LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4507 27.11.2013 Datum des Originals: 27.11.2013/Ausgegeben: 02.12.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1729 vom 29. Oktober 2ß13 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/4315 Rechtliche Rahmenbedingungen einer Kooperation bis hin zu einer Fusion der beiden Provinzialen in Rheinland und NordWest laut Geheimpapier der Staatskanzlei – Wie bewertet die Landesregierung aktuelle Diskussionen zur Gewährträgerhaftung? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 1729 mit Schreiben vom 27. November 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Landesregierung hat mit der Ministerpräsidentin und ihrem Finanzminister an ihrer Spitze im Dezember 2012 das Ziel ausgegeben, die rheinische und westfälische ProvinzialVersicherung zu fusionieren. Zu diesem Zweck hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit den beiden nordrhein-westfälischen Sparkassenverbänden und Vertretern der Landschaftsverbände vereinbart, bis zum 31. März 2013 über Möglichkeiten einer Fusion der beiden Provinzial-Versicherungsgesellschaften zu verhandeln. Mittlerweile gibt es begründete Zweifel, ob dieser Vorstoß von den Beteiligten der beiden Provinzialen als hilfreich betrachtet und umgesetzt wird. Insbesondere bei Fragen von Eigentumsrechten , der Rechtsformwahl für eine denkbare gemeinsame Provinzial-Holding für Nordrhein-Westfalen sowie der Unternehmensbewertung gibt es erkennbar zwischen den Beteiligten erhebliche Differenzen und Interessensunterschiede. Die noch laufenden Fusionsgespräche sollten rein sachorientiert und ideologiefrei betrachtet werden, um diesem Prozess eine Chance geben, falls es gelingt, zum Vorteil beider Unternehmen Synergien zu heben und dabei die berechtigten Interessen der Versichertengemeinschaft zu wahren. Zugleich darf es keine Fusion um jeden Preis geben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4507 2 In dem noch laufenden Sondierungsprozess zur zukunftsfähigen Aufstellung der beiden nordrhein-westfälischen Provinzial-Versicherer kommt der Landesregierung eine wichtige Verantwortung zu. Eine zentrale Frage der Ausgestaltung ist bei einer Fusion beispielsweise die Wahl der Rechtsform für eine gemeinsame Holding. Je nach konkreter rechtlicher Ausgestaltung sind in gravierendem Umfang Haftungs- und Eigentumsfragen betroffen, die einer gründlichen Analyse der Zielsetzungen auch der bisherigen Gesetzgebung des Landtags zur Provinzial und allen daraus resultierenden Konsequenzen für die Assekuranz, ihre Kunden und die Wettbewerbssituation standhalten müssen. In der Diskussion über denkbare Modelle für eine Fusion der öffentlichen Assekuranz in Nordrhein-Westfalen spielen immer wieder auch Rechtsfragen der Gewährträgerhaftung eine wichtige Rolle. Insbesondere Gegner einer AöR-Lösung sehen in der Gewährträgerhaftung und Anstaltslast ein zentrales Argument gegen eine entsprechende Lösung. Nach allen europarechtlichen Entscheidungen zum Komplex der Gewährträgerhaftung stellt sich die nüchterne Rechtslage aus Sicht des Fragestellers wie folgt dar: Für alle nach dem Jahr 2005 begründeten Sachverhalte gibt es keine Gewährträgerhaftung mehr. Die Gewährträgerhaftung für im Zeitraum 2001 bis 2005 neu eingegangene Verbindlichkeiten endet spätestens mit Ablauf des Jahres 2015, und nur für Altverbindlichkeiten vor diesen dargestellten Zeiträumen besteht überhaupt die Gewährträgerhaftung fort. Zur Frage der Gewährträgerschaft führt Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans in LT-DS 16/3397 gegenüber dem Fragesteller aus: „Das Land Nordrhein-Westfalen ist und war im Übrigen nie Gewährträger der Rheinischen oder Westfälischen Provinzial-Versicherungsanstalten.“ In LT-DS 16/4096 ergänzt die Landesregierung zu den historischen Grundlagen weiterhin: „Die Gewährträgerschaften für die in NRW tätigen öffentlich-rechtlichen ProvinzialVersicherungsanstalten lagen vor 1945 bei den Provinzialverbänden. Mit der Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen wurden die Rechte und Pflichten der preußischen Provinzialverbände vom Land wahrgenommen (VO Nr. 46 der Britischen Militärregierung vom 23.08.1946). § 33 Abs. 1 der Landschaftsverbandsordnung vom 12. Mai 1953 übertrug diese Aufgaben auf die Landschaftsverbände.