LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4671 19.12.2013 Datum des Originals: 18.12.2013/Ausgegeben: 20.12.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1767 vom 8. November 2013 des Abgeordneten Gregor Golland CDU Drucksache 16/4469 Rechtsfreie „No-Go-Areas“ in NRW? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1767 mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Jüngst musste die Polizei in Aachen einer Gruppe Gewaltbereiter zurückweichen, die die Beamten an der Festnahme eines per Haftbefehl gesuchten 20-jährigen Mannes hinderten. Eine Polizeisprecherin wird in den Aachener Nachrichten vom 26. Oktober 2013 mit den Worten zitiert: „Das sind Situationen, in denen man sich zum Zwecke der Deeskalation lieber erst mal zurückzieht.“ Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Aachen fordert in einer Pressemitteilung schnelles politisches Handeln, um den Schutz von Beamten zu gewährleisten und keine rechtsfreien Räume zuzulassen. Vorbemerkungen der Landesregierung Am 24.10.2013, gegen 19.30 Uhr, wurde eine mit Vollstreckungshaftbefehl der Staatsanwaltschaft Aachen wegen Inverkehrbringens von Falschgeld (Geldstrafe oder ersatzweise Freiheitsstrafe) gesuchte männliche Person durch eine Streifenwagenbesatzung im Aachener Ostviertel im Bereich Elsassstraße wiedererkannt, als sie ein Lokal verließ. Beim Erkennen der aussteigenden Polizeibeamten flüchtete der 21-Jährige, um sich der Festnahme zu entziehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4671 2 Einer der drei Insassen des Streifenwagens versuchte, dem Flüchtigen den Weg mit dem Fahrzeug abzuschneiden, während die beiden übrigen Polizeibeamten die Verfolgung zu Fuß aufnahmen. Im weiteren Verlauf konnte nur noch ein Beamter dem hohen Tempo des Flüchtigen folgen. Der Flüchtige und der Beamte passierten eine etwa 10 bis 15-köpfige Personengruppe , die sich auf dem Bürgersteig befand. Diese Gruppe, die sich offensichtlich mit dem Flüchtigen solidarisierte, begann nun ihrerseits den Beamten zu verfolgen, um augenscheinlich eine Festnahme zu verhindern. Dabei bedrohte die Gruppe den Beamten in massiver Form. Um sich dem Zugriff durch diese Gruppe zu entziehen und Verstärkungskräfte anzufordern, brach der Beamte die Verfolgung ab. Die durch die Dunkelheit auf dem Fluchtweg eingeschränkten Sichtverhältnisse verhinderten eine konkrete Identifizierung der Verfolger mit Ausnahme einer polizeilich bekannten 26-jährigen Person. Nach Eintreffen von 19 weiteren Verstärkungskräften sollte die Fahndung in der Elsassstraße fortgesetzt werden, da die Vermutung bestand, dass der mit Haftbefehl Gesuchte dorthin zurückgekehrt sein könnte. Da sich zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Fernsehübertragung von Fußballspielen eine große Anzahl von Personen in ansässigen Lokalen aufhielt, strömten bei Gewahrwerden der Situation in kürzester Zeit etwa 50-60 Personen auf die Straße. In der Gruppe befand sich der 26-Jährige aus der Verfolgergruppe, dessen Personalien der Polizei hinlänglich bekannt waren. Die Gruppe beleidigte und provozierte die eingesetzten Beamten und forderte diese auf „zu verschwinden“. Konkrete Drohungen oder Gewaltanwendungen erfolgten nicht. Da sich der Flüchtige erkennbar nicht in der Personengruppe aufhielt und um eine Eskalation der Situation unter Berücksichtigung potenzieller Gefahren für Unbeteiligte zu verhindern, verzichteten die eingesetzten Beamten aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf weitergehende Maßnahmen. Der Einsatz wird umfassend nachbereitet. Dabei wird auch die Thematik des Heranführens weiterer vorhandener Unterstützungskräfte Gegenstand der Befassung sein. Ein Ermittlungsverfahren u. a. wegen Landfriedensbruchs wurde gegen den 26-Jährigen und seine unbekannten Begleiter