LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4791 17.01.2014 Datum des Originals: 17.01.2014/Ausgegeben: 22.01.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1815 vom 10. Dezember 2013 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/4612 Kommunalkredite und Tariftreuerecht – was sagt die Landesregierung? Der Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat die Kleine Anfrage 1815 mit Schreiben vom 17. Januar 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Kommunalfinanzen in Nordrhein-Westfalen befinden sich seit Jahren in desolatem Zustand . Allein in den Kernhaushalten der kommunalen Familie summieren sich die Verbindlichkeiten auf über 50 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte davon sind sogenannte Liquiditätskredite , die mit privaten Dispokrediten vergleichbar sind und in der Regel kurze Laufzeiten aufweisen. Zwar stellt der Schuldenabbau vor diesem Hintergrund eine der wichtigsten und vordringlichsten Aufgaben dar. Realistisch wird dieser jedoch nur langfristig und in überschaubaren Schritten gelingen. Für die Aufrechterhaltung der kommunalen Handlungsfähigkeit wird der bürokratie- und transaktionskostenarme Zugang zu Darlehen in Verbindung mit einem effizienten Kreditmanagement daher weiterhin von essenzieller Bedeutung sein. Analog gilt dies auch für übergeordnete staatliche Ebenen wie das hochverschuldete Land Nordrhein-Westfalen oder den Bund, die ebenfalls auf den unkomplizierten Zugang zu Finanzdienstleistungen angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar und sinnvoll, dass die Europäische Union Finanzdienstleistungen für öffentliche Auftraggeber explizit vom Vergaberecht freistellt. In Artikel 16d der Richtlinie 2004/18/EG heißt es hierzu: „Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf öffentliche Dienstleistungsaufträge, die Folgendes zum Gegenstand haben […] Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausga- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4791 2 be, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten , insbesondere Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen, sowie Dienstleistungen der Zentralbanken.“ Obwohl die EU-Kommission im Zuge der Weiterentwicklung des europäischen Vergaberechts immer wieder versucht, diese Ausnahme zu beseitigen, sieht sie sich regelmäßig mit der Tatsache konfrontiert, dass es sich hierbei um eine Angelegenheit sui generis handelt. Müsste man in dem vertrauensbasierten Geschäft der Kreditvergabe an die öffentliche Hand von der bewährten Praxis freihändiger Vergabe- und Auktionsverfahren abweichen, würde es zu hochproblematischen Verfahrensverzögerungen und letztendlich zu einer Kreditverteuerung kommen, ohne einen Mehrwert zu erhalten. Zu Recht wurde daher auch der jüngste Vorstoß der EU-Kommission, eine Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung von Kommunalkrediten herbeizuführen, vom Europäischen Parlament gestoppt. Auch im Bundesrecht finden sich Finanzdienstleistungen für öffentliche Auftraggeber vom Vergaberecht ausgenommen. In § 100a Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) heißt es hierzu: „Dieser Teil gilt nicht für die Vergabe von Aufträgen, die Folgendes zum Gegenstand haben […] finanzielle Dienstleistungen im Zusammenhang mit Ausgabe, Verkauf, Ankauf oder Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten, insbesondere Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der Auftraggeber dienen, sowie Dienstleistungen der Zentralbanken.“ Einzig die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen scheint mit Blick auf ihr Tariftreue - und Vergabegesetz (TVgG) in dieser Sache eine andere Auffassung zu vertreten. Laut FAQ-Liste im Internet-Vergabeportal der Landesregierung (http://www.vergabe.nrw.de/wirtschaft/faq/index.html#k538317; Stand: 11.11.2013) heißt es auf die Frage, ob das TVgG auch für öffentliche Auftraggeber gilt, die von der Anwendung des Kartellvergaberechts nach den §§ 100-100c GWB befreit sind: „Das TVgG – NRW orientiert sich nach § 2 Abs.4 TVgG – NRW allein an der Definition des öffentlichen Auftraggebers nach § 98 GWB. Die Ausnahmeregelung der §§ 100 ff. GWB hat auf die Anwendungspflicht hinsichtlich des TVgG – NRW keinen Einfluss. Die §§ 100 ff. GWB befreien den Berechtigten lediglich von der Anwendung des Kartellvergaberechts nach dem Vierten Teil des GWB. So ist z.B. auch der Wortlaut des § 100 Abs.2 GWB zu verstehen: „Dieser Teil gilt nicht für die in den Absätzen 3 bis 6 und 8 sowie die in den §§ 100a bis 100c genannten Fälle.“ Dies bezieht sich aber allein auf das in diesem Teil vorgeschriebene Verfahrensrecht, nicht jedoch auf die Definition des öffentlichen Auftraggebers. Die öffentliche Auftraggeber-Eigenschaft wird folglich durch diese Ausnahmeregelungen nicht aufgehoben. Das TVgG – NRW ist damit auch für diejenigen öffentlichen Auftraggeber anwendbar, die nach §§ 100 ff. GWB von der Anwendung des vierten Teils des GWB befreit sind.“ Daraus wird vor Ort teilweise geschlossen, dass das TVgG nicht nur auf nach § 100 ff. GWB befreite Auftraggeber, sondern auch auf danach eigentlich befreite Dienstleistungen anwendbar sei, so auch auf die nach § 100a Abs. 2 GWB ausgenommenen Finanzdienstleistungsaufträge . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4791 3 1. Inwieweit fallen Kommunal- und Landeskredite als öffentlich beauftragte Finanzdienstleistungen unter die Regelung des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW? Geschäfte, die der Geld- bzw. Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen, sind sowohl im nationalen Recht als auch in den europäischen Vergaberichtlinien ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen. Gleiches gilt insoweit für die Vorgaben des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW, da es sich bei der Kapitalbeschaffung von bspw. Kommunen nicht um eine „öffentliche Auftragsvergabe“ im Sinne des Vergaberechts handelt. Der Anwendungsbereich des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW (§ 2) ist damit in diesen Fällen nicht eröffnet. 2. Wie bewertet die Landesregierung die sich aus der Anwendung des Tariftreue- und Vergabegesetzes auf Finanzdienstleistungen ergebenden Auswirkungen auf die Kreditbeschaffung der Kommunen und des Landes? Mangels Anwendung des Tariftreue- und Vergabegesetzes auf Finanzdienstleistungen ergeben sich keine Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Kreditbeschaffung der Kommunen und des Landes. 3. Wie will die Landesregierung vor dem Hintergrund des Tariftreue- und Vergabe- gesetzes sicherstellen, dass sich die öffentliche Hand in Nordrhein-Westfalen auch in Zukunft zeitnah und transaktionskostenarm mit Krediten versorgen kann? Siehe Antwort zu Frage 2. 4. Wie handhabt die Landesregierung ihre eigene Kreditversorgung nach den Maß- gaben des Tariftreue- und Vergabegesetzes? Siehe Antwort zu Frage 2. 5. Hält die Landesregierung die Anwendung des Tariftreue- und Vergabegesetzes auf Finanzdienstleistungen vor dem Hintergrund anderslautender Regelungen im Bund und in der EU, die zumindest auf der Ebene des Bundes abschließend sind, für zulässig? Siehe Antwort zu Frage 1.