986 der Westdeutschen Landesbank Girozentrale AöR oblag den Organen bzw. Gremien der Anstalt und nicht dem Land bzw. der Landesregierung . Konkret wurde der Jahresabschluss 1986 vom Vorstand der Westdeutschen Landesbank Girozentrale AöR aufgestellt und vom Jahresabschlussprüfer als ordnungsgemäß testiert. Auf Empfehlung des Verwaltungsrates hat die Gewährträgerversammlung den Jahresabschluss 1986 genehmigt. Die Art und Weise des bilanziellen Ausweises von Beteiligungen lag also nicht in der Entscheidungskompetenz der Landesregierung, zumal die Beteiligungsquote des Landes nur bei 43,16 % lag.