LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4715 02.01.2014 Datum des Originals: 02.01.2014/Ausgegeben: 07.01.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1787 vom 28. November 2013 des Abgeordneten Robert Stein fraktionslos Drucksache 16/4514 Gehäufte Krebsrate im Gebiet des THTR 300 Hamm-Uentrop nur Zufall? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1787 mit Schreiben vom 2. Januar 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Gemäß aktueller Presseartikel (z.B. http://www.wa.de/lokales/hamm/stadt-hamm/haeufungschilddruesen -krebs-hamm-3243641.html) ist die Rate von Schilddrüsenkrebs bei Frauen, im Einzugsgebiet des ehemaligen Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) um 64 % erhöht. Dahingegen sei keine statistische Erhöhung von Krebsraten in Hamm, Ahlen, Beckum, Lippetal und Welver festzustellen. Umweltminister Remmel besitzt derzeit keine Erklärung für die signifikante Häufung von Schilddrüsenkrebs in Hamm-Uentrop, geht aber gemäß dem erwähnten Presseartikel davon aus, dass die erhöhte Anzahl von Krebsdiagnosen auf eine bessere Vorsorge sowie bessere medizinische Geräte zurückzuführen sei. Dies wirft Fragen auf. Vorbemerkung der Landesregierung Für die Auswertung der Krebsneuerkrankungszahlen für die Jahre 2008 bis 2010 wurden die rings um das Reaktorgelände liegenden Gemeinden Hamm, Lippetal, Ahlen, Beckum und Welver zu einem Untersuchungsgebiet zusammengefasst. Die Auswertung hinsichtlich unterschiedlicher Tumorarten wurde jeweils nur für das gesamte Untersuchungsgebiet vorgenommen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4715 2 1. Finden bei den Einwohnern in Hamm-Uentrop häufigere Vorsorgeuntersuchungen statt als bei den Einwohnern aus Hamm (restliches Stadtgebiet), Ahlen, Beckum, Lippetal und Welver? Ein generelles Screening der Schilddrüse als Früherkennungsuntersuchung gibt es in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht. Entsprechende Untersuchungen werden im Rahmen der GKV nur bei begründetem Verdacht durchgeführt. Denkbar wäre, dass wegen der besonderen Situation vor Ort überdurchschnittlich viele Untersuchungen der Schilddrüse durchgeführt wurden. Da die ambulanten Abrechnungsdaten personenbezogen maximal 4 Jahre aufbewahrt werden dürfen (vgl. § 304 Abs. 2 SGB V), ist es nicht möglich, dies für den beobachteten Zeitraum 2008 – 2010 zu überprüfen. 2. Werden in den Arztpraxen in Hamm-Uentrop bessere bzw. modernere medizini- sche Geräte zur Untersuchung auf Schilddrüsenkrebs eingesetzt als in Hamm (restliches Stadtgebiet), Ahlen, Beckum, Lippetal und Welver? Die Aussage zur Qualität der technischen Geräte bezieht sich nicht auf eine bessere Ausstattung in den Praxen in Hamm-Uentrop, sondern auf die insgesamt in den letzten Jahren verbesserten diagnostischen Möglichkeiten. Die Beschaffung medizinischer Geräte obliegt im Übrigen den praktizierenden Ärztinnen und Ärzten im Rahmen ihrer Praxisführung. Über die Ausstattung einzelner Praxen liegen der Landesregierung daher keine Erkenntnisse vor. 3. Basiert die Häufung von Schilddrüsenkrebs in Hamm-Uentrop möglicherweise auf einem statistischen Zufall? Die Häufung von Schilddrüsenkrebs wurde für das gesamte Untersuchungsgebiet (s. Vorbemerkung ), nicht für Hamm-Uentrop alleine ermittelt. Bei den Analysen der Krebserkrankungszahlen durch das Krebsregister NRW wurde ein 99 % - Konfidenzintervall (Vertrauensintervall) verwendet. Dies ist ein Maß für die Genauigkeit der ermittelten Rate, also für das Verhältnis der beobachteten zu den erwarteten Erkrankungszahlen . „99 % - Konfidenzintervall“ bedeutet, dass die ermittelte Rate mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit nicht zufällig zustande kommt. 