LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5205 10.03.2014 Datum des Originals: 07.03.2014/Ausgegeben: 13.03.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2016 vom 10. Februar 2014 des Abgeordneten Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/5052 Wie rechtsstaatlich ist die Datei Gewalttäter Sport? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2016 mit Schreiben vom 7. März 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Antwort auf die Anfrage „Nordrhein-Westfalens Beitrag zur Datei Gewalttäter Sport“ (Drucksache 16/3977) hat ergeben, dass die nordrhein-westfälischen Polizeibehörden 8.690 Speicherungen zu insgesamt 5.513 von ca. 13.000 (Stand: 9. März 2012 s. BT-Drucksache 17/9003) erfassten Personen vorgenommen haben. Damit leistet NRW einen erheblichen Beitrag zur Befüllung der Datenbestände der Datei. Erfasst werden Personendaten, personenbezogene Hinweise, Personenbeschreibungen, zusätzliche Personeninformationen, Maßnahmedaten und Fallgrundlagen. Durch die Antwort der Landesregierung wurde offensichtlich , dass diese Eintragungen in die Datei für Gewalttäter rund um Sportveranstaltungen nicht aufgrund von Gewaltkriminalitätsdelikten (Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub, räuberische Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme und Angriff auf den Luft- und Seeverkehr)1, sondern z. B. wegen Diebstahl, Beleidigungen,Ingewahrsamnahmen, Besitz von Pyrotechnik oder auch wegen einfacher Personalienfeststellungen erfolgen. Weiter ist anzumerken, dass ein sehr großer Teil der erfassten Personen nicht aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung in der Datei gespeichert wird, vielmehr genügt schon die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens für die Erfassung. Gemäß § 8 Abs. 4 BKAG dürfen auch Kontakt- und Begleitpersonen, Hinweisgeber und sonstige Auskunftspersonen gespeichert werden, soweit dies zur Verhütung oder zur Vorsorge für die künftige Verfolgung einer 1 http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=&KL_ID=80. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5205 2 Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. In NRW werden dabei eingetragene Personen nicht über eine Speicherung informiert und müssen selbständig um Auskunft bei der Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze (ZIS) bitten. Anders das Bundesland Bremen, das sich im vergangenen Jahr dafür entschieden hat, gespeicherte Personen über einen Eintrag zu informieren. Die Einstellung eines Verfahrens führt zudem nicht immer zur Löschung aus der Datei, vielmehr wird der Eintrag nach einer bestimmten Zeit (bei Erwachsenen fünf Jahre) automatisch gelöscht. In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine weitreichende Anzahl von unschuldigen Personen in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert sind. Betroffene Personen haben mit vielen Nachteilen zu kämpfen: intensiven Befragungen und Durchsuchungen, Ausreiseverboten , Meldeauflagen,Gefährderansprachen u.a. auch am Arbeitsplatz, Brandmarkung in der Öffentlichkeit, Stadionverboten etc. Aufgrund der beschriebenen Praxis steht die Datei „Gewalttäter Sport“ seit Jahren in der Kritik. Björn Steinat stellt in seiner Dissertation „Die Speicherung personenbezogener Daten gewalttätiger Fußballfans – zur Datei Gewalttäter Sport“ fest, dass „die Möglichkeiten, die die Errichtungsanordnung zur Datei Gewalttäter Sport dem Speicherungsberechtigten einräumt, zu weit“ gehen und sich zu viele Fans der A-Kategorie2 in der Datei befänden. In seinem Beschluss vom 09.09.2013 (5 B 417/13) hat nun auch das Oberverwaltungsgericht Münster festgestellt, dass der Begriff „Gewalttäter“ von der Polizei nicht einfach umdefiniert werden dürfe. Es gebe keine Befugnis der Polizei, jemanden als Gewalttäter zu bezeichnen, gegen den lediglich präventive polizeiliche Maßnahmen wie Identitätsfeststellungen oder Ingewahrsamnahmen angeordnet wurden. Darüber hinaus zweifelt das Gericht nach Ansicht von Prof. Feltes auch die Rechtmäßigkeit der Datei selbst an.3 Die ZIS hat den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 09.09.2013 (5 B 417/13) durch ein Anwaltsschreiben am 02.10.2013 als rechtsverbindlich anerkannt. Am Montag, den 13.01.2014, gab Innenminister Jäger bekannt, dass er eine BundLändergruppe initiiert habe, die nach Lösungen für eine vernetzte Bekämpfung von Intensivtätern suchen werde. In der Pressemitteilung des MIK vom 13.01.2014 heißt es weiter, „dass alle Informationen über einen Intensivtäter […] an einer Stelle gesammelt werden“ sollen. Etwa zur gleichen Zeit forderte die GdP die Errichtung einer bundesweiten Datei „Intensivstraftäter Fußball“. 