LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/4795 20.01.2014 Datum des Originals: 17.01.2014/Ausgegeben: 23.01.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1823 vom 10. Dezember 2013 des Abgeordneten Thomas Kufen CDU Drucksache 16/4624 NRW bekämpft die Energiearmut? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1823 mit Schreiben vom 17. Januar 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Energiekosten werden immer wieder in Zusammenhang mit wachsenden Problemen von Privathaushalten bei der Zahlung ihrer Energierechnungen genannt. Im Oktober 2012 startete das Projekt „NRW bekämpft die Energiearmut“. Am 31. Oktober 2013, ein Jahr später, zog die Verbraucherzentrale NRW eine erste Bilanz. In Aachen, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Köln, Krefeld, Mönchengladbach und Wuppertal kamen 686 Ratsuchende zusammen, die wirtschaftliche Hilfestellung und rechtlichen Rat in Anspruch nahmen, um Zahlungsprobleme bei der Energieversorgung in den Griff zu bekommen . Fast 40 Prozent der 686 Ratsuchenden waren mit bis zu 500 Euro verschuldet. Mehr als die Hälfte der Beratungskundschaft stand mit Beträgen zwischen 500 und 2.000 Euro in der Kreide. Auffällig war auch, dass 26 Prozent der Ratsuchenden trotz Erwerbstätigkeit mit Zahlungsproblemen kämpfte. 40 Prozent der Klientel waren Bezieher von SGB II-Leistungen. 13 Prozent waren Rentner, die ihre Energiekosten aus ihren niedrigen Einkommen nicht mehr bestreiten konnten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4795 2 Durch ihren Einsatz konnten die Verbraucherschützer in 57 Prozent der Fälle eine schnelle Aufhebung der Stromsperren erreichen, in fast 80 Prozent der Beratungsfälle konnten sie drohenden Sperrungen verhindern. Die Verbraucherzentrale NRW kommt zu dem Schluss, dass der Erfolg daher rührt, dass „die Beratungsstellen vielfältige Hilfs- und Beratungsangebote bündeln und damit die unterschiedlichen Ursachen von Energiearmut angehen. Verschwenderischer Umgang mit Energie kommt ebenso auf den Prüfstand wie überflüssige oder zu teure Versicherungen. Aber auch der Kassensturz bei Einnahmen und Ausgaben hilft, das Budget künftig so einzuteilen, dass Miete und Energiekosten vorrangig zu bezahlen sind.“ 1. Wie plant die Landesregierung die Ausweitung des Programms auf weitere Kommunen? Das Modellprojekt „NRW bekämpft Energiearmut“ ist am 01.10.2012 in den Städten Aachen, Köln, Krefeld, Bielefeld und Wuppertal gestartet. Ab Januar 2013 kamen die Städte Bochum, Dortmund und Mönchengladbach hinzu. Das Projekt ist befristet bis zum 31.12.2015. Vor einer Entscheidung über eine Fortsetzung oder Ausweitung des Projektes werden zunächst weitere Erfahrungen mit dem Modellprojekt gesammelt und ausgewertet. 2. Als Ziel des Projekts nannte die Verbraucherzentrale die Identifikation „welche Strukturen Energiearmut begünstigen und aufzuzeigen, wo gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.“ Welche Zwischenbilanz kann nach einem Drittel der Projektdauer, mit Blick auf die Strukturen und den gesetzgeberischen Handlungsbedarf getroffen werden? Aus Sicht der Verbraucherzentrale NRW sind die Strukturen, welche Energiearmut begünstigen , sehr vielfältig. Bei den betroffenen Haushalten zählen beispielsweise deren geringes Einkommen, hoher Energieverbrauch sowie Defizite bei der eigenen Finanz- und Planungskompetenz zu den Strukturen, die Energiearmut begünstigen. Oft führen multiple Problemlagen wie z.B. Verlust des Arbeitsplatzes, Krankheit und kritische familiäre Ereignisse dazu, dass sich Betroffene in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden. Zu den Energieversorgungsunternehmen weist die Verbraucherzentrale darauf hin, dass zum Teil nicht tragfähige Ratenzahlungsvereinbarungen angeboten werden, dass teilweise hohe Nebenforderungen bestehen und dass Defizite im Forderungsmanagement hinsichtlich der unterjährlichen Abrechnung festgestellt wurden. Aber auch uneinheitliche Praktiken bei der Darlehensgewährung durch die SGB II- und XII-Stellen bei Stromschulden tragen nach Ansicht der Verbraucherzentrale zu Energiesperren bei. Gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht die Verbraucherzentrale NRW z.B. bei der bedarfsgerechten Anpassung der Regelbedarfe bei Empfängern nach SGB II, XII sowie bei der angemessenen Berücksichtigung in den BAföG-Sätzen. Aber auch Vorgaben, vor Energiesperren verpflichtend den Einsatz milderer Mittel (z.B. Ratenzahlungsvereinbarungen, Stromsparzähler) zu prüfen oder eine gesetzliche Begrenzung von Nebenforderungen dem Grunde und der Höhe nach bedürfen laut der Verbraucherzentrale NRW einer genaueren Betrachtung durch den Gesetzgeber. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4795 3 3. Nach einer Pressemitteilung des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft , Natur- und Verbraucherschutz vom 2. Mai 2012 sind rund 120.000 Haushalte in NRW von Energiearmut betroffen. Nach einem Jahr konnte 686 Personen geholfen werden. