LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4261 18.10.2013 Datum des Originals: 18.10.2013/Ausgegeben: 23.10.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1631 vom 13. September 2013 des Abgeordneten Dr. Marcus Optendrenk CDU Drucksache 16/4051 Gefährdung funktionierender Strukturen - Welche Vorstellungen hat die Landesregierung von Qualität bei schulischer Inklusion? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 1631 mit Schreiben vom 18. Oktober 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage An der Gemeinschaftsgrundschule in Kaldenkirchen (Stadt Nettetal) gibt es Gemeinsamen Unterricht bereits seit 1995. Für die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung stellt die Grundschule in Kaldenkirchen ein sehr erfolgreiches und lang erprobtes Beispiel dar. Wesentliche Erfolgsvoraussetzungen sind eine individuelle Förderung, ein breiter Zusammenhalt aller am Schulleben beteiligten Gruppen und von Dritten mitfinanzierte sonderpädagogische Angebote. Nun sind die bestehenden drei Klassen der vormaligen Jahrgangsstufe 2 im jetzigen Schuljahr zu zwei Klassen der Jahrgangsstufe 3 ohne Einbeziehung von Mitwirkungsgremien und Elternschaft zusammengelegt worden. Damit wird das 18 Jahre lang aufgebaute und umgesetzte Modell ohne Not in Frage gestellt. Selbst wenn die Entscheidung der Bezirksregierung möglicherweise rechtlich zulässig ist, hätte die Möglichkeit für eine Ausnahmeregelung bestanden . Vorbemerkung der Landesregierung Die Sicherung einer qualitativ hochwertigen und wohnortnahen Schulversorgung im Grundschulbereich ist ein Kernanliegen der Landesregierung. Auch zum Abbau bestehender Disparitäten zwischen den einzelnen Gemeinden hinsichtlich der Anzahl und der Größe der ge- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4261 2 bildeten Klassen hat der Landesgesetzgeber mit dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz vom 13. November 2012 die kommunale Klassenrichtzahl als neues Steuerungselement etabliert. Im Kern sind mit dem Konzept eine Absenkung der durchschnittlichen Klassengrößen an den Grundschulen von 24 auf 22,5 Schülerinnen und Schülern sowie eine gleichmäßigere Klassenbildung verbunden. Für die Umsetzung werden in den kommenden Jahren 1700 zusätzliche Lehrerstellen bereitgestellt. Unter Einhaltung der kommunalen Klassenrichtzahl entscheidet der Schulträger über die Zahl der zu bildenden Eingangsklassen in seinem Gemeindegebiet und deren Verteilung auf die Schulen und Teilstandorte. Dabei kann er die Zahl der in die Eingangsklassen aufzunehmenden Schülerinnen und Schüler begrenzen, um innerhalb der Gemeinde ausgewogene Klassen zu bilden oder besondere Lernbedingungen (z.B. Gemeinsamer Unterricht) zu berücksichtigen. Nach jetzigem Kenntnisstand der Landesregierung wird die Stadt Nettetal noch in diesem Jahr eine Schulentwicklungsplanung für den Grundschulbereich erstellen. 1. Warum stellt die Situation an der Gemeinschaftsschule Kaldenkirchen trotz Ge- meinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung keinen besonderen Ausnahmefall dar? In der Gemeinschaftsgrundschule Kaldenkirchen (Nettetal) war die Zusammenlegung der Klassen laut Bericht der Bezirksregierung Düsseldorf zwingend erforderlich. Andernfalls wäre Unterrichtsausfall nicht auszuschließen gewesen. Auch bewirkt die Zusammenlegung, dass zusätzliche Stundenanteile zur Verfügung stehen, die z.B. eine zusätzliche Förderung aller Kinder - auch der Kinder mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung - im Gemeinsamen Unterricht ermöglichen. Durch die Zusammenlegung werden auch die Klassenbildungswerte der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG eingehalten. Die Zusammenlegung der Klassen ist daher nicht zu beanstanden und auch in anderen Fällen durchaus üblich. Die Tatsache, dass in einer Schule Kinder im Gemeinsamen Unterricht lernen, begründet damit grundsätzlich keine Ausnahmeregelung. 