LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/475 01.08.2012 Datum des Originals: 01.08.2012/Ausgegeben: 06.08.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 100 vom 9. Juli 2012 der Abgeordneten Christina Schulze Föcking, Bernd Krückel und Dr. Gerd Hachen CDU Drucksache 16/184 Schäden durch Saatkrähen Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 100 mit Schreiben vom 1. August 2012 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aus dem Kreis Heinsberg und den angrenzenden Regionen häufen sich Klagen über Schäden durch große Populationen von Saatkrähen. Schätzungen gehen von 7.000 Brutpaaren im Rheinland aus. Laut unterer Landschaftsbehörde Heinsberg leben rund 25 - 30 Prozent davon im Kreis Heinsberg. Die Population der Saatkrähen, die 1979 durch die EU-Vogelschutzrichtlinie unter Artenschutz gestellt wurde, hat sich seitdem insgesamt stark erholt. Natürliche Feinde, wie Uhu und Habicht, sind kaum vorhanden und können diese Population nicht reduzieren. Die Krähen verursachen durch das Ausgraben von frisch eingesäten Getreidekörnern und bis zum Abschluss des Keimstadiums, dies kann bei Wintergetreide mehrere Monate dauern , erheblichen Schaden. Häufig müssen die betroffenen Landwirte Teile der Aussaat erneut ausbringen, was im Herbst in einem recht engen Aussaatzeitfenster nur möglich ist. Aber auch diese Saaten werden häufig von den Saatkrähen aufgefressen. Optische und akustische Vergrämungsmittel sind nach kurzer Zeit wirkungslos und auf größeren Flächen nicht durchführbar. Einen Schadensausgleich für die betroffenen Landwirte erfolgt nicht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/475 2 Die Provinz Limburg in den Niederlanden hat zwischenzeitlich reagiert und eine bis 2015 gültige Befreiung von den FFH-Richtlinien ausgesprochen. Damit ist nun eine effektive Zurückführung des Bestandes von Saatkrähen auf niederländischem Gebiete möglich. Krähen gehören zu den Vögeln mit der größten Intelligenz. Deshalb lassen sich die Vögel vermehrt auf der sicheren deutschen Seite nieder. Vorbemerkung der Landesregierung Die Saatkrähe kommt in NRW vor allem im Niederrheinischen Tiefland vor. Nachdem die Brutbestände bis in die 1970er Jahre in NRW infolge Bejagung und Verfolgung stark abgenommen haben, ist durch Schutzmaßnahmen die Anzahl der Brutpaar und der Kolonien landesweit wieder angestiegen. So wurden im Landesteil Rheinland im Jahre 2011 wieder 7.033 Brutpaare gezählt, die sich auf 144 Kolonien verteilen. Seit dem Jahr 1999 pendelt die Anzahl der Brutpaare zwischen rd. 5.700 und 6.700 (2009), wobei im Jahr 2010 mit 7.285 Brutpaaren der bisherige Höchststand zu verzeichnen war. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Fraßschäden durch Saatkrähen, vor allem im Kreis Heinsberg? Im gesamten Kreis Heinsberg haben im Jahre 2011 in 18 Kolonien 1.733 Paare (rund 25% des Brutbestandes im Landesteil Nordrhein) gebrütet. Dabei wird aufgrund der Aktionsradien der Saatkrähen in drei unterschiedlich große, lokale Populationen unterschieden: 1. Selfkant – westlicher Teil des Kreises mit 137 Brutpaaren im Jahr 2011 2. Rurniederung – vorwiegend im Stadtgebiet Heinsberg mit 1.556 Brutpaaren in 2011 3. Geilenkirchen – Immendorf und Waurichen – südliches Kreisgebiet mit 77 Brutpaaren in 2011. Nach Mitteilung des Kreises Heinsberg lag die Zahl der im Rurtal erfassten Brutpaare im Jahr 2003 noch bei 590 und steigerte sich bis zum Jahre 2011 auf 1.556. Dies zeigt eine deutlich ansteigende Tendenz der Saatkrähenpopulation in diesem Raum. Die Saatkrähenkolonien sind überwiegend an alte Pappelbestände in Form von Pappelreihen und kleineren Forsten der Niederungsgebiete gebunden. Diese Bestände grenzen in kleinräumigem Wechsel unmittelbar an landwirtschaftliche Grünland- und Ackerflächen. Besonders in milden Wintern, wenn die Aussaat nicht am Boden festfriert oder von Schnee überdeckt wird, treten Schäden durch das Auspicken des gekeimten Saatgutes auf. Schäden entstehen vor allem bei einer Pflanzengröße von 10-15 cm im November/Dezember bzw. im April. Nach Mitteilung des Kreises Heinsberg haben im vergangenen Jahr einzelne betroffene Landwirte der Unteren Landschaftsbehörde Schäden an Winter- und Sommerweizen durch Saatkrähen angezeigt. So haben im vergangenen Winter 5 Landwirte Schäden über jeweils 3-5 ha Getreidefläche angezeigt. Die Schadenshöhe wurde von den Landwirten mit 900 € je ha angegeben. Durch Ortsbesichtigungen und Fotos konnte vom Kreis Heinsberg nachvollzogen werden, dass 40-50% des Saatgutes bei den betroffenen Flächen geschädigt war. Der Kreis weist jedoch darauf hin, dass eine konkrete Schadenshöhe, bezogen auf den jeweils betroffenen Betrieb, nur durch einen landwirtschaftlichen Sachverständigen oder ggf. die zuständige Stelle der Landwirtschaftskammer NRW ermittelt werden kann. