LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4568 09.12.2013 Datum des Originals: 09.12.2013/Ausgegeben: 12.12.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1753 vom 7. November 2013 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/4366 Will die Schulministerin Grundschulkinder durch Belohnungen dazu erziehen, dass sie „Fehlverhalten“ ihrer eigenen Eltern in Schulen denunzieren II? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 1753 mit Schreiben vom 9. Dezember 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Beantwortung der Kleinen Anfrage zu dem Projekt „Verkehrszähmer“ hat die Ministerin für Schule und Weiterbildung bedauerlicherweise – und vermutlich versehentlich – die Beantwortung der Fragen zusammengezogen, so dass die Nachfragen zur pädagogischen Bewertung einiger Aspekte des Projekts leider unbeantwortet geblieben sind. In der Folge wird daher darum gebeten, dass die Fragen im Einzelnen inhaltlich beantwortet werden. Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass die selbstständige Bewältigung des Schulwegs für Schülerinnen und Schüler einen wichtigen Bestandteil der Schulwegsicherheit darstellt. Dennoch kann es Situationen geben, in denen Eltern ihre Kinder eben nicht aufgrund von „übertriebene(r) Vorsicht und Bequemlichkeit“ mit dem Auto zur Schule bringen, wie es der Verkehrsminister pauschal abqualifizierte. Letztlich geht es bei diesem Programm weniger um das „Ob“, sondern um das „Wie“ der Ausgestaltung. Das Programm „Verkehrszähmer“, für welches die Ministerin für Schule und Weiterbildung medienwirksam vor Ort sowie im Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung geworben hat, beinhaltet einige pädagogisch fragwürdige Aspekte. Da – aufgrund der Antwort der Landesregierung – offenkundig ein Dissens bezüglich eines möglichen denunziatorischen Charakters besteht, wird auf diesen Aspekt nicht erneut eingegangen. Allerdings sollte die Schulministerin pädagogische Aspekte von Programmen, für die sie öf- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4568 2 fentlich offensiv wirbt, auch begründen können. Die Aussage, wonach es sich bei den begleitenden Materialien um ein „optionales Angebot“ für die Grundschulen handele, reicht an dieser Stelle nicht aus. Pädagogisch wirken einige dieser Maßnahmen, die für das Programm empfohlen werden, geradezu antiquiert. Um eine pädagogische Bewertung der Schulministerin zu dem von ihr beworbenen Programm zu ermöglichen, werden in der Folge nochmals Auszüge aus dem Programm zitiert. Die Kinder erhalten sogenannte Zaubersterne, wenn sie einen oder beide Schulwege zu Fuß zurückgelegt haben. Eine entsprechende Zahl an Zaubersternen hat für die gesamte Klasse Belohnungen zur Folge. Grundsätzlich ist es richtig, dass dann die Kinder alle beteiligt werden , da die Belohnungen ja letztlich von den Elternentscheidungen abhängig sind. Dennoch wird pädagogisch fragwürdig auf Grundschulkinder Druck ausgeübt. So heißt es in einer der beschriebenen Unterrichtsreihen: „Es werden täglich drei Fragen gestellt und die entsprechenden Zaubersterne gezählt. 1) Wer ist gestern mit Sicherheitskragen/-weste zu Fuß nach Hause gegangen und heute Morgen mit Sicherheitskragen/-weste zur Schule gegangen? Die Schüler, die den Rückweg am Vortag und den Hinweg an diesem Tag zu Fuß gegangen sind, stellen sich an ihrem Platz hin. Dabei halten sie ihre Kragen/ Westen hoch und lassen sie zählen (= 2 Zaubersterne pro Kind). Am 1. Tag kann natürlich nur der Hinweg gezählt werden. 