LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5088 19.02.2014 Datum des Originals: 18.02.2014/Ausgegeben: 21.02.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1896 vom 22. Januar 2014 des Abgeordneten Robert Stein fraktionslos Drucksache 16/4850 Erlassen weitere Stärkungspakt-Kommunen die Gewerbesteuer? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1896 mit Schreiben vom 18. Februar 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Justizminister und der Ministerpräsidentin beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Laut Bericht des Soester Anzeigers (http://www.soester-anzeiger.de/lokales/werl/werlerpolitik -macht-frei-atu-sanierung-politik-stimmt-erlass-gewerbesteuer-ueber-millionen-euro- 3318478.html) und von derwesten.de (http://www.derwesten.de/wirtschaft/werl-verzichtetauf -11-millionen-euro-steuergelder-und-rettet-atu-aimp-id8886224.html) verzichtet die Stärkungspakt -Kommune Werl auf etwa 11 Millionen € Einnahmen aus der Gewerbesteuer, um dem Unternehmen ATU die Existenz zu sichern und 150 Arbeitsplätze zumindest kurzfristig zu erhalten. Es ist bekannt, dass die Gewerbesteuer, die als wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden bezeichnet werden kann, den Gemeinden zugeht. Da es sich bei Werl um eine Stärkungspakt-Kommune handelt, stellt sich hier die Frage, ob ein vollständiger Erlass der Gewerbesteuer für ein Unternehmen durch StärkungspaktKommunen mit den Konsolidierungszielen der jeweiligen Stärkungspakt-Kommunen vereinbar ist. Immerhin erhalten diese Kommunen Sondermittel vom Land. Wenn nun freiwillig voll und ganz auf einen nicht unbedeutenden Teil der kommunalen Einnahmen verzichtet wird, entsteht der Eindruck, dass die Sondermittel vom Land subventionsähnlichen Charakter für die Wirtschaft erhalten und möglicherweise dadurch zweckentfremdet werden. Zwar gilt generell das Gebot der kommunalen Selbstverwaltung, allerdings hat der Minister für Inneres und Kommunales bereits die kommunale Selbstverwaltung mit der Entsendung von Sparkommissar Ballast nach Nideggen zumindest für kurze Zeit außer Kraft gesetzt, so dass fraglich bleibt, ob ein solches Vorgehen mit den Konsolidierungszielen im Rahmen des Stärkungspaktes vereinbar ist. Zu erinnern sei im Übrigen daran, dass ein ähnlicher Fall in Kiel zum Rücktritt der dortigen Oberbürgermeisterin Gaschke (z.B. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ruecktritt-von-kiel-oberbuergermeisterin-gaschke-a- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5088 2 930502.html) führte. Der ehemaligen Oberbürgermeisterin wurde in diesem Zusammenhang unter anderem der Vorwurf der Untreue gemacht. Darüber hinaus wird durch den Verzicht auf Gewerbesteuereinnahmen ein Präzedenzfall geschaffen, so dass in analogen Fällen andere Unternehmen zukünftig mit Verweis auf das Vorgehen in Werl Gewerbesteuererlasse einfordern werden. Insofern droht eine eventuelle Erpressbarkeit der Politik durch Unternehmen, die weit davon entfernt sind, „to big to fail“ zu sein. 1. In welcher Höhe (in absoluten Zahlen) erlassen Stärkungspakt-Kommunen seit Bestehen des Stärkungspaktes Gewerbesteuern? (Bitte nach Kommune und Jahr aufgelistet)? Die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer einschließlich Stundung , Niederschlagung und Erlass obliegt in Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage der Abgabenordnung alleine den hebesatzberechtigten Gemeinden. Ob und in welcher Höhe weitere Stärkungspaktgemeinden seit Ende 2011 Anträge auf Erlass der Gewerbesteuer beschieden haben, ist der Landesregierung nicht bekannt. 2. In wie weit wurden die Maßnahmen mit Regierungspräsidenten der Regierungsbe- zirke, dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Finanzminister und/oder der Ministerpräsidentin von NRW erörtert? Eine rechtliche Verpflichtung der Gemeinde, sich mit dem für sie zuständigen Regierungspräsidenten oder einem Mitglied der Landesregierung abzustimmen, besteht nicht. Nach einer Abfrage bei den Bezirksregierungen ist lediglich die Kommunalaufsichtsbehörde im Regierungsbezirk Arnsberg über entsprechende Absichten der Stadt Hagen (Ende 2011) sowie der Stadt Werl (in 2013) informiert worden. 3. Inwieweit verträgt sich der Verzicht auf Gewerbesteuereinnahmen mit den Zielen des Stärkungspaktes und der Konsolidierung der Kommunalhaushalte im Rahmen des aktuell vorgegebenen Konsolidierungszeitraums? Ein Widerspruch zu den Zielen des Stärkungspaktes ist nicht erkennbar. Auch Stärkungspaktgemeinden stehen uneingeschränkt in der Entscheidungsverantwortung, Anträge auf Erlass von Gewerbesteuer zu bescheiden. Gewerbesteuern können gemäß § 227 der Abgabenordnung ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des Falles unbillig ist. Die Unbilligkeit kann in der Sache selbst (sachliche Unbilligkeit) oder in den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen (persönliche Unbilligkeit) begründet sein. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung kann die Besteuerung von Sanierungsgewinnen sachlich unbillig sein (z.B. VG Gelsenkirchen vom 2.5.2013, 5 K 5900/12, ZIP 2013, 1876). Auch beim Fall der Stadt Werl handelt es sich nach Aussage der Stadt um den Erlass von Gewerbesteuern für sog. Sanierungsgewinne („Scheingewinn-Besteuerung“), die durch Forderungsverzichte der Gesellschafter bzw. Gläubiger einer Firma entstehen (vgl. Pressemitteilung der Stadt vom 17.01.2014). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5088 3 Allgemein handelt es sich bei der Besteuerung von „Sanierungsgewinnen“ nicht um eine Steuer auf einen operativen Gewinn, sondern der Gewinn entsteht steuerrechtlich erst durch den Forderungsverzicht der Gläubiger. Scheitert der Insolvenzplan, entfällt auch dieser Gewinn . 4. Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit bei einem Erlass der Gewerbesteuer keine Untreue vorliegt (vgl. den ähnlichen Fall aus Kiel)? Eine Strafbarkeit wegen Untreue setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs eine pflichtwidrige Schädigung kommunaler Haushaltsmittel voraus, die unter keinem Gesichtspunkt durch die Verfolgung legitimer öffentlicher Aufgaben im Rahmen einer an den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit orientierten Verwaltung gerechtfertigt werden kann. Angesichts der Vielgestalt möglicher Lebenssachverhalte lässt sich ein genauerer Kriterienkatalog nicht aufstellen. 5. Führt das Vorgehen von Steuererlassen nach Auffassung der Landesregierung möglicherweise zu einer Erpressbarkeit der Politik, so dass in zukünftig analogen Fällen ebenfalls (Gewerbe-)Steuern erlassen werden müssen? Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 3 wird verwiesen.