“ Die Zusammenschau beider Antworten erstaunt. Die preußischen Provinzialverbände dürften sicher als Teil der preußischen Staatsgewalt kraft Militärgesetzgebung mit aufgelöst worden sein, konnten dann also auch nicht mehr Gewährträger der Provinzialversicherungsanstalten sein. Wenn das Land nach Aussagen der Landesregierung nie Gewährträger der Anstalten gewesen ist, stellt sich die sachlogische Frage, wer denn sonst in der Zeit zwischen dem 23. August 1946 bis zum Wirksamwerden der neuen Landschaftsverbandsordnung im Jahre 1953 Gewährträger für die beiden Anstalten gewesen ist. Wie aktuell aus dem Kreis der rheinischen Sparkassen zu vernehmen ist, hat die nordrheinwestfälische Staatskanzlei offenbar mittlerweile aufgrund der anhaltenden Streitfragen ein Geheimpapier im Referat I.B.1 mit dem Titel „Rechtliche Rahmenbedingungen einer Kooperation bis hin zu einer Fusion der Provinzial Rheinland und der Provinzial NordWest“ erstellt, das für die weiteren Beratungen des Landtags in dieser Angelegenheit von großem Interesse ist. Das Parlament sollte diese Rechtsauffassungen und Expertisen der Landesregierung kennen, die Entscheidungsgrundlage des Landes beim weiteren Prozedere um die Zukunft der Provinzialen sein dürften. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4507 3 Bereits mit ihrem Antrag in LT-DS 16/4023 hat die FDP-Landtagsfraktion explizit gefordert, die Landesregierung solle dem Parlament gegenüber transparent ihre Interessenlage und ihr genaues Vorgehen im Fusionsprozess der beiden Provinzialen darlegen. Der Finanzminister hat diesbezügliche Informationsdefizite bestritten. Ebenfalls ist letzte Tage zu erfahren gewesen, dass die beiden Vorstandsvorsitzenden der rheinischen und westfälischen Provinzial-Versicherungen inzwischen ihre unterschiedlichen Auffassungen zu Vor- und Nachteilen der verschiedenen Rechtsformoptionen im Falle einer Fusion schriftlich ausgearbeitet und den Entscheidungsgremien zugeleitet haben. Auch die Kenntnis der Kerninhalte dieser Ausführungen ist für den Landtag von großem Interesse für seine weitere Meinungsbildung zum noch laufenden Neuordnungsprozess der öffentlichen Assekuranz in Nordrhein-Westfalen. Da je nach Modellentscheidung neben der großen politischen Dimension der Anwendung der Provinzial-Gesetzgebung des Landtags auch Fragen der Änderung am Staatsvertrag mit dem Land Rheinland-Pfalz betroffen sind, ist eine möglichst vollständige Unterrichtung von allen Umständen für das Parlament von großem Vorteil. Vorbemerkung der Landesregierung Die Fusionsverhandlungen sind Sache der Gewährträger/Eigentümer und nicht der Landesregierung . Die Landesregierung und damit auch der Finanzminister verhandeln nicht und haben auch nicht das Ziel einer Fusion ausgegeben. Die Ministerpräsidentin und ich haben im Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf an ein nicht öffentliches Versicherungsunternehmen auf die Gefahren für ein umfassendes öffentlich-rechtliches Finanzdienstleistungsangebot und für die Standorte und insbesondere die Arbeitsplätze hingewiesen und die Eigentümer aufgefordert, alternative Lösungen zur Zukunftssicherung öffentlich-rechtlicher Versicherungen auszuloten. Das wurde dem Fragesteller schon mehrfach mündlich und schriftlich mitgeteilt. 1. Welches sind jeweils die der Landesregierung bekannten Kernargumente und Befunde in den beiden unterschiedlichen Ausarbeitungen der ProvinzialVorstandsvorsitzenden , die bei einer Entscheidung über eine zukunftsfähige Rechtsformwahl und denkbare Fusion dort dargestellt und begründet werden? Bei den von den Vorständen der Provinzial-Versicherungen im Auftrag der Eigentümer zusammengefassten Argumenten zu den Vorteilen der jeweiligen Rechtsform handelt es sich um vertrauliche Geschäftsunterlagen, die ausschließlich der Verfügungsgewalt der Eigentümer unterliegen und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, da auf interne Verhältnisse der Unternehmen Bezug genommen wird. 2. Welche Rechtsauffassung vertritt die Landesregierung im Einzelnen zur Wirkung der Gewährträgerhaftung für bisherige Verbindlichkeiten der Provinzial sowohl bei einem Fortbestand der heutigen getrennten Rechtsformregelungen als auch alternativ im noch denkbaren Falle einer Fusion beider Gesellschaften zu einer AöR-Holding? Durch Betriebseinbringungs- und Bestandsübertragungsverträge im Jahre 2001 sind sämtliche Rechte und Pflichten aus den Versicherungsverhältnissen der Westfälischen Versicherungsanstalten mit schuldbefreiender Wirkung im Außenverhältnis auf die Westfälische