LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5337 21.03.2014 Datum des Originals: 20.03.2014/Ausgegeben: 26.03.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2035 vom 17. Februar 2014 des Abgeordneten Hanns-Jörg Rohwedder PIRATEN Drucksache 16/5086 Welche Konsequenzen hat es, dass Verwaltungsverfahren für die Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen, die nur mittels Fracking gewonnen werden können, sowohl ohne Beteiligung von Kreisen und Kommunen als auch ohne Berücksichtigung öffentlicher Interessen durchgeführt wurden? Der Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat die Kleine Anfrage 2035 mit Schreiben vom 20. März 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Gemäß einer Aufstellung der Bezirksregierung Arnsberg vom 12.04.2013 sind für rd. 60 % der Landesfläche bergrechtliche Erlaubnisse zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen zu gewerblichen Zwecken (ohne Grubengas) erteilt worden. Ein Teil der Erlaubnisse wird im Jahre 2014 auslaufen, sofern sie nicht verlängert werden, wobei die entsprechenden Verwaltungsverfahren zur Erteilung der bergrechtlichen Erlaubnisse weitestgehend ohne Beteiligung von Gemeinden, Kreisen und kreisfreien Städten durchgeführt worden sind. Diese Verfahrensweise steht im Widerspruch zu einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 15.10.1998 – 4 B 94/98 –. Gemäß dem amtlichen Leitsatz dieser Entscheidung gehört zu den Behörden, zu deren Aufgaben die Wahrnehmung öffentlicher Interessen im Sinne des § 11 Nr. 10 BBergG gehört und denen deshalb gemäß § 15 BBergG vor der Entscheidung über die Verleihung einer Bergbauberechtigung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, auch die Gemeinde, insbesondere im Hinblick auf die Belange des Städtebaus. Trotz dieser klaren Aussage des BVerwG bezeichnet die Bezirksregierung Arnsberg die mittlerweile erfolgende Beteiligung von Kreisen und kreisfreien Städte als „überobligatorisch“. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5337 2 Unter öffentlichen Interessen, die zu einer Versagung der Erlaubnis führen können, sind alle in der Verfassung, in Gesetzen, Rechtsverordnungen, Satzungen, Gebietsentwicklungs- und Raumordnungsplänen etc. zum Ausdruck gebrachten und festgelegten öffentlichen Interessen zu verstehen. Die bei der Prüfung nach § 11 Nr. 10 BBergG in Frage kommenden öffentlichen Interessen sind nicht jeweils gesondert, sondern insgesamt daraufhin zu betrachten, ob sie einen Anspruch im gesamten Feld ausschließen. Ein Großteil der der o. a. Erlaubnisse ist gerichtet auf die Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen aus Lagerstätten mit geringer Durchlässigkeit („unkonventionelle Lagerstätten“), die nur unter Einsatz von Tiefbohrungen in Verbindung mit dem hydraulischen Aufbrechen von Gestein („Fracking“) technisch gewonnen werden könnten. In einem gemeinsamen Erlass des Wirtschaftsministeriums sowie des Umweltministeriums vom 18.11.2011 heißt es, dass beabsichtigte Aufsuchungshandlungen, die der Vorbereitung oder Durchführung von Frack-Maßnahmen dienen, nicht entscheidungsfähig sind. Die Bezirksregierung Arnsberg wird damit angehalten, die Antragsteller zur Abgabe einer Erklärung aufzufordern, dass sie aktuell und zukünftig auf den Einsatz von Frack-Maßnahmen verzichten werden. Ein Vertreter der Bezirksregierung Arnsberg hat am 22.11.2011 als Sachverständiger vor dem Bundestags-Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dieses generell praktizierte „Moratorium“ mit § 48 Absatz 2 des Bundesberggesetzes begründet. Hiernach kann die zuständige Behörde u. a. eine Aufsuchung beschränken oder untersagen, soweit ihr überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Aufgrund ungünstiger geologisch-hydrogeologischer Standortsituationen und/oder besonderer wasserwirtschaftlicher Schutzbedürfnisse ist ein Großteil der vermuteten Schiefergaspotenzialflächen für die Aufsuchung und Gewinnung unter Einsatz der Fracking-Technologie auszuschließen, so die Aussage des IWW Rheinisch-Westfälisches Instituts für Wasser. Weiter heißt es, dass z.B. für eine potenzielle Schiefergasgewinnung im Einzugsgebiet der Ruhr nach eine Potenzialfläche von ca. 54 km² verbleibt; dies entspricht weniger als 3 % der Aufsuchungsflächen „Ruhr“ und „Falke-South“. Vorbemerkung der Landesregierung Eine Befassung mit dem Leitsatz einer gerichtlichen Entscheidung macht nur Sinn, wenn der Leitsatz im Zusammenhang mit der Entscheidung und dem zugrunde liegenden Sachverhalt betrachtet wird. Insofern hat das Bundesverwaltungsgericht in der in Bezug genommenen Entscheidung vom 15.10.1998 - 4 B 94/98 - eine Information von Kommunen bei den hier in Rede stehenden Erlaubnissen zur Aufsuchung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten nicht betrachtet. Vielmehr ging es dort konkret um die Erteilung des Rechts auf Gewinnung und Aneignung eines bergfreien Bodenschatzes (Bewilligung), der als Festgestein (Diabas ) im Tagebau abgebaut werden sollte. Das dortige Bewilligungsfeld lag auf der Grenze dreier Gemeinden, die zwangsläufig von den nachfolgenden Gewinnungsarbeiten im Tagebau betroffen worden wären. 