2. Kann die Landesregierung die Ansicht der Eltern verstehen, dass die Zusam- menlegung eine Verletzung von Kindeswohl und Bildungsauftrag darstellt? Der Wunsch der Eltern, kleinere Klassen beizubehalten, ist nachvollziehbar. Jedoch errechnet sich die Anzahl der für eine Schule zur Verfügung stehenden Lehrerstellen anhand der Anzahl der Schülerinnen und Schüler. Daher ist bei Bildung zu kleiner Klassen die Lehrerversorgung nicht sichergestellt. Auch bei der Bildung von damals drei Klassen aus nur 60 Schülerinnen und Schülern wurde bereits der damalige Klassenfrequenzrichtwert von 24 unterschritten. Der Bildungsauftrag wurde und wird in der Grundschule Kaldenkirchen zu jeder Zeit umfänglich umgesetzt. In den in dieser Sache vorliegenden Schreiben der Eltern an das Schulministerium wurde zu Recht der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ nie genannt. Er ist in diesem Zusammenhang völlig deplatziert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4261 3 3. Geht die Landesregierung davon aus, dass Gemeinsamer Unterricht im Sinne der Inklusion mit einer Klassenstärke von 25 Kindern gelingen kann? Grundsätzlich ja, es kommt jedoch auch auf die Zusammensetzung der Klasse an. Die schulgesetzlich festgeschriebene Bandbreite ist auf 15 – 29 Schülerinnen und Schüler pro Klasse festgelegt. In diesem Rahmen hat jede Schule den Auftrag zur individuellen Förderung . Sowohl im 8. Schulrechtsänderungsgesetz als auch im Entwurf des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes (Stichwort: Inklusion) sind weitere Spezifikationen getroffen bzw. vorgesehen. Nach dem 8. Schulrechtsänderungsgesetz können die Schulträger die Aufnahmekapazität von Grundschulen, die vor besonderen Herausforderungen stehen (Inklusion, soziales Umfeld ), begrenzen (s.o.). Allerdings dürfen sie dabei nicht die ihnen zur Verfügung stehende Kommunale Klassenrichtzahl überschreiten. Nach dem Konzept zur Sicherung einer qualitativ hochwertigen und wohnungsnahen Schulversorgung im Grundschulbereich bei rückläufigen Schülerzahlen ist insoweit eine durchschnittliche Klassengröße von 23 Schülerinnen und Schülern vorgesehen; es gibt hier also Gestaltungsspielräume. Dabei ist grundlegend, dass der Lehrerstellenbedarf sich gemäß VO zu § 93 Abs. 2 SchulG nicht an der Anzahl der Klassen bemisst, sondern an der Anzahl der Schülerinnen und Schüler (s.o.). Das bedeutet für eine Schule, dass bei großen Klassen grundsätzlich eine höhere Lehrerzuweisung erfolgt und für zusätzliche Förderung mehr Lehrerstunden zur Verfügung stehen. Demgegenüber ist in Klassen an der unteren Grenze der Bandbreite oft nur eine Abdeckung der Stundentafel möglich. 4. Wie stellt sich die Landesregierung eine optimale Förderung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Gemeinsamen Unterricht vor? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass alle Schülerinnen und Schüler, diejenigen mit und ohne Behinderung und/oder sonderpädagogischen Förderbedarf, in einem guten Unterricht individuell gefördert werden. Enge Kooperation und Teamarbeit zwischen allgemeinpädagogischen Lehrkräften und Lehrkräften für Sonderpädagogik sichern die Qualität der sonderpädagogischen Unterstützung. Zu weiteren Kriterien verweist die Landesregierung auf die mit allen Beteiligten, den Schüler-, Eltern- und Lehrerverbänden, Schulaufsichten, Kommunalen Spitzenverbänden und dem politischen Bereich erarbeiteten Hinweise der Inhaltsbereiche des Referenzrahmens Schulqualität. Guter Unterricht ist auch guter Gemeinsamer Unterricht. Wenn mit der Fragestellung auch die Frage nach den Ressourcen verbunden ist, bleibt festzustellen, dass allein quantitative Ressourcenfragen zum Unterricht nicht automatisch zu einer guten Qualität des Unterrichts führen, dass aber auch hier die Landesregierung deutliche Schwerpunkte setzt. 5. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass Schulen, die seit Jahren erfolg- reich Gemeinsamen Unterricht durchführen, als gute Beispiele besonders zu unterstützen sind? In Nordrhein-Westfalen gibt es viele ausgezeichnete allgemeine Schulen unterschiedlicher Schulstufen, die seit vielen Jahren erfolgreich Gemeinsames Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung bzw. sonderpädagogischen Förderbedarf gewährleis- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4261 4 ten. Beispiel hierfür sind die Schulen des Jakob-Muth-Preises und teilweise auch die des Deutschen Schulpreises. Die Schulen werden in hohem Maße seitens des Ministeriums für Schule und Weiterbildung sowie auch der Landesregierung wertgeschätzt und als gute Beispiele vorgestellt. Es ist Aufgabe der zuständigen Schulaufsicht, im Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten und in Kenntnis der spezifischen Bedarfe, solchen Schulen die angemessene personelle Unterstützung zu gewähren. Schulen können auch in geringem Umfang Stellenanteile zur Entlastung erhalten, wenn sie weitere allgemeine Schulen, die sich auf den Weg des Gemeinsamen Lernens machen, begleiten und beraten. Grundlage bildet der Erlass vom 29.04.2013 „Stellen zur Unterstützung des Einstiegs in die Inklusion (Kooperation, Informationsvermittlung durch „Lernende Lehrkräfte “)“.