LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4462 20.11.2013 Datum des Originals: 19.11.2013/Ausgegeben: 25.11.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1693 vom 11. Oktober 2013 der Abgeordneten Henning Höne und Kai Abruszat FDP Drucksache 16/4207 Arzneimittelrückstände in Gewässern – mit welchen Kosten will die Landesregierung die Gebührenzahler bei der Beseitigung von Mikroverunreinigungen belasten? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1693 mit Schreiben vom 19. November 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation , Pflege und Alter, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Wirtschaft , Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Schutz heimischer Gewässer vor anthropogenen Mikroschadstoffen stellt eine wichtige Zukunftsaufgabe dar. Mit dem Kompromiss zwischen Europäischem Parlament, dem Ministerrat und der Kommission vom April diesen Jahres wurde vereinbart, die Wasserrahmenrichtlinie um weitere prioritäre Stoffe zu erweitern und für diese auch Umweltqualitätsnormen festzulegen. Davon betroffen waren Pflanzenschutzmittel, Biozide sowie Dioxin und PCB. Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf sollen die drei Pharmazeutika Diclofenac, EE2 und E2 nicht als prioritäre Stoffe eingestuft werden. Für diese soll in den nächsten zwei Jahren eine Risikobewertung durch die Kommission stattfinden, auf deren Basis eine umfassende Strategie entwickelt werden soll. Dafür wurde außerdem die so genannte Beobachtungsliste geschaffen. Im Rahmen der 80. Umweltministerkonferenz hat das Land Nordrhein-Westfalen zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben, dass die Bundesregierung für eines der drei genannten Pharmazeutika, nämlich Diclofenac, im nationalen Recht einen Grenzwert gemäß dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission einführen solle. Ferner sollen weitere Orientierungswerte aufgenommen werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4462 2 In Fachkreisen wird deswegen angenommen, dass das Land die Schaffung einer landesgesetzlichen Verpflichtung zum Bau einer weiteren Reinigungsstufe zu Elimination anthropogener Spurenstoffe plane. 1. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse hat die Landesregierung zu den Ge- fährdungspotenzialen der genannten Pharmazeutika eigenständig erhoben? Die EU-Kommission hat 2012 vorgeschlagen, Diclofenac, E2 (Östradiol) und EE2 (Ethinylöstradiol ) in die Liste der Prioritären Stoffe zum Schutz der Oberflächengewässer aufzunehmen . Für Diclofenac ist eine Umweltqualitätsnorm von 0,1 µg/ L, für E2 von 4*10 -4 µg/ L und für EE2 von 3,5*10 -5 µg/ L vorgeschlagen worden. Die Ermittlung der Konzentrationen für die festzulegenden Umweltqualitätsnormen erfolgt nach einem europäischen Standard, der in einem EU-Dokument „Technical Guidance Document for deriving Environmental Quality Standards, No. 27“ (TGD EQS, EU 2011)“ festgelegt ist. Das TGD EQS wurde im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) erarbeitet. Die wissenschaftliche Ableitung von kritischen Konzentrationen gemäß diesem Standard ist unstrittig. Es besteht deshalb kein Bedarf für einzelne Bundesländer ergänzende wissenschaftliche Untersuchungen zur Stoffbewertung durchzuführen. Unabhängig von der humantoxikologischen und der ökotoxikologischen Bewertung einzelner Substanzen, beispielsweise in der Wasserphase, ist es eine originäre Aufgabe der Länder, Bewertungen der Beschaffenheit von Gewässern vorzunehmen und insbesondere auch eine adäquate Beschaffenheit der für die Trinkwassergewinnung heranzuziehenden Rohwässer zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund hat die damalige Landesregierung 2008 das „Programm Reine Ruhr“ erarbeitet. Das „Programm Reine Ruhr“ stellt eine Strategie zur Vermeidung von Mikroschadstoffen in Gewässern und im Trinkwasser dar. Vor dem Hintergrund , dass in NRW, anders als in fast allen Bundesländern, Trinkwasser überwiegend aus Oberflächengewässern gewonnen wird, kommt der Vermeidung von Mikroschadstoffen eine besondere Bedeutung zu. Hierzu ist es auch notwendig, für Stoffe, deren humantoxikologische und ökotoxikologische Bewertung vorliegt, justitiable Qualitätsnormen für Gewässer und Abwasser vorzunehmen oder diese zu inizuieren. Das „ Programm Reine Ruhr“ beinhaltet entsprechende Initiativen, wie beispielsweise für Diclofenac. 