LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/433 26.07.2012 Datum des Originals: 25.07.2012/Ausgegeben: 31.07.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 66 vom 20. Juni 2012 des Abgeordneten Theo Kruse CDU Drucksache 16/106 Negative Folgen der fehlenden Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen in Nordrhein-Westfalen Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 66 mit Schreiben vom 25. Juli 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Meldegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (MG NRW) war lange Zeit eine Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen vorgesehen. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 MG NRW a.F. hatte der Wohnungsgeber dem Meldepflichtigen den Einoder Auszug schriftlich zu bestätigen. Diese Bestätigung hatte der Meldepflichtige gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 MG NRW a.F. der Meldebehörde vorzulegen. Diese Regelung wurde auf Initiative der damaligen rot-grünen Landesregierung durch Änderungsgesetz vom 05.04.2005 (GV.NRW Nr. 16 S. 263-267) beseitigt. In der Gesetzesbegründung wurde der Verzicht auf den Wegfall der Mitwirkungspflicht damit begründet, „dass (…) der Verzicht auf die Vermietermeldepflicht keine spürbaren Einbußen bei der Qualität der Melderegister erwarten [lasse]“ (Drs. 13/6300, S. 40). Bei dieser Gesetzesänderung handelte es sich um eine Umsetzung bundesrechtlicher Vorgaben, nachdem die rot-grüne Bundesregierung bereits im Jahr 2002 das Melderechtsrahmengesetz geändert und die Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers gestrichen hatte. Infolge der Föderalismusreform ist das Meldewesen in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes überführt worden. Die Meldegesetze der Länder gelten so lange fort, bis ein Bundesmeldegesetz in Kraft tritt. Einen ersten Entwurf für ein solches Bundesmeldegesetz hat die Bundesregierung im Dezember 2011 mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens“ (BT-Drs. 17/7746) vorgelegt. Darin LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/433 2 ist die Wiedereinführung der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen vorgesehen, so dass im Ergebnis der frühere Rechtszustand wiederhergestellt würde. Welche negativen Folgen die von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN veranlasste Streichung der Mitwirkungspflicht bei An- und Abmeldungen in der Praxis hatte, dokumentiert ein Beitrag in der Zeitschrift MieterMagazin 11/2007, S. 22, am Beispiel der Stadt Berlin. Dort wurde das Meldegesetz im Jahr 2006 in gleicher Weise geändert, wie das MG NRW. Laut des Berichts sei infolge der Gesetzesänderung eine erhebliche Zunahme von Scheinanmeldungen zu verzeichnen gewesen, die wiederum zahlreiche Folgeprobleme ausgelöst hätten. So seien bei einer Stichprobe in einem Berliner Bezirk 367 Anschriften überprüft worden, von denen sich 50 Prozent als falsch erweisen hätten. Unrichtige Meldebescheinigung seien u.a. benutzt worden, um ein Girokonto zu eröffnen und dann im großen Stil Waren einzukaufen. Außerdem habe die Streichung der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers Unterhaltspflichtigen das Abtauchen erleichtert. Da Mahnungen, Vorladungen vor Gericht oder Strafbefehle automatisch an die Meldeadresse geschickt würden, seien entsprechende Ermittlungen vielfach ins Leere gelaufen. Auch die Fahndungsarbeit der Polizei würde erheblich erschwert, wenn keine ladungsfähige Anschrift von Tatverdächtigen vorliege. In einem Fall sei sogar das BKA im Zusammenhang mit der Fahndung nach einem Terrorverdächtigen zu einer Razzia bei einer falschen Adresse ausgerückt. Schließlich könne sich jedermann mit Hilfe einer fiktiven Anmeldung vom Schlüsseldienst die betreffende Wohnung öffnen lassen. 1. Wie viele Scheinanmeldungen sind infolge des Wegfalls der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen in Nordrhein-Westfalen seit April 2005 zu verzeichnen gewesen? Eine Statistik über die Zahl der Scheinanmeldungen wird für das Land Nordrhein-Westfalen nicht geführt. Anderweitige belastbare Erkenntnisse, die zur Beantwortung der Frage dienen könnten, sind innerhalb der Frist des § 76 Abs. 1 GGO nicht mit vertretbarem Aufwand zu beschaffen, da dies eine Abfrage bei 396 Meldebehörden in Nordrhein-Westfalen erfordert. Inwieweit die Meldebehörden hierzu über nachprüfbare Zahlen verfügen, ist nicht bekannt. 2. In wie vielen Fällen sind infolge des Wegfalls der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen in Nordrhein-Westfalen seit April 2005 unrichtige Meldebescheinigungen benutzt worden, um Girokonten zu eröffnen? Die polizeilichen Daten zum Deliktsbereich Kontoeröffnungsbetrug enthalten keine Angaben zu falschen Meldebescheinigungen infolge des Wegfalls der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen in Nordrhein-Westfalen. Eine stichprobenartige Prüfung von Datensätzen im Vorgangssystem der Polizei NRW zum Kontoeröffnungsbetrug ergab, dass im 2. Halbjahr 2011 bei insgesamt 103 Vorgängen vielfach ge- oder verfälschte Ausweise oder Gehaltsbescheinigungen für die Kontoeröffnungen genutzt wurden. Dabei ist ein Zusammenhang mit der Änderung des Meldegesetzes nicht erkennbar. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/433 3 3. In wie vielen Fällen konnten Unterhaltspflichtige in Nordrhein-Westfalen seit April 2005 erst verspätet ermittelt werden, weil sich ihre Meldedaten infolge des Wegfalls der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen als falsch erwiesen? Für den Rechtskreis des SGB II lassen sich keine Aussagen zur zahlenmäßigen Häufigkeit der verspäteten Ermittlung von Unterhaltspflichtigen treffen. Die Jobcenter in NRW erheben derartige Daten nicht. Dies gilt auch für die durch die Jugendämter veranlassten Unterhaltszahlungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. 4. In wie vielen Fällen konnten Mahnungen, Vorladungen vor Gericht und Strafbefehle in- folge des Wegfalls der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen in Nordrhein-Westfalen seit April 2005 nicht auf Anhieb zugestellt werden? Statistische Daten über die Anzahl der nicht auf Anhieb zugestellten Mahnungen, Ladungen und Strafbefehle liegen dem Justizminister nicht vor. Eine Statistik über das Ergebnis des Zustellungsverfahrens wird nicht geführt. Anderweitige belastbare Erkenntnisse, die zur Beantwortung der Frage dienen könnten, sind innerhalb der Frist des § 76 Abs. 1 GGO nicht mit vertretbarem Aufwand zu beschaffen. 5. Welche weiteren Missbrauchsfälle sind im Zusammenhang mit dem Wegfall der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei An- und Abmeldungen seit April 2005 in Nordrhein-Westfalen bekannt geworden? Die nordrhein-westfälische Polizei erhebt keine statistischen Daten, die speziell im Kontext mit dem Wegfall der Mitwirkungspflichten des Wohnungsgebers stehen.