LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5614 16.04.2014 Datum des Originals: 16.04.2014/Ausgegeben: 22.04.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2095 vom 14. März 2014 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/5243 Weshalb wehrt sich Justizminister Kutschaty gegen die Abschaffung seines Weisungsrechts in anhängigen Ermittlungsverfahren? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2095 mit Schreiben vom 16. April 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Gemäß §§ 146, 147 Ziffer 2 GVG unterliegen alle staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Landes dem Weisungsrecht der Landesjustizverwaltung. Dies beinhaltet unter anderem auch das Recht des Justizministers, in konkreten Einzelverfahren den Staatsanwälten Weisungen zu erteilen. Da hierdurch der Eindruck erweckt werden könnte, es ermögliche eine sachfremde, gegebenenfalls sogar politische Einflussnahme auf die Arbeit der Staatsanwaltschaften, die gemäß § 152 Absatz 2 StPO dem Legalitätsprinzip verpflichtet sind, ist das Weisungsrecht in Einzelfällen rechtspolitisch hoch umstritten. In den 2001 vorgestellten „Zehn Leitlinien zur Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften“ hat sich das Justizministerium NRW freiwillig zu einer zurückhaltenden Handhabung verpflichtet. Nach Leitlinie 8 erschöpft sich die Ausübung des ministeriellen Weisungsrechts in allgemeinen Weisungen, d.h. in dem Erlass landesweit geltender allgemeiner Regelungen, die eine gleichmäßige Strafrechtspflege im Land gewährleisten sollen. Leitlinie 9 bestimmt, dass der nordrhein-westfälische Justizminister in ständiger Selbstbindung von seinem Weisungsrecht in anhängigen Ermittlungsverfahren keinen Gebrauch macht. Eine Weisung könne ausnahmsweise nur dann in Betracht kommen, wenn der zuständige Generalstaatsanwalt gegen eine rechtsfehlerhafte staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung zu Unrecht nicht einschreite. In seiner 915. Sitzung vom 11.10.2013 hat der Bundesrat zu dem Vorschlag einer Verordnung des Rates über die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft Stellung genommen (BR-Drs. 631/13 (B)). In Ziffer 3 Satz 2 des Beschlusses bringt der Bundesrat LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5614 2 unter anderem zum Ausdruck, dass er die Auffassung der Kommission teilt, dass die Europäische Staatsanwaltschaft ihre Tätigkeit unabhängig ausüben sollte. Auf der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 13./14. November 2013 in Berlin hat Justizminister Kutschaty die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung, ob und in welchem Umfang das externe Weisungsrecht in Einzelfällen notwendig und noch zeitgemäß ist, abgelehnt. 1. Weshalb hat Justizminister Kutschaty sich bereits einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema verschlossen, indem er eine Bund-LänderArbeitsgruppe zur Prüfung, ob und in welchem Umfang das externe Weisungsrecht in Einzelfällen notwendig und noch zeitgemäß ist, abgelehnt hat? Der in der Kleinen Anfrage angesprochene Beschlussvorschlag war für die große Mehrheit der Justizministerinnen und Justizminister der Länder - darunter auch Nordrhein-Westfalen - nicht zustimmungsfähig. Der Beschlussvorschlag lautete: „1. Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich mit dem in §§ 146 und 147 GVG verankerten externen Weisungsrecht und der Stellung der Staatsanwaltschaften als Teil der Exekutive befasst. 2. Die Justizministerinnen und Justizminister erachten die Möglichkeit zur Erteilung von allgemeinen Weisungen für unverzichtbar, um eine einheitliche Strafverfolgung zu gewährleisten. Sie halten allerdings angesichts der durch die Gerichte gewährleisteten weitgehenden Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit eine Prüfung, ob und in welchem Umfang das externe Weisungsrecht in Einzelfällen notwendig und noch zeitgemäß ist, für sinnvoll. 3. Die Justizministerinnen und Justizminister bitten die Bundesministerin der Justiz, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten.“ Schon der darin unter Ziffer 2 zur Begründung für die angebliche Notwendigkeit einer Prüfung des externen Weisungsrechts im Einzelfall getroffenen Aussage, durch die Gerichte sei eine „weitgehende Kontrolle" der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit gewährleistet, konnte nicht gefolgt werden. Abgesehen davon war das Thema bereits mehrfach - auch in jüngerer Zeit - Gegenstand von Prüfungen, die allesamt einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf nicht ergeben haben. 2. In welchen Fällen hat Justizminister Kutschaty von seinem Weisungsrecht in Einzelfällen seit 2010 Gebrauch gemacht? In keinem Fall. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5614 3 3. Aus welchen Gründen will Justizminister Kutschaty an seinem externen Weisungsrecht in Einzelfällen festhalten? Aus Rechtsgründen: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf alles staatliche Handeln einer ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette. Diese wird für die Organe der Exekutive durch die parlamentarische Legitimation der Regierung und damit der Ministerinnen und Minister und deren Weisungsrecht gegenüber den nachgeordneten Behörden - hier gemäß §§ 146, 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes gegenüber den Staatsanwaltschaften - gewährleistet. Das Weisungsrecht der Landesjustizverwaltungen gegenüber den Staatsanwaltschaften in Einzelfällen dient ebenso wie das als intern bezeichnete Weisungsrecht der Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte der Sicherung des Legalitätsprinzips. 4. Wie hat sich die nordrhein-westfälische Landesregierung in der 915. Sitzung des Bundesrats vom 11.10.2013 unter TOP 16 zu Ziffer 3 Satz 2 der BundesratsDrucksache 631/1/13 verhalten? Sie hat zugestimmt. 5. Inwieweit misst die Landesregierung der Unabhängigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft einen höheren Stellenwert als der Unabhängigkeit der nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften bei? Schon aus rechtlichen Gründen stellt sich die Frage nach einem „höheren Stellenwert“ nicht. Artikel 5 des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates über die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (COM(2013) 534 final), in dem die Unabhängigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft niedergelegt ist, folgt den Vorgaben von Artikel 86 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese europarechtliche Grundlage für die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft sieht eine hierarchische Einbindung der Europäischen Staatsanwaltschaft - etwa im Sinne der Vorschriften des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes (vgl. die Antwort zu Frage 3) - nicht vor.