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um die verbleibenden 119.314 Haushalte zu erreichen bzw. ihnen zu helfen? Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist bestrebt, die Versorgung mit Energie, die zum Leben und zur sozialen Teilhabe unerlässlich ist, sicherzustellen und gemeinsam mit verschiedenen Akteuren Lösungen zu erarbeiten, um Stromsperren zu vermeiden und Energiearmut wirksam zu reduzieren. Diesem Vorhaben trägt die Landesregierung Rechnung, indem beispielsweise unter Federführung des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk ein Arbeitskreis "Energiearmut" eingerichtet wurde. Seit 2011 kommen neben verschiedenen Landesministerien zahlreiche Energieversorger und Stadtwerke , die Verbraucherzentrale NRW, Verbände, Arbeitsloseninitiativen und Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft regelmäßig zusammen, um gemeinsam innovative Ansätze zur Bekämpfung von Energiearmut und Vermeidung von Energiesperren zu diskutieren und umzusetzen. Darüber hinaus hat die Landesregierung am 07.06.2013 eine Initiative zur Verringerung der Anzahl durchgeführter Versorgungsunterbrechungen in den Bundesrat eingebracht und konkrete Vorschläge insbesondere für die Änderung der Strom- und der Gasgrundversorgungsverordnung vorgelegt. Entsprechende Vorschläge waren vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz auch in die Verbraucherschutzministerkonferenz und deren Gremien eingebracht worden. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag auf Bundesebene sind Regelungen für einen besseren Schutz vor Strom- und Gassperren vorgesehen, z.B. durch den Einsatz von intelligenten Stromzählern mit Prepaid-Funktion. Darüber hinaus soll durch einen Energie- und Klimafonds die Umsetzung anspruchsvoller Effizienzmaßnahmen auch in Haushalten gefördert werden und es ist der Ausbau der kostenlosen Energieberatung für Haushalte mit niedrigem Einkommen vorgesehen. Die Landesregierung setzt sich für eine rasche Umsetzung dieser zugesagten Maßnahmen ein. Außerdem leistet die überwiegend vom Land Nordrhein-Westfalen finanzierte Verbraucherzentrale NRW einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Energiearmut, indem sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern in ihren Beratungsstellen sowie vor Ort eine umfassende Beratung und Information im Energiebereich, zu den vielfältigen Möglichkeiten der Energieeinsparung im Haushalt aber auch zu Fragen der Budgetplanung und der Haushaltsführung anbietet. 4. Welche weiteren Ursachen sind der Landesregierung neben den von der Ver- braucherzentrale NRW genannten Punkten bekannt, die als Grund herangezogen werden können, wieso es zu Zahlungsproblemen bei Haushalten kommt? Die Ausführungen der Verbraucherzentrale NRW zu den Strukturen, welche Energiearmut begünstigen, machen deutlich, wie vielfältig die Probleme und Ursachen sein können, die zu Zahlungsproblemen bei privaten Haushalten führen. Eine abschließende Aufzählung ist an dieser Stelle nicht möglich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/4795 4 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Maßnahmen der möglichen neuen Bundesregierung zur grundlegenden Reform der Energiewende, um vor dem Hintergrund der zunehmenden Energiearmut Ausmaß, Geschwindigkeit und Kostenanstieg zu stabilisieren? Grundsätzlich sollte sich der Begriff der Energiearmut aus Sicht der Landesregierung nicht nur auf die Stromkosten beziehen, sondern die Energiekosten in allen Sektoren in den Blick nehmen. Dies schließt z.B. Heizkosten, Mobilitätskosten (Benzinpreis bis Schienenverkehr) genauso ein wie die Stromkosten im Allgemeinen und damit auch außerhalb des EEG. So betrug 2012 die Preissteigerung beispielsweise bei Heizöl ca. neun Prozent, die Erdgas- und Fernwärmepreise erhöhten sich jeweils um ca. fünf Prozent. Im Bereich EEG hat sich die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt , die Kosten beim Ausbau der Erneuerbaren Energien zu begrenzen. Inwieweit die geplanten Maßnahmen geeignet sind, Ausmaß, Geschwindigkeit und Kostenanstieg für die privaten Haushalte zu begrenzen, wird auf die endgültige Ausgestaltung der geplanten Regelungen ankommen. Dies gilt auch für die Frage, ob mit den geplanten Maßnahmen dem Veränderungsbedarf beim EEG (beispielsweise beim Umlagemechanismus, dem Vergütungssystem und der besonderen Ausgleichsregelung) Rechnung getragen wird. Eine reine Begrenzung des Ausbautempos wäre jedenfalls nicht zielführend. Die Landesregierung begrüßt die auch von ihr vertretene Zielsetzung der neuen Bundesregierung, kostenlose Energieberatung für Haushalte mit niedrigen Einkommen auszubauen und Investitionen in energiesparende Haushaltsgeräte zu erleichtern. Jedoch muss auch hier abgewartet werden, wie die konkrete Umsetzung hierzu aussehen soll.