LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5062 12.02.2014 Datum des Originals: 12.02.2014/Ausgegeben: 17.02.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1885 vom 6. Januar 2014 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/4782 Entweichungen aus Gerichtsgebäuden Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 1885 mit Schreiben vom 12. Februar 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 02.01.2014 gelang einem Angeklagten, der wegen Vergewaltigung einer 16-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt werden sollte, die Flucht aus dem Amtsgericht Ibbenbüren. Der Mann entkam durch ein unverriegeltes Fenster aus dem Gerichtssaal (http://www.wn.de/Muensterland/Fenster-im-Gerichtssaal-war-nicht-verriegelt-Angeklagterweiter -auf-der-Flucht). Nur wenige Wochen zuvor, war ein Angeklagter aus dem Landgericht Kleve entwichen. Der mutmaßliche Raubmörder und Schmuggler gelangte – trotz Handschellen und Bewachung – während einer Verhandlungspause über ein Toilettenfenster ins Freie (Rheinische Post vom 22.11.2013). 1. Wie viele Angeklagte bzw. Verurteilte sind seit Mai 2010 aus nordrhein- westfälischen Gerichtsgebäuden entwichen? (Bitte jeweils nach Ort und Datum auflisten.) Im angefragten Zeitraum ist es insgesamt acht Angeklagten bzw. Verurteilten gelungen, aus nordrhein-westfälischen Gerichtsgebäuden zu entweichen: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5062 2 Ort der Entweichung Datum der Entweichung a) Amtsgericht Kamen 02.07.2010 b) Landgericht Dortmund 19.07.2010 (zwei Entwichene) c) Amtsgericht Geilenkirchen 30.11.2010 d) Landgericht Dortmund 08.03.2012 e) Amtsgericht Neuss 25.02.2013 f) Landgericht Kleve 21.11.2013 g) Amtsgericht Ibbenbüren 02.01.2014 2. Wegen welcher Delikte waren diese Personen angeklagt bzw. verurteilt? (Bitte auch ggfs. bestehende Vorstrafen angeben.) a) Entweichung bei dem Amtsgericht Kamen: Dem Angeklagten wurde Körperverletzung vorgeworfen. Vorstrafen bestanden wegen Betruges , Gefährdung des Straßenverkehrs, Fahren ohne Fahrerlaubnis, unerlaubte Einfuhr und unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, gefährliche und einfache Körperverletzung sowie Hausfriedensbruch. b) Entweichungen bei dem Landgericht Dortmund: Den Angeklagten wurde gemeinschaftliche schwere räuberische Erpressung vorgeworfen. Vorstrafen waren nicht bekannt. c) Entweichung bei dem Amtsgericht Geilenkirchen: Dem Angeklagten wurde ein versuchter gemeinschaftlicher Raub vorgeworfen; es bestand eine Vorstrafe wegen Diebstahls und versuchten gemeinschaftlichen Raubes. d) Landgericht Dortmund: Dem Angeklagten wurden zahlreiche Einbruchdiebstähle vorgeworfen. Vorstrafen bestanden wegen Urkundenunterdrückung, Betruges, gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung , Sachbeschädigung, Diebstahls, Hehlerei, Beleidigung, Bedrohung, Raub, Nötigung und Erschleichen von Leistungen. e) Amtsgericht Neuss: Der Angeklagte war wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) angeklagt. Vorstrafen bestanden wegen unerlaubten Besitzes bzw. Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie Diebstahls. f) Landgericht Kleve: Dem Angeklagten wurde Beihilfe zur Steuerhinterziehung vorgeworfen. Vorstrafen bestanden wegen Beleidigung, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Urkundenfälschung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung , Nötigung, versuchter Hehlerei, Steuerverkürzung, Geldfälschung, Diebstahls, unerlaubten Entfernens vom Unfallort und Betruges. g) Amtsgericht Ibbenbühren: Dem Angeklagten wurde Vergewaltigung vorgeworfen. Er war wegen Körperverletzung vorbestraft . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5062 3 3. Welche dieser Personen sind bis heute flüchtig? (Bitte einzeln auflisten.) Keine dieser Personen ist bis heute flüchtig. 