2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung vor, die eine dringende Rege- lung für Diclofenac, aber nicht für die Pharmazeutika EE2 und E2 erforderlich machen, ohne jeweils die zu erwartenden Erkenntnisse der Kommission abzuwarten ? Die Entscheidung der EU, alle 3 Stoffe zunächst auf einer sog. Beobachtungsliste zu führen und für diese nicht direkt eine Umweltqualitätsnorm einzuführen, basiert auf der Erkenntnis, dass die Pharmazeutika europaweit unterschiedlich intensiv verwendet werden und die Gewässerbelastung unterschiedlich ist bzw. zumindest die Erkenntnisse über die Gewässerbelastungen unterschiedlich sind. Folglich sollen europaweit weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Die Stoffbewertung ist davon nicht betroffen. In Deutschland liegen umfängliche Gewässeruntersuchungen zu Diclofenac vor, nicht aber zu EE2 und E2. Die Gewässeruntersuchungen zu Diclofenac zeigen, dass die von der EU vorgeschlagene und wissenschaftlich abgeleitete Umweltqualitätsnorm häufig überschritten wird. In diesen Fällen sieht die WRRL vor, dass die Mitgliedsstaaten flußgebietsspezifische Regelungen treffen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4462 3 3. Welchen Bedarf an Ertüchtigungsmaßnahmen sieht die Landesregierung für die nordrhein-westfälischen Abwasserbehandlungsanlagen aus der geplanten Erweiterung der Liste der prioritären Stoffe sowie aus den zusätzlichen von der Landesregierung geforderten Vorgaben? Ende 2011 wurde der 2. Monitoringzyklus WRRL abgeschlossen, der 3. Monitoringzyklus läuft derzeit. Basierend auf den vorliegenden Ergebnissen wird der Bewirtschaftungsplan und das Maßnahmenprogramm für den 2. Bewirtschaftungszyklus 2016 - 2021 erstellt werden . Im Weiteren sind dann für die 1.897 Oberflächengewässerwasserkörper die notwendigen Maßnahmen zu ermitteln, um den guten ökologischen und chemischen Zustand der Gewässer zu erreichen. Bei wie vielen der 634 kommunalen Kläranlagen in NRW Maßnahmen erforderlich sind, kann erst nach Vorliegen des Bewirtschaftungsplans und Maßnahmenprogramms ermittelt werden. Hinzuweisen ist auf die Tatsache, dass auch eine Minimierung nicht geregelter Stoffe (z. B. derzeit Diclofenac) notwendig werden kann, wenn diese ursächlich mit zur Nichterreichung des guten ökologischen Zustandes beitragen und damit die Bewirtschaftungsziele verfehlt werden. Dies kann auch beispielsweise für Salzeinleitungen in die Weser zutreffen. Die geplante Erweiterung der Liste prioritärer Stoffe führt umgekehrt nicht zwingend zu einem zusätzlichen Ertüchtigungsbedarf von Abwasserbehandlungsanlagen. 4. Mit welcher Kostenmehrbelastung, die sich letztlich auf die Abwassergebühren auswirken, ist hier jeweils zu rechnen? Zur Elimination von Arzneimitteln und weiteren Mikroschadstoffen sind in Deutschland insbesondere in Baden-Württemberg und in NRW bereits eine Reihe von Kläranlagen ertüchtigt worden. Die Maßnahmen in Bad Sassendorf, Duisburg-Vierlinden, Gütersloh, Obere Lutter und Schwerte haben nach hiesigen Erkenntnissen nicht zu einer Gebührenerhöhung geführt. Dies ist zum einen dem Engagement der Abwasserbeseitigungspflichtigen geschuldet, die entsprechende Kompensationsmaßnahmen für Mehrbelastungen vorgenommen haben, zum anderen der Landesförderung aus Mitteln der Abwasserabgabe in Höhe von 70 % der Investitionskosten oder Großversuchen/Pilotprojekten wie Schwerte. Grundsätzlich ist die Ertüchtigung der Kläranlagen zur Mikroschadstoffelimination mit Mehrkosten verbunden; dabei sind in der Regel die spezifischen Kosten je Einwohner geringer, je größer eine Kläranlage ist. Im Wesentlichen können große Kläranlagen (> 10.000 EW) betroffen sein, wenn der ökologische und chemische Gewässerzustand eine Verminderung von Mikroschadstoffen notwendig macht, weil das Verhältnis von eingeleiteter Abwassermenge zu Gewässerführung entscheidend ist für die Frage der Gewässerbelastung. Von den Kläranlagen in NRW (381 > 10.000 EW) wurden auf freiwilliger Basis inzwischen für 36 Anlagen Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben, in deren Rahmen auch die anfallenden Kosten untersucht werden. Insofern liegen umfangreiche und ausreichende Kostenbetrachtungen vor. Bezogen auf die Abwassergebühren wurden Kosten zwischen 2 ct/m³ (Obere Lutter) und max. 21-35 ct/m³ (Schwerte, Untersuchungen des Ruhrverbands) ermittelt. Bei den Kosten für die Kläranlage Schwerte ist zu beachten, dass hier zwei Systeme zur Mikroschadstoffelimination parallel errichtet wurden, um im Rahmen eines F+E-Vorhabens vergleichbare Erkenntnisse zu gewinnen. 5. Welche weiteren landesrechtlichen Vorgaben plant die Landesregierung für Ab- wasserbehandlungsanlagen? Die bestehenden Vorgaben an Abwasserbehandlungsanlagen resultieren aus Bundesrecht.