LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4733 07.01.2014 Datum des Originals: 07.01.2014/Ausgegeben: 10.01.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1788 vom 26. November 2013 der Abgeordneten Marc Olejak und Birgit Rydlewski PIRATEN Drucksache 16/4515 Situation von Sexarbeiter*innen Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 1788 mit Schreiben vom 7. Januar 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Justizminister, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, dem Minister für Inneres und Kommunales, der Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Köln ist im Oktober dieses Jahres der „Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen“ gegründet worden. Schätzungen zufolge gehen allein im Land NRW 37.000 Menschen einem Beruf im Bereich der Prostitution nach. Bereits in 2011 fand – ausgelöst durch das autobiographische Buch einer Studentin, die sich ihr Studium durch Prostitution finanzierte – eine gesellschaftliche Debatte über Student*innen statt, die als Sexarbeiter*innen tätig sind. Im Rahmen dieser Debatte führte das Studienkolleg zu Berlin eine Studie mit dem Titel „Nebenjob: Prostitution“ durch, in der insgesamt rund 3600 Student*innen in Berlin, Paris und Kiew nach ihrer Einstellung zur Prostitution befragt wurden, wobei der Schwerpunkt der Studie mit 3200 befragten Personen in Berlin lag. Als größter Motivationsfaktor für eine Arbeitsaufnahme im Bereich der Prostitution wurde dabei meist ein höherer Stundenlohn als in anderen Bereichen genannt, weil trotz der Abschaffung der Studiengebühren weiterhin viele Studierende in Armut leben oder von Armut bedroht sind. Ausweislich der genannten Studie gehen allerdings mit der Arbeit im Sexgewerbe häufig psychische Belastungen einher, etwa durch Beziehungsprobleme, Angst vor Stigmatisierung und Selbstabwertung. Trotz der Bestrebungen des Prostitutionsgesetzes erschweren weiterhin viele Regelungen auf Landes- und Kommunalebene die Arbeit im Sexgewerbe. In konservativen Regionen sind Sexarbeiter*innen Schikanen durch Behörden ausgesetzt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4733 2 1. Wie groß ist der Anteil von Studierenden an der Gesamtzahl von Sexarbeiter*innen in NRW? Zur Anzahl der in NRW in der Sexarbeit tätigen Personen gibt es keine validen Daten. So liegt die in der Kleinen Anfrage für NRW genannte Zahl über der Obergrenze einer Schätzformel, die Einrichtungen nutzen, die mit weiblichen Prostituierten in Berührung kommen. Diese Schätzung geht davon aus, dass, je nachdem, ob es sich um Ballungsgebiete oder ländliche Bereiche handelt, auf 500 bis 1000 Einwohnerinnen und Einwohner eine Sexarbeiterin kommt. In Bezug auf den Anteil von Studierenden liegen keine Erkenntnisse vor. Insbesondere ist die Art der Erwerbstätigkeit von Studierenden nicht Teil der amtlichen Statistik. 2. Welche Veränderungen der Sexwirtschaft haben sich durch die Umsetzung des ProstG in NRW ergeben? Mit dem Prostitutionsgesetz wollte der Gesetzgeber nicht den Markt der Prostitution regeln, sondern vor allem die rechtliche und soziale Stellung der Prostituierten verbessern. Wesentlicher Ansatz war hierbei die Abschaffung der Sittenwidrigkeit von Vereinbarungen über sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt im Zivilrecht. Auch sollte es durch die Aufhebung des Straftatbestandes „Förderung der Prostitution“ (§ 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) ermöglicht werden, beispielsweise in Bordellen und bordellähnlichen Betrieben bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, die insbesondere weniger gesundheitsgefährdend sind. Darüber hinaus kann die Prostitution nunmehr auch rechtssicher im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werden. Welche konkreten Auswirkungen diese gesetzlichen Änderungen auf die unterschiedlichen Formen der Vermarktung sexueller Dienstleistungen haben, ist empirisch bisher nicht festgestellt worden. Die weitere Regelungsbedürftigkeit der Prostitution ist gleichwohl spätestens seit der Evaluation des Gesetzes im Jahr 2007 deutlich geworden. Neue, auf maximalen Profit ausgerichtete Betriebskonzepte sowie die Öffnung der EU nach Südosteuropa haben die Situation in der Prostitution zusätzlich verschärft. 3. Welche Gesetze und Verordnungen haben in NRW Einfluss auf das Sexgewerbe? Die Erscheinungsformen der Prostitution sind vielfältig, dementsprechend zahlreich sind die Gesetze, die in NRW und bundesweit einzelne Aspekte sexueller Dienstleistungen berühren. Neben dem Prostitutionsgesetz sind hier beispielsweise zu nennen das Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, das Sozialgesetzbuch, die Gewerbeordnung, die Baunutzungsverordnung, das Infektionsschutzgesetz, das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, das Gaststättengesetz oder Steuergesetze (z.B. Einkommensteuergesetz, Kommunalabgabengesetz in Verbindung mit kommunaler Steuersatzung). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4733 3 4. Wird die Landesregierung in Ergänzung zum Prostitutionsgesetz weitere Gesetze oder Verordnungen zur Regulation von Sexarbeit initiieren? Nein, da die Regulierung der Prostitution bundeseinheitlich erfolgen muss. Der Bundesrat hat die Bundesregierung - mit den Stimmen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen - bereits Anfang 2011 aufgefordert, konkrete gesetzliche Regelungen für den Prostitutionsbereich vorzunehmen (BRDrs. 314/10). Das vom Bundestag im Juni 2013 verabschiedete „Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten“ wurde allerdings von der Landesregierung und dem Bundesrat abgelehnt, weil es nicht geeignet war, das Ziel, die Situation und den Schutz der Prostituierten zu verbessern, zu erreichen (BRDrs. 641/13). 5. Welche Maßnahmen sieht die Landesregierung zur Entstigmatisierung von Sexarbeit vor? Die Landesregierung hat im Dezember 2010 beschlossen, einen Runden Tisch Prostitution einzurichten, um in Nordrhein-Westfalen zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von weiblichen und männlichen Prostituierten zu kommen. Dieser hat im Januar 2011 seine Arbeit aufgenommen. Zusammensetzung und Arbeitsweise des Runden Tisches gewährleisten, dass erstmals auf Ebene des Landes alle wichtige Akteurinnen und Akteure eingebunden werden. Prostituierte sind gleichberechtigte Mitglieder des Runden Tisches, bei Bedarf werden weitere Sachverständige aus Wissenschaft und Praxis hinzugezogen. Um einen umfassenden Blick auf die unterschiedlichen Formen und Begleiterscheinungen der Prostitution zu erhalten, findet hier in bundesweit einmaliger Form ein Dialog auf Augenhöhe statt, der die Kompetenz, das Erfahrungswissen und die Wünsche der Menschen in der Sexarbeit zur Geltung bringt. Nähere Informationen zum Runden Tisch sind zu finden unter http://www.mgepa.nrw.de/emanzipation/frauen/frau_und_beruf/runder_tisch_prostitution/inde x.php. Nach Abschluss dieses partizipativen Prozesses ist es beabsichtigt, dem Kabinett konkrete Handlungsempfehlungen vorzulegen.