LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4076 20.09.2013 Datum des Originals: 20.09.2013/Ausgegeben: 25.09.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1535 vom 11. August 2013 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/3767 Haushalterische Auswirkungen von Überstundenbergen beim Landespersonal – Wie viele Planstellen hat die Landesregierung in ihren jeweiligen einzelnen Ressorts nur deshalb zu finanzieren, um die bereits geleistete Mehrarbeit zu kompensieren? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 1535 mit Schreiben vom 20. September 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin und allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mehrarbeit oder Überstunden leisten Arbeitnehmer dann, wenn sie die übliche, vereinbarte Arbeitszeit überschreiten. Mehrarbeit definiert sich dabei als die Arbeitsleistung, die über die allgemeinen gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen – von regelmäßig acht Stunden werktäglich, ausnahmsweise bis zu zehn Stunden – hinausgeht. Unter dem Begriff Überstunden versteht man hingegen die Arbeit, die der Arbeitnehmer über die für sein Beschäftigungsverhältnis individuell geltende Arbeitszeit hinaus leistet. Die maßgebliche Regelarbeitszeit kann sich direkt aus dem Arbeitsvertrag ergeben, aber auch mittelbar aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Gesetz. In der Regel sind Überstunden zu vergüten: in Form von Freizeitausgleich oder durch die Bezahlung eines höheren Arbeitszeitvolumens. Bei Beamten wird von Mehrarbeit gesprochen, wenn sie die im Beamtenrecht festgelegte Regelarbeitszeit überschreiten. § 61 des Landesbeamtengesetzes regelt dabei folgendes für die Mehrarbeit: (1) Der Beamte ist verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern. Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm innerhalb eines Jahres für die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4076 2 über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. (2) Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen Zeitraum von längstens 480 Stunden im Jahr eine Mehrarbeitsvergütung erhalten. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst regelt die Mehrarbeit in §6 für die angestellten Landesbediensteten: (5) Die Beschäftigten sind im Rahmen begründeter betrieblicher / dienstlicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Schichtarbeit sowie – bei Teilzeitbeschäftigung aufgrund arbeitsvertraglicher Regelung oder mit ihrer Zustimmung – zu Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet. (6) Durch Betriebs-/ Dienstvereinbarung kann ein wöchentlicher Arbeitszeitkorridor von bis zu 45 Stunden eingerichtet werden. Die innerhalb eines Arbeitszeitkorridors geleisteten zusätzlichen Arbeitsstunden werden im Rahmen des nach Absatz 2 Satz 1 festgelegten Zeitraums ausgeglichen. Wenn in einem Haushaltsjahr Arbeitsleistungen von Beschäftigten im Landesdienst für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in erheblichem Umfang in Anspruch genommen werden, die nicht in dem Haushaltsjahr ihrer Entstehung etatisiert sind, sondern durch Freizeitausgleich oder die Kompensation von Vorgriffsstunden erst in folgenden Haushaltsjahren erstattet werden, entsteht die Situation, dass dann in diesen späteren Haushaltsjahren längst nicht alle im laufenden Haushaltsjahr finanzierten Stellen auch ihren Gegenwert an geleisteter Arbeit erbringen. Es wird also im wirtschaftlichen Ergebnis eine nicht etatisierte Leistung in Anspruch genommen, die erst in Folgeperioden zu finanzieren ist. Wenn beispielsweise die Lehrer Arbeitszeitguthaben ansammeln, die erst in späteren Jahren in Form einer Pflichtstundenermäßigung zurückgezahlt werden, entstehen implizite Verpflichtungen im Haushalt, die spätere finanzwirksame