LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4299 29.10.2013 Datum des Originals: 29.10.2013/Ausgegeben: 31.10.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1648 vom 16. September 2013 des Abgeordneten Thorsten Schick CDU Drucksache 16/4081 Inklusion verantwortungsvoll gestalten - keine Kommune zurücklassen! Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 1648 mit Schreiben vom 29. Oktober 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Deutschland gehört zu den Unterzeichnern der UN-Behindertenkonvention. Durch die Unterschrift haben sich alle Staaten verpflichtet, ein Bildungssystem zu errichten, in dem der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung der Regelfall ist. Für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist Inklusion im Schulbereich eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Zur Neuordnung der Schulstruktur auf Grund des demografischen Wandels und des veränderten Schulwahlverhaltens kommt diese Aufgabe auf die Kommunen hinzu. Schulstandorte werden geschlossen oder zusammengelegt, gleichzeitig müssen die Räumlichkeiten den Erfordernissen eines inklusiven Unterrichts angepasst werden. Alleine werden die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen diese riesige Herausforderung nicht bewältigen können. Aus diesem Grund sind sie auf die Unterstützung der Landesregierung angewiesen. Gerade die Forderung der Ministerpräsidentin "Kein Kind zurücklassen " hat große Erwartungen bei den Kommunen geweckt. Auf Grund der schwierigen Haushaltslage in vielen Städten und Gemeinden blicken viele Kommunalpolitiker - wie in meiner Heimatstadt Iserlohn - auf die Vorgaben aus Düsseldorf. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4299 2 1. Wie will die Landesregierung sicherstellen, dass betroffene Kinder, Eltern, Lehrer und Kommunen zeitlich und inhaltlich nicht überrumpelt werden, sondern sorgsam Schritt für Schritt in ihre jeweiligen neuen Situationen und Verantwortungen hineinwachsen können? Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz – als Erstes Gesetz zur Umsetzung der VNBehindertenrechtskonvention in den Schulen – und die dieses Gesetz begleitenden Schritte sehen einen schrittweisen Ausbau des Gemeinsamen Lernens vor. Gemeinsames Lernen wird – wie bislang in der Tradition des Gemeinsamen Unterrichts in Nordrhein-Westfalen – auch weiterhin in enger Abstimmung zwischen Schulaufsicht und Schulträgern an den Schulen eingerichtet, für die eine Zustimmung des Schulträgers vorliegt. Durch die Einbindung in die Entscheidung darüber, an welchen allgemeinen Schulen Gemeinsames Lernen eingerichtet wird, und durch die Einrichtung von Schwerpunktschulen haben die Schulträger Gestaltungsspielräume. 2. Welche finanzielle Unterstützung dürfen Kommunen über die Schulpauschale hinaus erwarten, wenn sie auf Grund der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes gezwungen sind, in sog. individuelle Vorkehrungen zu investieren (Einhaltung des Konnexitätsprinzips)? Das Land investiert in seinem Zuständigkeitsbereich (lehrendes Personal) in erheblichem Maße in zusätzliche Lehrerstellen – bis zum Schuljahr 2017/2018 werden nach den Berechnungen zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz voraussichtlich insgesamt 3.215 zusätzliche Lehrerstellen für Inklusion bereitgestellt. Darüber hinaus sind erhebliche Investitionen - über 80 Mio. Euro (zusätzliche Studienplätze, berufsbegleitender Erwerb des Lehramts für sonderpädagogische Förderung) - im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung beabsichtigt. Das vom Landtag verabschiedete 9. Schulrechtsänderungsgesetz bestimmt in Artikel 4 § 3 Absatz 1, dass das für Schule zuständige Ministerium im Rahmen einer unter Beteiligung der Kommunalen Spitzenverbände zu erstellenden Untersuchung ermittelt, ob und gegebenenfalls welche finanziellen Auswirkungen für die Kommunen im Rahmen ihrer Aufgaben im Zusammenhang mit der Veränderung des regionalen Schulangebots durch dieses Gesetz entstehen. 