LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5170 27.02.2014 Datum des Originals: 26.02.2014/Ausgegeben: 04.03.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1918 vom 24. Januar 2014 des Abgeordneten Dr. Joachim Stamp FDP Drucksache 16/4878 Handhabung des Freizügigkeitsrechts von EU-Bürgern in NRW Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1918 mit Schreiben vom 26. Februar 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit , Integration und Soziales und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Süddeutschen Zeitung vom 23. Januar 2014 führt EU-Justizkommissarin Viviane Reding aus: „Ein E U-Bürger hat das Recht, in ein anderes EU-Land zu reisen. Aber es gibt nicht das Recht in nationale Sozialversicherungen einzureisen. (…) Wenn jemand Sozialtourismus betreibt, kann ein Land ihn ausweisen. So wies Belgien 2013 fast 6.000 EU-Ausländer aus.“ Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider, trug am 19. Dezember 2013 bei der Antwort auf die mündliche Anfrage 30 im Plenum des Landtages vor, ihm sei nicht bekannt, dass es in NRW den Fall gegeben habe, dass – nachdem bei einem EU-Bürger der Wegfall des Aufenthaltsrechtes festgestellt worden sei – dieser daraufhin jedenfalls auf der Grundlage des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU aufgefordert worden wäre, das Land Nordrhein-Westfalen zu verlassen . Das Freizügigkeitsrecht geht nach seiner Konzeption auf EU-Ebene grundsätzlich davon aus, dass Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat entweder erwerbstätig sind, also eigene Einkünfte erzielen, oder mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit suchen. Nichterwerbstätige Unionsbürger müssen grundsätzlich über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen. Eine Freizügigkeit, die diesen Voraussetzungen nicht entspricht, ist unionsrechtlich nicht vorgesehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5170 2 Vorbemerkung der Landesregierung Das Recht der Unionsbürger und Unionsbürgerinnen auf Einreise und Aufenthalt in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergibt sich unmittelbar aus dem primären Gemeinschaftsrecht . Dieses vermittelt allen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten das Recht, sich innerhalb der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten. Allerdings steht das Recht der Unionsbürger und Unionsbürgerinnen unter dem Vorbehalt europarechtlicher Durchführungsbestimmungen. Hierzu zählt die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen , sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten (Richtlinie 2004/38/EG). Nach Umsetzung in nationales Recht ist das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG /EU) vom 30. Juli 2004 in der aktuellen Fassung maßgeblich. Sozialversicherungsansprüche , die EU- Bürger EU-weit genießen, sind in den Verordnungen (EU) Nr. 883/2004 und Nr.987/2009 festgelegt. Während der ersten drei Monate des Aufenthalts ist der Aufnahmemitgliedstaat nach dem EU-Recht nicht verpflichtet, EU-Bürgern ohne Erwerbstätigkeit oder Personen, die erstmals eine Anstellung suchen, Sozialhilfe zu gewähren. Nach den ersten drei Monaten müssen EU-Bürger bestimmte Bedingungen für ihren Aufenthalt erfüllen. Studierende und andere nichterwerbstätige Personen – wie etwa Rentner – und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf einen Aufenthalt von über drei Monaten nur dann, wenn sie über eine umfassende Krankenversicherung und ausreichende finanzielle Mittel für sich und ihre Familie verfügen, so dass sie das Sozialhilfesystem des Aufnahmemitgliedstaats nicht belasten. Arbeitsuchende können sich – ohne weitere Bedingungen zu erfüllen – bis zu sechs Monate in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten oder gegebenenfalls länger, wenn sie nachweisen, dass sie realistische Aussichten auf einen Arbeitsplatz haben. Gem. § 5 Absatz 4 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts auf Freizügigkeit festgestellt werden und bei Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, die Aufenthaltskarte eingezogen werden, wenn die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind (sog. administrative Verlustfeststellung). Der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt kann gem. § 6 Absatz 1 Satz 1 FreizügG /EU - unbeschadet u.a. von der sog. administrativen Verlustfeststellung - nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Gem. § 7 Absatz 1 des FreizügG/EU sind Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen ausreisepflichtig , wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Zuständige Behörde zur Ausführung des FreizügG/EU ist die Ausländerbehörde. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5170 3 1. Wie häufig hat das Land Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 2010 bis 2013 auf der Grundlage des § 5 Absatz 4 Freizügigkeitsgesetz/EU innerhalb der ersten fünf Jahre des dauerhaften Aufenthalts das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts festgestellt? Die zuständigen Ausländerbehörden haben innerhalb der ersten fünf Jahre nach Begründung des ständigen Aufenthalts in nachstehend genannten Fällen Verlustfeststellungen getroffen : 2010 73 2011 115 2012 192 2013 245 2. Wie häufig hat das Land im Zeitraum 2010 - 2013 im Falle einer Feststellung des Nichtbestehens eines materiellen Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 4 Freizügigkeitsgesetz /EU Unionsbürger nach § 7 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU aufgefordert , das Land zu verlassen? Mit jeder Verlustfeststellung besteht gem. § 7 Absatz 1 FreizügG/EU eine Ausreisepflicht. Die Aufforderung, das Land zu verlassen, ist Teil des Bescheides. Es gelten die zu Frage 1 genannten Fallzahlen. 3. Wie häufig hat das Land Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 2010 - 2013 nach § 6 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt? Die zuständigen Ausländerbehörden haben in den nachstehend genannten Fällen Verlustfeststellungen getroffen: 2010 163 2011 160 2012 148 2013 159 4. Wie häufig hat das Land im Zeitraum 2010 - 2013 im Falle einer Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Absatz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU Unionsbürger nach § 7 Absatz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU aufgefordert, das Land zu verlassen? Mit jeder Verlustfeststellung besteht gem. § 7 Absatz 1 FreizügG/EU eine Ausreisepflicht. Die Aufforderung, das Land zu verlassen, ist Teil des Bescheides. Es gelten die zu Frage 3 genannten Fallzahlen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5170 4 5. In wie vielen der in Frage 4 bezeichneten Ausweisungsfälle wurde eine Wiedereinreisesperre nach § 7 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU verhängt? Gem. § 7 Absatz 2 FreizügG/EU dürfen Unionsbürger und ihre Familien-angehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 6 Absatz 1 verloren haben, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Die Zahl der Wiedereinreisesperren korrespondiert mit den Fallzahlen zu Frage 3.