4. Wie hoch ist die radioaktive Belastung im Zeitverlauf der letzten 10 Jahre in Hamm-Uentrop im Vergleich zu Hamm (restliches Stadtgebiet), Ahlen, Beckum, Lippetal und Welver? Die Fortluft des THTR 300 wird hinsichtlich langlebiger radioaktiver Aerosole (Halbwertszeiten > 8 Tage) und der Radionuklide Tritium (H-3) sowie Radiokohlenstoff (C-14) am Reaktorkamin kontinuierlich gemessen. Für den Zeitraum der letzten 10 Jahre (2003 bis 2012) gab es für die langlebigen Aerosole und für C-14 keine nachweisbaren Emissionen. Für H-3 ist eine kontinuierliche Abnahme der Emissionen von 2,21x108 Bq pro Jahr auf 0,56x108 Bq pro Jahr festzustellen (Bq - Becquerel). Der atomrechtlich genehmigte Jahresgrenzwert für die Abgabe von H-3 von 8,1x1011 Bq wurde demnach um mehr als das Tausendfache unterschritten . Für die Umgebung der sicher eingeschlossenen Anlage THTR 300 erfolgte gemäß der „Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechnischer Anlagen (REI)“ die Überwachung der Umweltbreiche Luft, Boden, Pflanzen und Grundwasser. Für den Bereich LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4715 3 Luft erfolgen Messungen in einer Entfernung von bis zu ca. 500 m vom THTR 300, für Boden und Pflanzen an 2 Standorten in einer Entfernung von ca. 350 m und ca. 15 km Entfernung (Messpunkt des Kraftwerkes Gersteinwerk). Die Überwachung des Grundwassers erfolgt am Standort des THTR 300 an insgesamt 4 Messstellen. Die für den Bereich Luft / Äußere Strahlung gemessene Gamma-Ortsdosisleistung betrug 85 bis 102 nSv/h, die Gamma-Ortsdosis 0,55 bis 0,68 mSv pro Jahr (Sv – Sievert). Abweichungen vom normalen Strahlenpegel liegen nicht vor. Für die Bereiche Boden und Pflanzen erfolgten Bestimmungen zu den Radionukliden Co-60, Cs-134 und Cs-137. Die Radionuklide Co-60 und Cs-134 befanden sich in den vergangen 10 Jahren unterhalb der analytischen Nachweisgrenze. Für das Radionuklid Cs-137 wurden im Boden Ergebnisse im Bereich 6,2 bis 49 Bq/kg und für Pflanzen 0,35 bis 7,6 Bq/kg bezogen auf die Trockenmasse an Aktivität festgestellt. Diese Werte entsprechen der ubiquitären Verteilung des Radionuklids in der Umwelt, welche durch Kernwaffenversuche und durch den Reaktorunfall in Tschernobyl verursacht wurden. Für den Umweltbereich Grundwasser ergaben die Untersuchungen zu Einzelradionukliden mittels Gammaspektrometrie und zur H-3-Aktivitätskonzentration keine analytisch nachweisbaren Radionuklide. 5. In welcher Regelmäßigkeit wird die radioaktive Belastung in Hamm-Uentrop, Hamm (restliches Stadtgebiet), Ahlen, Beckum, Lippetal und Welver gemessen? Die Fortluft des THTR 300 und die Luft / äußere Strahlung werden kontinuierlich überwacht (siehe Antwort zu Frage 4). In jährlichen Berichten erfolgt die Ausweisung der monatlichen Abgabewerte und der Summenjahreswerte. Für die Umweltbereiche Boden, Pflanzen und Grundwasser erfolgt die Untersuchung an zwei Stichproben pro Jahr. .Als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verabschiedete die damalige Bundesregierung noch im Jahr 1986 das Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG). Darauf basierend wurde für Deutschland ein engmaschiges System zur Überwachung der Umweltradioaktivität eingerichtet. Im Rahmen der Überwachung der Umweltradioaktivität nach dem StrVG in Bundesauftragsverwaltung wurden im Zeitraum 2003 bis 2013 in Ahlen 11 Bodenproben und 7 Grünfutterproben, in Beckum 1x Grünfutter und 3 Proben von erntereifen Produkten , in Hamm und Lippetal insgesamt 15 Futtermittelproben, 167 Obst- und Gemüseproben , 197 Fleischproben und 31 Milchproben untersucht. Zudem werden im Rahmen der Umweltradioaktivitätsüberwachung in Ahlen und Lippetal in größeren, aber regelmäßigen Abständen (ca. alle drei Jahre) sogenannte in situ-Messungen der Bodenstrahlung mit einem Messfahrzeug durchgeführt. Alle Untersuchungen in dieser Region weisen keine Auffälligkeiten auf. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) betreibt im Rahmen der Umweltradioaktivitätsüberwachung in Ahlen und Lippetal ODL-Messstationen. Das sind feste Einrichtungen zur Messung der Ortsdosisleistung. Bis vor wenigen Jahren waren auch in Beckum und Hamm-Berge ODL-Messstationen in Betrieb. Auch hier sind keine Auffälligkeiten bekannt. Die Daten der ODL-Messungen sind im Internet auf der Seite des BfS zeitnah abrufbar.