3. Plant die Landesregierung die Vorgabe von einheitlichen Qualitätsstandards, um den Kommunen vor Ort die Umsetzung der Inklusion im Schulbereich zu erleichtern ? Die Frage nach Qualitätsstandards im Schulbereich hat viele verschiedene Facetten: unterrichtliche Qualitätsstandards werden u. a. im Referenzrahmen Schulqualität oder durch die Vorgaben für die Qualitätsanalyse beschrieben. Bei den Qualitätsstandards, die nicht die Zuständigkeit des Landes betreffen, geht es um die bauliche Ausstattung der Schulen der Gemeinden und Kreise. Hierzu gab es bis 31. Dezember 2011 Rahmenvorgaben (Runderlass „Grundsätze für die Aufstellung von Raumprogrammen für allgemein bildende Schulen und Förderschulen “,1995), die auch auf Wunsch der Kommunalen Spitzenverbände nicht verlängert wurden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4299 3 Auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem gilt es darüber hinaus zu bedenken, dass sich je nach Art und Ausprägung der Behinderung ein sehr unterschiedlicher Förder- und Unterstützungsbedarf vor Ort ergibt. Schülerinnen und Schüler mit sehr komplexen Behinderungen benötigen z.B. ein anderes Raum- und Unterstützungsangebot als Schülerinnen und Schüler mit Lern- und Entwicklungsstörungen. Aus diesen Gründen ist es auch aus pädagogischen Erwägungen nicht sachangemessen, einheitliche statische Qualitätsstandards für die Umsetzung der Inklusion zu definieren. 4. Wie werden Schulleitungen weitergebildet, damit sie mit den Kommunen zu- sammen gesamtstädtische Konzepte zu einer inklusiven Schulstruktur entwickeln können? Zu den Aufgaben der Schulleiterinnen und Schulleiter gehört es, mit dem Schulträger bei dessen Organisation des örtlichen Schulangebotes zusammenzuarbeiten. Lehrkräfte aller Schulformen erwerben beispielsweise im Rahmen der Schulleitungsqualifizierung im Modul „Schulinterne und –externe Kommunikation und Kooperation“ Kompetenzen unter anderem zur Kooperation mit der Schulaufsicht und dem Schulträger, so dass sie als geeignete Gesprächspartner zur Verfügung stehen. 5. Sieht die Landesregierung auch bei Umsetzung der Gesetzesvorhaben langfris- tig den Erhalt einer Förderschule in meiner Heimatstadt Iserlohn als gesichert an, um auch Eltern, die sich bewusst für diese Schulform entschieden haben, ein Angebot zu unterbreiten? Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz enthält keine Vorgaben, nach denen Förderschulen mit bestimmten Förderschwerpunkten generell wegfallen sollen. Der Schulkonsens vom 19. Juli 2011 beschreibt, dass Förderschulen auch künftig zum Schulangebot in Nordrhein-Westfalen gehören, soweit sie trotz Inklusion erforderlich sind. Dafür maßgeblich sind aber der Elternwille und der Bedarf. Für alle Schulformen gelten in Nordrhein-Westfalen Mindestschulgrößen. Diese sind kein Selbstzweck, sondern gewährleisten einen geordneten Schulbetrieb. Für die Förderschulen regelt das Ministerium dies durch Rechtsverordnung. Die neue Verordnung über die Mindestgrößen von Förderschulen und die Schulen für Kranke vom 16. Oktober 2013, die eine Verordnung aus dem Jahre 1978 ablösen wird, wird in Kürze im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet werden. Das Unterschreiten der Mindestgröße einer Förderschule bedeutet nicht notwendig, dass dieser Standort geschlossen werden muss. Ein Schulträger mit mehreren Förderschulen kann nach Maßgabe des Schulgesetzes und der Mindestgrößenverordnung Schulen zusammenlegen , Teilstandorte bilden oder Verbundschulen einrichten. Denkbar ist zum Beispiel auch, mehrere Förderschulen in der Trägerschaft von Gemeinden zu einer Schule in Kreisträgerschaft zusammenzulegen. Hierbei handeln die öffentlichen Schulträger im Rahmen der durch das Grundgesetz und die Landesverfassung garantierten kommunalen Selbstverwaltung, die von den Kommunen eingefordert wird.