1. Wieso wurden und werden trotz des o.a. bereits aus 1998 stammenden Be- schlusses des BVerwG und dessen Auslegung des § 15 BBergG die Kreise (als zuständige untere Natur- und Wasserschutzbehörden) und die Gemeinden (insbesondere in den bergrechtlichen Erlaubnisverfahren) nicht beteiligt? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5337 3 2. Wieso hat die Bergbehörde im Zuge der Erlaubnisverfahren keine Prüfung öffentlicher Interessen nach § 11 Nr. 10 BBergG i.V.m. der nach § 15 BBergG gebotenen Beteiligung der Behörden, durchgeführt und mögliche Ausschlussgebiete ermittelt, wie dies z. B. durch das IWW Rheinisch-Westfälische Institut für Wasser erfolgt ist? Aus Gründen des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 und 2 gemeinsam beantwortet . Gem. § 15 BBergG hat die Bergbehörde vor der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Bergbauberechtigung den Behörden, zu deren Aufgaben die Wahrnehmung öffentlicher Interessen gehört, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ziel ist es hier im Wesentlichen, zu prüfen, ob der in § 11 Nr. 10 BBergG geregelte Versagungsgrund vorliegt. Danach ist eine Erlaubnis zu versagen, wenn überwiegende öffentliche Interessen die Aufsuchung im gesamten zuzuteilenden Feld ausschließen. Deshalb hat die Bergbehörde bei der Erteilung von Erlaubnissen regelmäßig diejenigen Behörden beteiligt, die aufgrund ihrer Bündelungsfunktion einen Gesamtüberblick über die öffentlichen Interessen vermitteln können (Bezirksregierungen, Geologischer Dienst). Die Kommunen wurden daher in der Vergangenheit in der Regel nicht beteiligt oder informiert. Von der Bezirksregierung Arnsberg werden allerdings seit Ende des Jahres 2011 die Kreise und Gemeinden grundsätzlich über Anträge und Entscheidungen zu Bergbauberechtigungen informiert, damit sie die Möglichkeit haben, eine Stellungnahme abzugeben, auch wenn zu ihren Aufgaben die Wahrnehmung öffentlicher Interessen lediglich im Gemeindegebiet und eben nicht im gesamten Aufsuchungsfeld gehören. Eine Beschneidung beantragter Aufsuchungsfelder durch die Bergbehörde aus Gründen, dass in einzelnen Feldesteilen bestimmte Aufsuchungs- und ggf. spätere Gewinnungsarbeiten unzulässig sein könnten, ist nach den Bestimmungen des Bergrechts (§16 Abs. 2) nicht zulässig. 3. Wie konnte der Versagungsgrund nach § 11 Nr. 10 BBergG geprüft werden ohne die Vorgabe anderweitiger Schutzgesetze zu beachten und die hierzu eingereichten Stellungnahmen zu berücksichtigen? Die Prüfung des § 11 Nr. 10 BBergG hat sich stets an den gesetzlichen Vorgaben ausgerichtet und richtet sich weiterhin daran aus. Durch die Beteiligung der Behörden, die aufgrund ihrer Bündelungsfunktion einen Gesamtüberblick über die öffentlichen Interessen vermitteln können (s.o.), war stets sichergestellt, dass sämtliche „Schutzgesetze“ beachtet werden. Heute werden sämtliche Kommunen überobligatorisch beteiligt und die Stellungnahmen fließen in die Abwägung ein. 4. Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich aus der Missachtung der Pflicht zur Beteiligung sämtlicher in Frage kommender Behörden – auch wenn man sie vermeintlich überobligatorisch beteiligt hat? Da keine Pflicht missachtet wurde und die Bezirksregierung Arnsberg mittlerweile sogar eine überobligatorische Beteiligung durchführt, existiert kein Sachverhalt, aus dem sich rechtliche Konsequenzen ergeben müssten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5337 4 5. Werden bei Vorlage von Verlängerungsanträgen die in der Vergangenheit unterbliebene Beteiligung der Behörden und die Prüfung auf überwiegende öffentliche Interessen im Aufsuchungsfeld nachgeholt? Bereits seit längerer Zeit informiert die Bezirksregierung Arnsberg Kommunen vor der Erteilung von Bergbauberechtigungen und gibt ihnen so Gelegenheit, zu den Anträgen auf Erteilung von Bergbauberechtigungen Stellung zu nehmen. Auf diese Weise werden auch diejenigen Kommunen informiert, deren Gebiet vom Feld einer beantragten Erlaubnis zur Aufsuchung von Kohlenwasserstoffen überdeckt ist. Das Wirtschaftsministerium und die Bezirksregierung Arnsberg verfolgen gemeinsam das Ziel, auch über gesetzlich geregelte Anforderungen hinaus die Transparenz behördlicher Entscheidungen und bergbaulicher Vorhaben weiter zu verbessern und zu einem fairen Ausgleich der Interessen der von bergbaulichen Vorhaben Betroffenen und den Bergbauunternehmen beizutragen. Daher werden die Kommunen nunmehr auch über Anträge auf Verlängerung von Aufsuchungserlaubnissen informiert und Ihnen wird Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Damit soll zugleich eine Prüfung sichergestellt werden, ob ein Widerrufsgrund gem. § 18 BBergG vorliegt.