1. Wie viele Personen sind derzeit in der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ insge- samt erfasst? (Bitte unter Nennung der Anzahl der Speicherungen und aufgeschlüsselt nach Anlässen4 In der Datei „Gewalttäter Sport“ sind insgesamt 13.463 Personen mit 18.074 Speicherungen erfasst (Stand 25.02.2014). Eine Aufschlüsselung nach den Speicherungsanlässen gemäß Nummer 2.2 der Errichtungsanordnung für die Datei „Gewalttäter Sport“ ist in der Anlage beigefügt. 2 Die ZIS teilt die Zuschauer von Sportereignissen in die Kategorien A, B und C ein (Kategorie -A- = der friedliche “Fan”, Kategorie -B- = der gewaltbereite/-geneigte “Fan”, Kategorie -C- = der gewaltsuchende “Fan”). 3 http://www.polizei-newsletter.de/books/2013_Feltes_Steinat.pdf. 4 Siehe Fußnote 1 Drucksache 16/3786 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5205 3 2. Warum wird in der Datei „Gewalttäter Sport“ darauf verzichtet, die eingeleiteten Ermittlungsverfahren mit den tatsächlich erfolgten rechtskräftigen Verurteilungen abzugleichen? Einen solchen allgemeinen Verzicht gibt es nicht. Werden den Polizeibehörden von den Staatsanwaltschaften Verfahrenseinstellungen mitgeteilt, überprüfen diese den in diesem Zusammenhang bestehenden polizeilichen Datenbestand auf die weitere Zulässigkeit der Speicherung der Personendaten in der Datei „Gewalttäter Sport“ nach § 32 Abs. 2 S. 1 BKAG. 3. Wie bewertet die Landesregierung den Beschluss des OVG vom 09.09.13? (Bitte einzeln in Bezug auf die DGS, die ZIS-Jahresberichte und die sonstigen Aufgaben der ZIS darstellen) Gegenstand des Beschlussverfahrens war allein die Frage, ob die Bezeichnung einer Person im Jahresbericht Fußball 2011/2012 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) als „Gewalttäter“ aufgrund einer Eintragung in der Datei „Gewalttäter Sport“ rechtmäßig war. Die Datei „Gewalttäter Sport“ selbst, die Aufgaben der ZIS oder der ZIS-Jahresbericht waren darüber hinaus nicht Verfahrensgegenstand. 4. Kann sich der Innenminister vorstellen, zukünftig betroffene Personen proaktiv über eine Eintragung in die DGS zu informieren? (Bitte mit Begründung) Eine proaktive Information der betroffenen Personen ist nicht erforderlich. Die Rahmenbedingungen einer Eintragung in die Datei „Gewalttäter Sport“ sind transparent, das Rechtsschutzinteresse ist angemessen berücksichtigt. Die Betroffenen haben das Recht, gemäß den Datenschutzbestimmungen der Länder (für Nordrhein-Westfalen nach § 18 Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen) auf Antrag Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten, den Zweck und die Rechtsgrundlage der Speicherung zu erhalten. Gegen die Speicherung selbst steht den Betroffenen der Verwaltungsrechtsweg offen. 5. Unterstützt die Landesregierung die Forderung der GdP nach der Errichtung einer neuen Datei für sogenannte „Intensivtäter Fußball“ angesichts der oben genannten Darlegungen? (Bitte mit Begründung) Erfordernis und Modalitäten einer Zusammenführung von personenbezogenen Informationen zu „Intensivtätern Gewalt und Sport“ sind Gegenstand der Prüfung einer Bund-LänderArbeitsgruppe . Datei "Gewalttäter Sport" Datenbestand (bundesweit) Aufschlüsselung "Delikt" Anlage - 1 - Stand: 25.02.2014 Aufschlüsselung Anzahl Summe Gemäß Nr. 2.2. erster Spielgelpunkt der EAO "Gewalttäter Sport" (eingeleitete Ermittlungsverfahren ...) 13.581 Straftaten unter Anwendung von Gewalt gegen Leib und Leben 4.387 Straftaten unter Anwendung von Gewalt gegen fremde Sachen mit der Folge eines nicht unerheblichen Schadens 330 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 286 gefährliche Eingriffe in den Verkehr 67 Störung öffentlicher Betriebe 11 Nötigung 39 Verstöße gegen das Waffengesetz 52 Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz 1140 Landfriedensbruch 4.693 Hausfriedensbruch 493 Gefangenenbefreiung 63 Diebstahls- und Raubdelikte 582 Missbrauch von Notrufeinrichtungen 11 Handlungen nach § 27 Abs. 2 Versammlungsgesetz 427 Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 176 Volksverhetzung 62 Beleidigung 762 Gemäß Nr. 2.2. zweiter Spielgelpunkt der EAO "Gewalttäter Sport" (ppM) 4429 Ingewahrsamnahme 2425 Personalienfeststellung 1014 Platzverweis 990 Gemäß Nr. 2.2. dritter Spielgelpunkt der EAO "Gewalttäter Sport" (Sicherstellungen/Beschlagnahmen von Waffen/gefährlichen Gegenständen) 64 Sicherstellung gefährlicher Gegenstände 57 Sicherstellung von Waffen 7 Gemäß Nr. 2.2. vierter Spielgelpunkt der EAO "Gewalttäter Sport" (Dateien des Auslandes) 0 0 GESAMTSUMME 18.074 Betroffene PERSONEN 13.463