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/475 3 2. Warum macht die Landesregierung nicht von einer vergleichbaren Möglichkeit der effektiven Zurückführung des Bestandes von Saatkrähen Gebrauch wie die Regierung der Provinz Limburg? Der Landesregierung liegen keine offiziellen Informationen über eine Abschussregelung der Provinz Limburg und einer damit verbundenen „effektiven Rückführung“ der Saatkrähenbestände vor. Soweit bekannt, hat die Provinz Limburg eine generelle Ausnahme zum Abschuss von Saatkrähen erteilt. Die Ausnahmegenehmigung gilt nur für einen Abschuss außerhalb eines Umkreises von mindestens 500m um eine Saatkrähenkolonie und auch nur außerhalb der Fortpflanzungszeit . Des Weiteren ist die Ausnahme daran geknüpft, dass bei ernsthaften Schäden bereits vorher präventive Maßnahmen der optischen und akustischen Vergrämung getroffen wurden. Seitens der Landesregierung wird kein Bedarf für eine landesweite Regelung zum Abschuss von Saatkrähen gesehen. 3. Warum macht die Landesregierung nicht von dem Ausnahmetatbestand des § 45 Abs. 8 des Bundesnaturschutzgesetzes Gebrauch, der ausdrücklich Ausnahmen vom artenschutzrechtlichen Verbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG vorsieht? Saatkrähen unterliegen im Gegensatz zu den Rabenvogelarten Rabenkrähe, Elster und Eichelhäher dem Naturschutzrecht und sind daher „besonders geschützt“ (§ 7 Absatz 2 Nummer 13 BNatSchG). Die Schutznotwendigkeit ergibt sich aus § 44 BNatSchG. Danach ist es verboten, Tiere der besonders geschützten Arten zu fangen, zu verletzen oder zu töten. Darüber hinaus gilt auch das Verbot, die europäischen Vogelarten während ihrer Fortpflanzungs -, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören. Eine Ausnahme ist nicht vorgesehen bzw. kann nur im Einzelfall zugelassen werden, u. a. zur Abwendung erheblicher landwirtschaftlicher Schäden oder im Interesse der Gesundheit des Menschen. Voraussetzung ist allerdings, dass keine zumutbaren Alternativen gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert (§ 45 Abs. 7 BNatSchG). Für die Prüfung und Erteilung einer solchen artenschutzrechtlichen Ausnahme ist die Kreisverwaltung Heinsberg als untere Landschaftsbehörde zuständig. Aus Sicht der Landesregierung bestehen ausreichend Möglichkeiten, mit Vergrämungsmaßnahmen (Einsatz von Vogelscheuchen und Schreckschussanlagen, Begleiteffekte infolge der zulässigen Bejagung von Rabenkrähen außerhalb der Fortpflanzungszeit) evtl. Fraßschäden durch Saatkrähen zu minimieren. 4. Wenn eine effektive Bekämpfung der Saatkrähen oder das Beizen des Saatgutes aus der Sicht der Landesregierung nicht möglich ist, warum werden den Betroffenen nicht nach § 68 BNatSchG Entschädigungen gewährt? Eine Entschädigung ist nach § 68 Abs. 1 BNatSchG dann zu leisten, wenn Beschränkungen des Eigentums auf Grund der dort genannten Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen, der nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere durch die Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung, abgeholfen werden kann. Ein finanzieller Ausgleich für Schäden, die trotz der Anwendung zulässiger Vergrämungsmaßnahmen durch Saatkrähen verursacht werden, kommt lediglich in Ausnahmefällen in Betracht. Aus der Sozialbindung des Eigentums heraus besteht eine grundsätzliche Pflicht, besonders geschützte Vögel und deren Auswirkungen auf privates Eigentum zu dulden. Diese Pflicht, besonders und streng geschützte Vögel und deren Auswirkungen auf privates Eigentum zu dulden, stellt in aller Regel eine im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/475 4 liegende Verpflichtung und deshalb hinzunehmende mittelbare Eigentumsschranke i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar (OVG Bautzen, Urt. v. 28.5.2009, I B 700/06 mit Verweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG, Urt. v. 24.6.1993, NJW 1993, 236). In den Fällen jedoch, in denen die wirtschaftliche Nutzbarkeit eines Grundstücks trotz zulässiger Vergrämungsmaßnahmen unverhältnismäßig beeinträchtigt wird, kann im Einzelfall eine Entschädigungsleistung nach § 68 Abs. 1 BNatSchG zum Tragen kommen. Die Beschränkungen in Bezug auf das wirtschaftliche Ergebnis des betroffenen Betriebes müssen zu einer nicht mehr hinnehmbaren Belastung führen. Dabei ist darauf abzustellen, wie hoch die wirtschaftliche Einbuße im Hinblick auf das Gesamtbetriebsergebnis ist. Nicht jede Schmälerung des nutzungsrechtlichen Status Quo schränkt die Privatnützigkeit in unzumutbarer Weise ein. 5. Wie steht die Landesregierung zur Anwendung von Beizmitteln von Saatgut, um den Verzehr durch Saatkrähen zu verhindern? Derzeit ist in Deutschland nur ein Saatgutbeizmittel gegen Vogelfraß (einschl. Krähen) zugelassen (Mesurol flüssig, Wirkstoff Methiocarb). Die Zulassung beschränkt sich auf den Einsatz in Mais und ist streng reglementiert (Verordnung des BMELV über das Inverkehrbringen und die Aussaat von mit bestimmten Pflanzenschutzmitteln behandeltem Maissaatgut - MaisPflSchM), um eine mögliche Bienengefährdung auszuschließen. Da die wissenschaftliche Bewertung insektizider Beizen hinsichtlich Staubabrieb und Guttation noch nicht abgeschlossen ist, hält die Landesregierung, mit Blick auf den Bienenschutz, eine Zulassungserweiterung für Methiocarb in Getreide zur Vogelabwehr derzeit für nicht vertretbar.