eingeleitet. Seit diesem Vorfall werden mehrmals wöchentlich - zumeist unter Beteiligung von Kräften der Bereitschaftspolizei - Präsenz- und Kontrollmaßnahmen im Ostviertel durchgeführt. Im Zeitraum 29.10.2013 bis zum 26.11.2013 wurden dabei unter anderem folgende Maßnahmen getroffen: Maßnahmen Anzahl Überprüfte Personen 789 Festnahmen (u. a. wegen Illegalen Aufenthaltes) 32 Ingewahrsamnahmen 3 Strafanzeigen (wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz) 63 Ordnungswidrigkeitenanzeigen 46 Sichergestellte Betäubungsmittel über 800 Gramm Es ist beabsichtigt, diese Maßnahmen bis mindestens Mitte Dezember mit starkem Kräfteansatz durchzuführen, bevor eine neue Lagebewertung erfolgt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4671 3 Darüber hinaus hat das Polizeipräsidium Aachen mit dem Ordnungsamt der Stadt Aachen konkrete Absprachen über verstärkte gemeinsame Überprüfungen der diversen Lokalitäten in ordnungs-, gaststätten-, gewerbe- und jugendschutzrechtlicher Sicht im Ostviertel vorgenommen . Das Polizeipräsidium Aachen hat ferner Gespräche mit der Staatsanwaltschaft als auch dem Amtsgericht Aachen aufgenommen, um die Justizbehörden hinsichtlich der aktuellen Sachund Sicherheitslage nochmals zu sensibilisieren. Ziel ist es dabei, eine konsequente Fortsetzung der durch das Ordnungsamt und die Polizei getroffenen Maßnahmen im justiziellen Zuständigkeitsbereich zu fördern. Die angeordnete Geldstrafe des flüchtigen 21-Jährigen wurde im Übrigen zwischenzeitlich eingezahlt. Der Haftbefehl ist somit erledigt. 1. Welchem Milieu bzw. welchen ethnischen Gruppierungen lassen sich die gewalt- bereiten 50-60 Personen zuordnen? Die Gruppe bestand nach derzeitigem Erkenntnisstand vornehmlich aus Personen mit Migrationshintergrund . 2. Wie ist eine derartige Mobilisierung gegen die Polizei in so kurzer Zeit möglich? Siehe Vorbemerkungen. 3. Gibt es in NRW sogenannte rechtsfreie „No-Go-Areas“, in denen die Polizei machtlos ist? Nein. 4. Wie kann und soll die Polizei bei offensichtlicher Überzahl gewaltbereiter Perso- nen die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht halten? Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen verfolgt seit vielen Jahren einen ganzheitlichen Ansatz bei Einsatzlagen. Gezielte Kommunikation und Deeskalation auf der einen Seite sowie konsequentes Einschreiten gegen erkannte Straftäter auf der anderen Seite sind die wesentlichen Bausteine der nordrhein-westfälischen Linie. Nordrhein-westfälische Polizeibeamtinnen und -beamte werden mit der Zielrichtung aus- und fortgebildet, bei gewalttätigen Aktionen besonnen, verhältnismäßig und konsequent zu reagieren, auch wenn eine zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber potenziellen Störern/Straftätern besteht. Bei eklatanter Überzahl gewaltbereiter Personen kann es jedoch im Ausnahmefall taktisch geboten sein, dass Einsatzkräfte von unmittelbaren Einsatzmaßnahmen kurzzeitig absehen, wenn alternativ nur ein unverhältnismäßiges oder mit unvorhersehbaren Risiken verbundenes Einschreiten die Folge wäre. In einem solchen Fall ist jedoch die Einsatzsituation grundsätzlich statisch zu halten, es sind unverzüglich Verstärkungskräfte heranzuführen und im Anschluss die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4671 4 5. Wird die Landesregierung sich auf Bundesebene für eine Verschärfung des Strafgesetzbuches mit dem Ziel einsetzen, dass Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter im Einsatz künftig stärker strafrechtlich geschützt werden? Nein. Die Landesregierung hält die geltenden Regelungen des Strafgesetzbuchs unter Berücksichtigung der durch das am 05.11.2011 in Kraft getretene 44. Strafrechtsänderungsgesetz vom 01.11.2011 (BGBl. I 2130) erfolgten Neufassung der §§ 113, 114 und 305a StGB für ausreichend.