Pro- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4507 4 vinzial Versicherung Aktiengesellschaft und die Westfälische Provinzial Lebensversicherung Aktiengesellschaft übergegangen. Verpflichtungen hieraus unterliegen nicht mehr der Gewährträgerhaftung . Verbindlichkeiten der Provinzial Holding Westfalen AöR, die in der Zeit von 2001 bis 2005 entstanden sind, unterliegen nach wie vor der Gewährträgerhaftung. Bei der Provinzial Rheinland Holding wird das eigentliche Versicherungsgeschäft in den Tochter-Aktiengesellschaften betrieben, für welche eine Gewährträgerhaftung nicht besteht. Für Verbindlichkeiten, die bereits zum Zeitpunkt des Rechtsformwechsels bestanden, bleibt nach Artikel 3 des Staatsvertrages zur Provinzial-Versicherung die Haftung der Gewährträger bestehen. Etwaige Fragen zur Gewährträgerhaftung im Falle einer Fusion oder Kooperation der beiden Provinzial-Holdings werden beantwortet, wenn die Eigentümer bzw. Gewährträger ein Konzept hierzu vorgelegt haben. 3. Aus welchen genauen formalen wie inhaltlichen Gründen ist die Landesregie- rung nicht bereit, dem Parlament die zuvor zitierte Ausarbeitung der Staatskanzlei von I.B.1 ebenfalls transparent zur Verfügung zu stellen, beispielsweise als Anhang zur Antwort auf diese Anfrage? Die Staatskanzlei hat den in der Kleinen Anfrage erwähnten Vermerk zur Vorbereitung eines Informationsaustauschs des Chefs der Staatskanzlei mit den Eigentümern und Gewährträgern der Provinzial Rheinland und der Provinzial NordWest im Mai 2013 erstellt und diesen den Gesprächsteilnehmern auf deren Bitte vertraulich überlassen. Mit Blick auf den noch nicht abgeschlossenen Prozess, den Charakter des Papiers, welches die Willensbildung vorbereiten und begleiten soll, und mit Rücksicht auf die zwischen den Gesprächsteilnehmern vereinbarte Vertraulichkeit, bittet die Landesregierung um Verständnis, dass sie den Vermerk nicht zur Verfügung stellt. 4. Namentlich welcher Rechtsträger ist nach Auffassung der Landesregierung je- weils für die Rheinprovinz und Westfalen in der Zeit zwischen dem 23. August 1946 bis zum Wirksamwerden der neuen Landschaftsverbandsordnung im Jahre 1953 Gewährträger der Anstalten gewesen? In der Zeit vom 23. August 1946 bis zum Wirksamwerden der neuen Landschaftsverbandsordnung im Jahre 1953 waren die Provinzialverbände Rheinland und Westfalen Träger der Rheinischen - und der Westfälischen Provinzial Versicherungsanstalten. Durch die Verordnung Nr. 46, Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen in der Britischen Zone und ihre Neubildung als selbstständige Länder vom 23.08.1946 löste die britische Militärregierung gemäß Artikel I die preußische Provinz Westfalen und die preußische Rheinprovinz auf und sprach ihnen die staatsrechtliche Stellung von Ländern zu. In Artikel IV bestimmte sie, dass „a) die [...] Pflichten, Rechte oder Verantwortlichkeiten der Regierungs -, Verwaltungs- oder anderer Behörden [...] oder b) die Geltung von Gesetzen, Verordnungen , Vorschriften, Anordnungen oder anderen Bestimmungen, die in den Provinzen am Tage des Inkrafttretens dieser Verordnung in Kraft sind und nicht im Gegensatz zu den Bestimmungen dieser Verordnung stehen“ durch die Erhebung der Provinzen zu Ländern nicht berührt werden sollen. Als kommunale Einrichtung existierten die Provinzialverbände daher weiterhin. Somit bestanden die Pflichten und Verantwortlichkeiten des Provinzialverbandes auch gegenüber den Provinzial-Versicherungsanstalten fort. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4507 5 Der Gesetzgeber ging von einem Fortbestand der Provinzialverbände aus, da er erst in der Landschaftsverbandsordnung im Jahre 1953 die Provinzialordnung für die Rheinprovinz vom 1. Juni 1887 (Gesetzsammlung S.249), und für die Provinz Westfalen vom 1. August 1886 (Gesetzsammlung S. 254) in § 32 Nr. 1 und 2 LVerbO außer Kraft setzte. Darüber hinaus bestimmte § 33 Abs. 1 LVerbO, dass Rechte und Pflichten, welche durch Gesetz, Verordnung , Satzung oder Rechtsgeschäft den Provinzialverbänden übertragen sind, mit Inkrafttreten der Landschaftsverbandsordnung Rechte und Pflichten der Landschaftsverbände werden . 5. In welcher Höhe sind seitens der 1953 in die Gewährträgerschaft eingesetzten beiden Landschaftsverbände in diesem Sachzusammenhang Zahlungen oder sonstige Leistungen an das Land erfolgt? Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor (s. auch Antwort zu Frage 4).