2) Wer ist gestern oder heute mit Sicherheitskragen/-weste eine Strecke gegangen? Die Kinder, die nur einen Weg gegangen sind, stellen sich vor die Tafel. Sie halten ihre Kragen /Westen hoch und lassen sie zählen (= 1 Zauberstern pro Kind).3) Wie viele Erwachsene (Mütter/Väter/Großeltern) haben euch zu Fuß begleitet? Die Kinder, die von einem Erwachsenen begleitet wurden, zeigen auf (= 1 Zauberstern). Die Fahrkinder bleiben sitzen (= 0 Zaubersterne pro Kind).“ Schülerinnen und Schüler, die – aufgrund von Elternentscheidungen – zur Schule gefahren wurden, müssen sitzenbleiben und können keinen Beitrag für Belohnungen leisten, an denen sie gleichwohl partizipieren. Gerade bei Grundschulkindern dürfte dieser Aspekt zu großem Druck innerhalb der Schülergruppe führen. Der Charakter des erzwungenen Aufstehens und Sitzenbleibens hat nicht nur einen belohnenden, sondern eben auch einen „bestrafenden“ Charakter. Dass eine grüne Ministerin ein so gestaltetes Programm offensiv bewirbt, deren parlamentarische Mitstreiterin z.B. schon eine schlechte Note gerne als „Beschämen“ von Kindern bezeichnet, verwundert. Vorbemerkung der Landesregierung Die Verkehrsverbund Rhein-Sieg GmbH bietet im Rahmen ihrer Schulberatung verschiedene Unterrichtsmaterialien für Grund- und weiterführende Schulen an. Diese werden von ausgewiesenen Fachleuten aus der Schulpraxis erstellt. Beim Projekt Verkehrszähmer handelt es sich um ein seit 2008 im Raum Baesweiler erprobtes Konzept zur Reduzierung des Autoverkehrs im Umfeld von Schulen. Es bietet verschiedene Bausteine zur Erkundung des Schulweges an, empfiehlt die Bildung von Walking-Bus-Einheiten und regt die Einrichtung von Elternhaltestellen/Ausstiegsstellen an. Die Landesregierung unterstützt diese Zielsetzung. Vergleichbare Konzepte werden auch vom ADAC empfohlen, um das schulische Umfeld sicherer zu gestalten. 1. Warum meint die Ministerin, dass pädagogisch fragwürdige Aspekte des Pro- gramms dadurch weniger fragwürdig werden, indem sie verweist, dass die begleitenden Materialien „optional“ für die Schulen seien? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4568 3 2. Aus welchem Grund findet es die Ministerin für Schule und Weiterbildung für Kinder in einer Klasse empfehlenswert, dass Schülerinnen und Schüler, deren Eltern die Entscheidung getroffen haben, ihr Kind zur Schule zu fahren, sitzenbleiben müssen, während die anderen Kinder, die Belohnungen „erarbeitet“ haben , aufstehen? 3. Wie bewertet die Ministerin für Schule und Weiterbildung möglichen Druck auf Kinder innerhalb einer Klassengemeinschaft, die – weil ihre Eltern eine andere Entscheidung getroffen haben – keine Belohnungen „beitragen“ können? 4. Hält es die Ministerin für möglich, dass Kinder durch die Ausgestaltung des Pro- gramms innerhalb der Klassengemeinschaft unter Druck geraten, da sie aufgrund der Elternentscheidungen keine „Zaubersterne“ beitragen, gleichwohl aber an den Belohnungen partizipieren? 5. Warum werden Kinder, die in dem von der Ministerin offensiv beworbenen Pro- gramm zum Sitzenbleiben gezwungen werden, weil ihre Eltern sie mit dem Auto zur Schule gefahren haben, nicht „beschämt“, während nach wiederholter grüner Rhetorik eine schlechte Note für Kinder angeblich bereits eine „Beschämung“ bedeutet? Die Fragen 1 bis 5 werden im Zusammenhang beantwortet. Auf die Antwort der Landesregierung vom 05.08.2013 (Drs. 16/3724) auf die Kleine Anfrage 1407 vom 05.07.2013 (Drs. 16/3494) wird Bezug genommen. Unterrichtsmaterialien, die von dritter Seite entwickelt und Schulen kostenlos zur Verwendung angeboten werden, können auf Anforderung von interessierten Schulen für schulische Zwecke eingesetzt werden. Hierzu vertraut die Ministerin auf die fachliche und pädagogische Kompetenz der Lehrkräfte, die Materialien oder auch nur Teile daraus so für ihren Unterricht zu nutzen, dass die gewünschten pädagogischen Ziele erreicht werden.