Verpflichtungen auslösen, ohne zum Rückgabezeitraum selbst eine Leistungserbringung auszulösen. Die Frage des in den jeweiligen Ressorts aufgelaufenen Überstundenberges ist daher von großer haushalterischer Relevanz. Aber auch die besonders von diesen Instrumenten betroffenen Bediensteten empfinden den Umfang ihrer Heranziehung zur Mehrarbeit längst nicht immer als einen individuellen Vorteil. Medienberichten zufolge sind offenbar vor allem Polizisten, Justizbeschäftigte und Lehrer von dieser gängigen Praxis betroffen. Zumindest wird über die besonderen Belastungen in den genannten Berufen immer wieder öffentlich berichtet, wie beispielsweise bei FOCUS online am 15. Juli 2013: „Der Erste Kriminalhauptkommissar hat mehr als 300 Überstunden angehäuft, andere Kollegen bis zu 650. Zwei Millionen Stunden über den regulären Dienst hinaus melden NRWPolizisten jährlich. „Damit schenken wir dem Land einen dreistelligen Millionenbetrag“, rechnet Gewerkschafter Albishausen vor. Der Job erfordere massenhaft Zusatzschichten.“ Jedoch nicht nur medial, auch in den zuständigen Gremien des nordrhein-westfälischen Landtages, ist die dargestellte Problematik ein regelmäßiger Erörterungsgegenstand. Bislang scheint sich jedoch noch keine Verbesserung für die betroffenen Bediensteten eingestellt zu haben. Da sich eine offensive Neueinstellungspolitik zum Abbau der Überstundenberge aus LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4076 3 haushalterischen Gründen grundsätzlich verbietet, kommt einer verantwortungsvollen, klaren Aufgabenkritik beim Land eine wichtige Bedeutung zu. Die Landesregierung sollte dem Landtag angesichts des dargestellten Sachverhalts einen präzisen Überblick über die Entwicklung der Überstunden und Mehrarbeit in den einzelnen Ressorts zur Verfügung stellen. Wird im Folgenden der Einfachheit halber von Bediensteten gesprochen, meint dies jeweils die Gesamtheit aller beim Land berufstätigen Beschäftigtengruppen unabhängig von ihrem jeweiligen Anstellungsstatus, also ebenso Tarifangestellte wie Beamte. Antworten auf nachfolgende Fragen sollen ferner nicht Angaben umfassen, die ausschließlich Aspekte von Arbeitszeitguthaben aufgrund von Altersteilzeit beinhalten. 1. Wie hat sich bei Landesbediensteten das aggregierte Stundenvolumen der in zukünftige Haushaltsjahre übertragenen Ansprüche auf Kompensation von Überstunden, Mehrarbeit oder Vorgriffsstunden, differenziert nach den einzelnen Ressorts, jeweils in den letzten drei Jahren entwickelt? 2. Welchem ungefähren Vollzeitstellenäquivalent (und dem damit korrespondieren- den Vergütungsvolumen) entsprechen jeweils differenziert für die einzelnen Ressorts in etwa die aufgelaufenen Ansprüche, die irgendwann in zukünftigen Haushaltsjahren seitens des Landes noch zu kompensieren sind? 3. Wie hoch ist nach Erkenntnissen der Landesregierung aktuell in etwa der Um- fang von aufgelaufenen Überstunden, Mehrarbeit und Vorgriffsstunden jeweils differenziert nach den einzelnen Ressorts? (Angaben bitte zum letztmöglichen Erhebungstermin) 4. Welche einzelnen genauen Ansätze verfolgt die Landesregierung differenziert für die einzelnen Ressorts, um die zu späteren Zeitpunkten zu kompensierenden Berge an Überstunden, Mehrarbeit und Vorgriffsstunden sukzessive zurückzuführen ? (bitte auch unter Angabe von Zielgrößen und Zieldaten, falls vorhanden) In Bezug auf die Beschäftigten mit „festen Arbeitszeiten“ beantworten sich die Fragen 1 bis 4 aus der beigefügten Tabelle in der Anlage 1. Ausgewiesen sind die Über- bzw. Mehrarbeitsstunden i.S. von § 61 Landesbeamtengesetz NRW (LBG NRW) und § 7 Abs. 6 und 7 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), die nicht im jeweiligen Jahr vergütet und nicht in Freizeit ausgeglichen wurden. Bei der Umrechnung in Vollzeitäquivalente ist in