4. Aus welchen Gründen gelang den Personen die Entweichung? (Bitte jeweils ein- zeln auflisten.) a) Entweichung bei dem Amtsgericht Kamen: Dem Angeklagten gelang es, trotz angelegter Handfesseln und im Beisein von zwei Justizwachtmeistern auf dem Weg vom Sitzungssaal zur Vorführzelle in einem günstigen Moment durch ein halboffenes Fenster der Wachtmeisterei zu entweichen. b) Entweichungen bei dem Landgericht Dortmund: Die Angeklagten konnten durch ein geöffnetes Fenster des an den Sitzungssaal grenzenden Beratungszimmers entweichen. Die Verbindungstür war ge- aber nicht verschlossen. c) Entweichung bei dem Amtsgericht Geilenkirchen: Während eines vertraulichen Gesprächs zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger in einer Sitzungspause konnte der Angeklagte, der zu dieser Zeit ohne Handfessel war, ein nicht verschließbares Fenster des im 2. Obergeschoss gelegenen Raumes öffnen und aus dem Gebäude springen. Der Angeklagte konnte unmittelbar nach dem Entweichen in Gerichtsnähe gefasst werden. d) Landgericht Dortmund: Die Tür der Vorführzelle wurde nicht verschlossen. Der Angeklagte brach anschließend die Zugangstüre vom Zellentrakt zum Sitzungstrakt auf und konnte so das Gebäude verlassen. e) Amtsgericht Neuss: Weil eine bestehende Anschlusshaft übersehen wurde, ist der Angeklagte nach Sitzungsende ungefesselt von den Wachtmeistern Richtung Ausgang begleitet worden. In einem günstigen Moment konnte er durch den zu Anlieferungszwecken offen stehenden Lieferanteneingang entweichen. f) Landgericht Kleve: Dem Angeklagten gelang bei einem Toilettengang die Flucht durch ein Fenster. Dies war angesichts der Lage der Toiletten im 2. Stock des Gerichtsgebäudes nur möglich, weil es zu Sanierungszwecken eingerüstet war. g) Amtsgericht Ibbenbühren: Dem Angeklagten gelang es, in einer Sitzungspause, ein ge- aber nicht verschlossenes Fenster des Sitzungssaales zu öffnen und hierdurch zu entweichen. 5. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass Angeklagte bzw. Verurteilte in den Gerichtsgebäuden des Landes Nordrhein-Westfalen ordnungsgemäß bewacht werden? Die Maßnahmen zur Sicherung der Gerichte sind niedergelegt im nicht öffentlichen "Sicherheitskonzept für Gerichte und Staatsanwaltschaften". Dieses Konzept definiert eine Vielzahl aufeinander abgestimmter Maßnahmen insbesondere zur baulich-technischen Sicherung. Es enthält daneben Bestimmungen zu sonstigen technischen Sicherheitsvorkehrungen, zum Personaleinsatz und zur Kontrolldichte und -intensität. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5062 4 Hintergrund für dieses Sicherheitskonzept waren mehrere bedauerliche Vorfälle Mitte der Neunziger Jahre in nordrhein-westfälischen Gerichten, die die Landesregierung bereits im Jahr 1996 veranlasst hatten, umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit in Justizgebäuden nachhaltig zu verbessern. Nordrhein-Westfalen war damit eines der ersten Länder, die die Sicherheit der Justizgebäude zu einem zentralen Thema gemacht haben. Die Anpassung des Sicherheitskonzepts an die konkreten örtlichen Verhältnisse erfolgt in organisatorischer Hinsicht durch die jeweilige Behördenleitung vor Ort. Nur sie kennt die tatsächlichen Verhältnisse und kann die Gefährdungslagen aktueller Prozesse am besten einschätzen . Sie entscheidet, auf welche Weise die Gefahrenabwehr effektiv gewährleistet wird. Die Vorführung von Gefangenen zu den Terminen und Sitzungen, ihre Bewachung und Betreuung im Bereich der Gerichte obliegt dem Justizwachtmeisterdienst. Landesweite Qualitätsstandards für dieses Aufgabenfeld setzt die sog. "Vorführrichtlinie". Danach ist u.a. angeordnet , dass jede Behördenleitung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit ein eigenes Vorführkonzept unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen und personellen Bedingungen zu erstellen hat.