Frage 2 entsprechend der ständigen Übung im Rahmen der Kosten- und Leistungsrechnung von einer Jahresarbeitszeit von 1.655 Stunden pro Beschäftigter/Beschäftigtem ausgegangen worden. Entsprechend des in Haushaltszusammen -hängen eingeführten Durchschnittswerts wurde für ein Vollzeitäquivalent ein fiktives Vergütungsvolumen von pauschal 50.000 Euro angesetzt. Die Tabelle des Ministeriums für Inneres und Kommunales (MIK) berücksichtigt darüber hinaus – soweit technisch möglich – auch Mehrarbeit im Rahmen flexibler Arbeitszeit. Darüber hinaus können für die anderen Bereiche die Fragen 1 bis 3 für Beschäftigte mit sog. „Flexibler Arbeitszeit“ (FLAZ) nach § 14 der Verordnung über die Arbeitszeit von Beamtinnen und Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen (AZVO) bzw. § 10 TV-L nicht beantwortet werden: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4076 4 Grundgedanke der FLAZ ist, dass die Beschäftigten – ob im Beamtenverhältnis oder auf arbeitsvertraglicher Grundlage - über Dauer und Lage ihrer individuellen täglichen Arbeitszeit in einem bestimmten Rahmen selbst entscheiden können. Ein Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto dient der eigenverantwortlichen Arbeitszeitgestaltung unter Berücksichtigung der dienstlichen Gegebenheiten. Da Arbeitsspitzen durch die Möglichkeiten der FLAZ ebenso von den Beschäftigten eigenverantwortlich aufgefangen werden, ist eine Anordnung von Mehrarbeit oder Überstunden durch den Dienstherrn im Rahmen der FLAZ in vielen Behörden nicht erforderlich. Aber auch bei Beschäftigten, die an der FLAZ teilnehmen, kann eine Anordnung von Mehrarbeit oder Überstunden durch den Dienstherrn erforderlich sein (z.B. außerhalb des Zeitrahmens, der nach § 14 Abs. 2 AZVO zwischen 6.30 und 20.00 Uhr festgelegt werden kann, und insbesondere an Wochenenden). Aufgrund der unterschiedlichen FLAZ-Systeme der Ressorts ist eine Trennung von eigenverantwortlich erarbeiteten Plusstunden und angeordneter Mehrarbeit bzw. Überstunden nur zu bestimmten Terminen möglich (sog. Kappungsstichtage i.S.v. § 14 Abs. 5 AZVO). Zu diesen Stichtagen werden die über dem Gleitzeitrahmen liegenden Plusstunden auf die zulässige Maximalgrenze gekappt; angeordnete Mehrarbeit und Überstunden dürften über diesen Rahmen hinaus „stehen bleiben“, wenn sie nicht separat erfasst werden. Diese mit den jeweiligen Personalräten im Rahmen von Dienstvereinbarungen zur „Flexiblen Arbeitszeit“ festgelegten Kappungsstichtage differieren jedoch innerhalb der Ressorts und ihrer Dienststellen erheblich (jährlich, ¼ - oder ½-jährlich, monatlich). Eine aussagefähige Erhebung müsste daher für 2013 zu einem fiktiven, für alle Ressorts einheitlichen Kappungstermin durchgeführt werden. Dies würde bedeuten, dass in den meisten Ressorts die FLAZ-Konten einzeln und individuell hinsichtlich Mehrarbeit/Überstunden und FLAZ-Guthaben ausgewertet werden müssten. Eine solch umfangreiche Auswertung kann in der Kürze der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfolgen. Hinsichtlich vergangener Jahre greift § 14 Abs. 7 AZVO, wonach Daten im Zusammenhang mit „Flexibler Arbeitszeit“ nicht für einen längeren Zeitraum gespeichert werden dürfen. Eine Erläuterung des MSW zu Vorgriffsstunden findet sich in Anlage 2. 5. In jeweils welchem Volumen sind in den letzten drei Jahren Verpflichtungen des Landes zur Kompensation von Überstunden, Mehrarbeit und Vorgriffsstunden nicht durch eine Bezahlung in Zeit (wie Freizeitausgleich, Stundenermäßigung etc.) gewährt worden, sondern durch finanzielle Entschädigungszahlungen? (Angaben bitte ebenfalls differenziert nach den jeweiligen Ressorts) Die Frage 5 beantwortet sich aus der Anlage 3. Aufgelistet sind die in den Jahren 2010 bis 2012 tatsächlich ausgezahlten Entgelte für Überstunden /Mehrarbeit.